Rammstein – Rammstein (CD Cover Artwork)
Fr, 17. Mai 2019

Rammstein – Rammstein

Neue Deutsche Härte
16.05.2019
Rammstein – Rammstein (CD Cover Artwork)

Der langersehnte, siebte Streich

Dass bei gewissen Bands bis zur Veröffentlichung eines neuen Werkes durchaus einige Jahre vergehen können, ist heutzutage keine Seltenheit mehr. Dies trifft auch auf Rammstein zu. Doch, liebe Kinder gebt fein acht, denn das Warten hat nach einer Dekade ein Ende. Am 17. Mai wird das Aushängeschild des Neue Deutsche Härte-Genres Studioalbum Nummer sieben auf die Menschheit loslassen.

Zu Beginn wurde die ganze Sache noch äusserst geheimnisvoll beworben. Selbst der Titel der Scheibe steht bis heute nicht eindeutig fest. Man geht jedoch davon aus, dass dieser ganz simpel «Rammstein» lauten wird. Aber aufgepasst, Banalität sollte der Hörer dem Sextett niemals unterstellen. Auf den ersten Blick mag der Sound der Truppe aus der ehemaligen DDR zwar stumpf und brachial rüberkommen, doch bei einer genaueren Analyse fällt auf, dass sich in den Texten – und ebenfalls zwischen den Zeilen – so manche interessante Details finden lassen. Fronter Till Lindemann ist meines Erachtens schlichtweg ein lyrisches Genie.

Rammstein haben noch nie ein Blatt vor den Mund genommen und schneiden oftmals Themengebiete an, vor denen andere Künstler lieber die Finger lassen. Als Zuhörerschaft bekommt man nicht irgendwelches «Fuck» oder «Shit»-Gefluche vor den Latz geknallt. Nein, die deutsche Sprache wird in all ihrer Vielfalt genutzt, um Kritik an hinter Tabus versteckten und von Scham durchtränkten Punkten zu äussern. Dass diese Art und Weise von gewissen Seiten als kontrovers oder gar provokativ eingestuft wird, sollte eigentlich niemanden so wirklich überraschen.

Wollen wir doch einmal herausfinden, ob die Maschinerie nach zehnjähriger Album-Absenz nach wie vor gewohnt präzise und gut geölt arbeiten kann.

Das Album – «Rammstein»

Der Eröffnungs-Track «DEUTSCHLAND» dürfte den meisten wohl bereits bekannt sein. Schliesslich wurde Ende März dieses Jahres auf dem Portal YouTube ein absolut sehenswertes Musikvideo dazu veröffentlicht. In die Produktion dieses Teils dürfte wohl ein stolzes Sümmchen geflossen sein. Allerdings kann sich das Endprodukt definitiv sehen lassen. Eine Reise durch die deutsche Geschichte im Schnelldurchlauf. Nach mehrmaligem Hören prägen sich die Riffs von Paul Landers und Richard Z. Kruspe immer besser in die eigenen Gehörgänge ein. Wie bei Rammstein üblich gibt’s es bei der Textinterpretation niemals eine hundertprozentig korrekte Antwort. «Deutschland! Meine Liebe kann ich dir nicht geben» – Till Lindemanns Worte kriegt man so rasch nicht mehr aus dem Kopf. Die Band scheint mit der Entwicklung ihres Heimatlandes alles andere als glücklich zu sein. Das ist schon einmal ein starker Auftakt! Schade nur, dass man das Piano-«MEIN HERZ BRENNT»-Outro aus dem Clip bei der Albumversion weggelassen hat.

Auch für den nächsten Song existiert bereits ein Musikvideo. Im Fokus steht das «RADIO» und die Macht, welche dieses Medium in gewissen Phasen unserer Geschichte hatte. Von den Goldenen Zwanzigern bis hin zu den Kriegszeiten. Das Gerät war für viele Menschen ein Tor zur Aussenwelt. Der Freiheitsgedanke ist omnipräsent. Nichtsdestotrotz ist zu beachten, dass Radio hören in gewissen Epochen eingeschränkt oder sogar verboten war. Musikalisch ist der Song einer Mischung aus Pop und Elektro-Elementen. Diese Kombination vermag mich nicht wirklich vom Hocker zu reissen.

