Running Wild - Blood On Blood (Cover Artwork)
Fr, 29. Oktober 2021

Running Wild – Blood On Blood

Heavy Metal
27.10.2021
Running Wild - Blood On Blood (Cover Artwork)

Alle die mit uns auf Kaperfahrt fahren…

…müssen Männer mit Bärten sein. Ginge man mit der sich an das flämische Volkslied „Al die willen te kap’ren varen“ anlehnenden Seemannsweise konform, so wären Running Wild erst mal aussen vor. Kein Bart, kein Pirat! Auch wenn die deutschen Vorzeige-Freibeuter sich nie in ein so eindimensionales Schema pressen liessen, so verkörpern wohl nur wenige Bands dieses Image so sehr wie eben Running Wild. Ob ihr neustes Werk „Blood On Blood“ zu fröhlichem Säbelrasseln animiert, erfahrt ihr in den kommenden Zeilen.

Eigentlich hätte das nunmehr 17. Studiowerk des Piratenmetal-Urgesteins bereits 2020 in den Läden eintreffen sollen – eigentlich. Doch dann grätschte für einmal nicht Corona mitten in Pläne und Träume; nein, vielmehr zwangen Krankheit und Unfall Band-Kapitän Rock’N’Rolf Kasparek zur Untätigkeit (was da genau war, lest ihr in unserem Interview). Doch wo andere ob der widerlichen Umstände die weisse Flagge hissen, kommen echte Piraten erst so richtig in Fahrt! So nutzte der anno 1961 geborene Hanseat die ihm auferzwungene Schaffenspause denn auch weidlich und feilte vehement an den neuen Liedern.

„Blood On Blood“ bietet denn auch ein vielfächriges Potpourri an Running Wild-üblichen Tracks, welche sich von der individuellen Machart aber dennoch genügend voneinander abzugrenzen vermögen. Ein raues „Wings Of Fire“ hat nun mal nen anderen Groove als das anfangs gemächlich vom Stapel laufende „Crossing The Blades“, „The Shellback“ (welches den atmosphärischen Seefahrergroove des Klassikers „Black Hand In“ von 1994 aufnimmt und ein Gitarrenoutro erster Sahne bietet) ist grundsätzlich ne andere Hausnummer als sagen wir mal… „One Night, One Day“. Wobei gerade letzterer Song eine Ausnahmestellung auf der aktuellen Langrille einnimmt: Die sich geruhsam, aber stetig aufbauende Hymne lebt enorm von der exzellenten, unverzerrten Gitarrenarbeit des Herren Kasparek. Rolf: „Für mich war dieser Track ein kleines Experiment, an das ich mich bisher nicht herangewagt habe, denn ‚One Night, One Day‘ hat nicht diese typische Intro-Strophe-Refrain-Struktur, sondern baut sich im Laufe des Songs langsam auf.“ Ein Lied, das die Gemüter entzweien dürfte – das steht wohl schon mal fest – für mich aber auch der Beweis für den nach wie vor vorhandenen Wagemut von Running Wild.

Von Prophezeiungen…

Nicht minder bemerkenswert ist der groovende Rausschmeisser ‚The Iron Times (1618 – 1648)‘, welcher mit elf Minuten Spielzeit – der längste Track der Scheibe – einen würdigen Abschluss des Longplayers bildet, und dank seines Textes über den Dreissigjährigen Krieg auch eine der ambitioniertesten Nummern der Langrille ist. Wenn wir schon beim Seemannsgarn angelangt sind: „Wings Of Fire“ und „Say Your Prayers“ thematisieren Prophezeiungen, wenn auch nicht – wie auf vielen anderen Veröffentlichungen geschehen – von Nostradamus, sondern für einmal denjenigen von Johannes von Jerusalem, dem französischen Tempelritter und Mitbegründer des Templerordens, der schon im Mittelalter den Organhandel voraussagte. Historisch nicht minder interessant ist zudem „Crossing The Blades“, in welchem Running Wild die Geschichte der drei Musketiere aus dem 17. Jahrhundert aufgreifen. Deren Emblem wurde auf dem Cover-Artwork nachempfunden, welches wieder aus den Händen von Jens Reinhold (u.a. Virgin Steele, Freedom Call) stammt – gemäss Rolf eine Art Hybrid zwischen dem Kreuz der Musketiere und dem RW-typischen Maskottchen Adrian.