«ZEIG DICH» setzt zu Beginn auf dramatische Chor-Passagen, ehe wieder die Riff-, Tasten- und Trommel-Fraktion das Kommando übernimmt. Till setzt hier primär beim Singen auf Abfolgen von Wörtern, die mit «v» beginnen (beispielsweise verlieren, Versuchung und vermehren). Aus meiner Sicht werden bei diesem Stück Glauben und Religion an den Pranger gestellt: «Kein Gott zeigt sich, der Himmel färbt sich rot.» Man glaube an etwas, dass weder existiert noch sichtbar ist. Und in der Stunde der Not kann einem Religion sowieso nicht helfen. Dies wären die Interpretationsversuche meinerseits.

Hui, bin aus Versehen an der «Street Parade» gelandet? Die elektronischen Melodien von «AUSLÄNDER» lösen in mir zumindest ein solches Gefühl aus. Glücklicherweise folgen dann mit der Zeit schon bald wieder Gitarren lastigere Abschnitte. Insgesamt fällt das Ganze aber irgendwie in die Kategorie Parodie. Ein Deutscher, der auf Reisen geht und sich in anderen Ländern entsprechend auslebt. Könnte während einer Live-Darbietung höchstwahrscheinlich für einige Publikumsaktivitäten sorgen.

«SEX» – ja darüber haben die Deutschen ebenfalls schon die eine oder andere Hymne geschrieben. Thematisch sicherlich ein Gebiet, in welchem sich die sechs Herren sicherlich bestens ausleben könnten. Komischerweise wirkt ausgerechnet dieser Song stellenweise ein bisschen zu zahm auf mich. Lobende Worte sind allerdings an den starken Auftakt zu richten. Danach flacht die ganze Sache leider ein bisschen ab.

Hab’ ich mich gerade über den mangelnden Härtegrad beschwert? Tja, da kommt «PUPPE» ja genau zum richtigen Zeitpunkt. Von einer sinnfreien Hau-Drauf-Nummer zu sprechen wäre jedoch unpassend. Till darf hier wieder einmal seinen inneren Psychopath herauslassen: «Und dann reiss ich der Puppe den Kopf ab. Ja ich beiss der Puppe den Hals ab.» Im Stück geht es um ein kleines Mädchen, das von seiner Schwester eine Puppe geschenkt bekommen hat. Offenbar dient das Spielzeug als Ablenkung, denn die Schwester arbeitet offenbar gleich im Zimmer nebenan als Prostituierte und möchte nicht, dass das kleine Mädchen dies mitbekommt. Dies geht natürlich schief und das Kind mutiert aufgrund des Gehörten immer mehr zum Monster. Rammstein pur würde ich meinen.

«WAS ICH LIEBE» kommt bei mir nach den ersten paar Durchläufen einfach nicht über den Status des Lückenfüllers hinaus. Das Teil braucht effektiv viel Zeit, um seine Wirkung zu entfalten. Dann sind aber tatsächlich jedes Mal noch mehr typische Rammstein-Elemente heraushörbar. Somit reicht’s schlussendlich für das Prädikat «solide».

«DIAMANT» ist das neue «OHNE DICH» – ein Gedanke, der offenbar nicht nur mir beim Hören des Liedes in den Sinn gekommen ist. Jep, das Sextett hat auch schon in der Vergangenheit bewiesen, dass es definitiv in der Lage ist, fantastische Balladen zu schreiben. Nach rund zweieinhalb Minuten endet das Teil jedoch etwas gar abrupt.

Oha, bei «WEIT WEG» wird eine regelrechte Synthesizer-Orgie gefeiert. Flake Lorenz holt alles aus seinen Tasten heraus. Die Nummer hat irgendwie ihren Reiz – auch wenn es sich nicht gerade um einen typischen Rammstein-Kracher handelt. Fairerweise ist anzumerken, dass ein gewisser Facettenreichtum schon immer Bestandteil im musikalischen Schaffen der Band gewesen ist.

Nichtdestotrotz hätte ich nach diesem gemächlicheren Trio gegen eine Tempoverschärfung und etwas mehr Wucht überhaupt nix einzuwenden. Da kommt «TATTOO» ja wie gerufen. Herumfliegende Mähnen dürften bei diesem Stück während eines Live-Auftritts zweifelsohne garantiert sein. Ich bin sicher, dass das eine oder andere Mitglied der Band ein Tintenbild auf der Haut trägt. «Wenn das Blut die Tinte küsst. Wenn der Schmerz das Fleisch umarmt» – dieser Beschrieb des Prozederes könnte so hinkommen. Als Tattoo-Jungfrau kann ich dies aber nicht mit hundertprozentiger Sicherheit beurteilen.

«HALLOMANN» – Track elf – das Finale. Dieses hat es in sich. Sofort werden Erinnerungen an  Songs wie «Wiener Blut» wach. Till lehrt dem Zuhörer mit seiner markanten und unverkennbaren Stimme das Fürchten – so, wie eben nur es kann. Andere müssen für einen solchen Effekt brüllen oder auf Growls zurückgreifen. An dieser Stelle möchte ich meine Hühnerhaut freundlich grüssen. Der Fronter scheint hier den Entführer eines kleinen Mädchens zu mimen. Dadurch dürfte für Diskussionen über diesen Schluss-Song ausreichend Gesprächsstoff vorhanden sein. Mit den Worten «Auf den Wellen dein Gesang» endet die Reise durch das neuste Rammstein-Werk.

Das Fanzit

Sie sind wieder da! Rammstein decken auf ihrem siebten Streich ihren gesamten Sound-Teppich ab. Vom stampfenden, knallharten Industrial-Kracher bis hin zu irgendwelchen Elektro- und Synthesizer-Geschichten ist alles am Start. Lyrisch schöpft Till Lindemann abermals aus dem Vollen. Interpretationsspielraum ist vielerorts vorhanden. Allerdings kommt das neuste Epos nicht ganz an die populärsten Werke der Deutschen heran. Die Fans kommen zwar unter anderem mit «DEUTSCHLAND» oder «ZEIG DICH» in den Hörgenuss von genialen neuen Hymnen, aber von den elf Album-Tracks weisen nicht alle das ganz grosse Hit-Potenzial aus. Produziert ist die Scheibe nichtsdestotrotz sauber und solide. Man darf ausserdem zurecht gespannt sein, wie sich die Songs bei ihrer Live-Feuertaufe anstellen werden. Dies werden die Schweizer Rammstein-Jünger dann am 5. Juni im Berner Stade de Suisse entsprechend herausfinden können.

Empfehlenswerte Hörproben: «DEUTSCHLAND», «ZEIG DICH», «PUPPE», «HALLOMANN»

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Trackliste Rammstein – «Rammstein»

  1. DEUTSCHLAND
  2. RADIO
  3. ZEIG DICH
  4. AUSLÄNDER
  5. SEX
  6. PUPPE
  7. WAS ICH LIEBE
  8. DIAMANT
  9. WEIT WEG
  10. TATTOO
  11. HALLOMANN

Line Up – Rammstein 

  • Christoph Schneider (Drums)
  • Richard Z. Kruspe (Gitarre)
  • Paul Landers (Gitarre)
  • Till Lindemann (Gesang)
  • Oliver Riedel (Bass)
  • Flake Lorenz (Keyboards)

Album Review Bewertung

Autor Bewertung: 7/10



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16.05.2019
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