Nebst den Piraten- oder geschichtsträchtigen Themen liefert Rolf mit „Wild & Free“ und „Wild, Wild Nights“ wie üblich zwei in der „Hoch die Tassen“-Ecke (und ne Buddel voll Rum) anzusiedelnde Tracks ab, welche als pure Party-Rock-Kracher Einzug ins Setup nehmen und gemäss ihres Urhebers „einfach nur Spass machen sollen“. Ganz offen, meins sind sie nicht unbedingt, nerven mich bei ersterem doch etwas die Halleffekte im Refrain, derweil mich die „Hang On“-Shouts der wohl schon angesäuselten Crew bei letzterem nicht ganz so sehr zu überzeugen vermögen. Handkehrum kann man diese beiden Lieder natürlich auch unter der mehrfach zitierten Vielfältigkeit verorten – und live könnten sie durchaus die erhoffte Wirkung erzielen. Am besten, ihr bildet euch da selbst ein Urteil.

… und Fragen der Geschwindigkeit

„Blood On Blood“ verzichtet zudem wohl bewusst auf Anleihen an alte, mitunter als legendär zu bezeichnende Hymnen wie „Conquistadores“, „Uaschitschun“ oder „Under Jolly Roger“ – derartige Bezugspunkte sucht man auf der aktuellen Scheibe vergebens, was dem munteren Treiben jedoch eine gewisse Eigenständigkeit und Frische verleiht, welche so mancher alteingesessenen Band abgeht.

Lustig im Gesamtkontext ist zudem folgende auf YouTube mehrfach gepostete These: 90s Running Wild-> 1,5 Speed; 2000-2010 Running Wild-> 1,25 Speed; Today’s Running Wild-> normal Speed. Ganz von der Hand weisen lässt sich’s nicht, jedoch reflektiert dies wohl auch die Wandlung, welche jede Band über die Jahrzehnte hinweg vollzieht. Running Wild sind gewachsen, in gewisser Weise sicher auch erwachsen geworden – jedoch ohne ihre Ursprünge, ihre Essenz wirklich aus den Augen verloren zu haben.

„Blood On Blood“ mag für manche nicht unbedingt der Schatz am Ende des Regenbogens sein – ein eigenständiges, vielfältiges und vor allem rockiges Album ist es aber alleweil geworden.

Das Fanzit Running Wild – Blood On Blood

Klar kann man monieren, dass absolute Überhymnen eher Mangelware sind; andere mögen es schlicht als natürliche Weiterentwicklung einer der wohl einflussreichsten deutschen Power Metal-Bands der 80er-Jahre ansehen. Unterm Strich bietet das neue Album aber ein recht hohes Mass an guten, eingängigen und zuweilen sogar tollen Songs, so dass allenfalls nicht ganz so stark vertretene Klassiker durch sehr viel überzeugende Überdurchschnittlichkeit wettgemacht werden.

Ich lehne mich mal etwas aus dem Fenster: Der gute, alte old-school Metal Marke Running Wild ist zurück; grösstenteils zumindest. Die neue Langrille macht Spass, bietet wie versprochen eine nicht von der Hand zu weisende Variabilität und kann mit eingängigem Songwriting punkten. Fans können wohl ohne Bedenken zugreifen, Freunde guten, schnörkellosen Metals sollten zumindest mal reinhören.

Anspieltipps: Say Your Prayers; Crossing The Blades; One Night, One Day; The Shellback; The Iron Times (1618-1648)

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Trackliste Running Wild – Blood On Blood

  1. Blood On Blood
  2. Wings Of Fire
  3. Say Your Prayers
  4. Diamonds & Pearls
  5. Wild & Free
  6. Crossing The Blades
  7. One Night, One Day
  8. The Shellback
  9. Wild, Wild Nights
  10. The Iron Times (1618 – 1648)

Line Up – Running Wild

  • Rock N’ Rolf – vocals, guitars
  • Peter Jordan – guitars
  • Ole Hempelmann – bass
  • Michael Wolpers – drums

 

Video Running Wild – The Shellback


Album Review Bewertung

Autor Bewertung: 8.5/10



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Autor
27.10.2021
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