Metalinside.ch - Krokus - Hallenstadion Zürich 2019 - Foto Liane
Mi, 24. Februar 2021

Krokus – Interview mit Chris von Rohr

Hardrock
31.03.2021
Metalinside.ch - Krokus - Hallenstadion Zürich 2019 - Foto Liane

Zwischen Promostress und Vorruhestand

Krokus waren und sind eine feste Grösse in der Schweizer Musikwelt – es gibt wohl kaum eine andere einheimische Band, welche ihr Ding dermassen konsequent und gradlinig durchgezogen hat wie die aus Solothurn stammenden Rocker. Doch nun ziehen Krokus den Stecker – und geben uns zum Trost „Adios Amigos“ mit auf den Weg, eine Live-Scheibe, welche anlässlich ihres Auftrittes anno 2019 in Wacken mitgeschnitten wurde. 

Wir haben uns mit Krokus-Mastermind Chris von Rohr über aktuelle Themen wie Corona, ihren letzten Auftritt im hohen Norden Deutschlands sowie den Zustand des Musikbusiness unterhalten – und darüber hinaus auch einen Blick zurück auf jede Menge lebende Rockgeschichte geworfen (in welcher auch ein die Bühne stürmendes Hausschwein eine gewisse Rolle spielt – doch lest selbst).

Metalinside (Sandro): Sandro hier von Metalinside.ch, hallo Chris! Wie geht es dir?

Chris: Metalinside Punkt CH – hey Sandro, sei gegrüsst! Mir geht es soweit gut, danke.

MI: Wie ich von Sophie von Sony Music gehört habe, hast du momentan so einiges um die Ohren. Wie schaut zurzeit ein Tag im Leben des Chris von Rohr aus?

Chris: Ich gehöre zu den Frühaufstehern, meistens ist bei mir so um 8 Uhr Tagwache. Dann geht es erst mal für ein paar Kilometer aufs Crossbike um fit und in Form zu bleiben, gefolgt von einem Glas warmem Wasser mit Ingwer und ein bisschen Meersalz. Danach widme ich mich dann zumeist einer Kolumne oder lese Interviews gegen, gefolgt von einem kleinen nachmittäglichen Walk draussen an der frischen Luft. Anschliessend setze ich mich an die Gitarre oder ans Klavier, und gegen Abend geht es dann wieder mit dem Schreiben weiter. Und irgendwann kommt dann noch meine Liebste und schiebt mir noch irgendwie etwas Liebes-Futter hinein (lacht). So geht das momentan Tag für Tag – also gerade wenig Glamouröses, sondern eher biedere Heimarbeit ausser dem Liebesfutterritual.

MI: Inwiefern hat Corona dein Leben oder auch das von Krokus in den letzten Monaten beeinflusst? Und hast du vielleicht ein neues Hobby für dich entdeckt?

Chris: Ich muss dir ehrlich sagen, abgesehen davon, dass der Abschluss unserer Welttournee, die uns letztes Jahr noch nach Mexiko, Kanada, England und die USA geführt hätte, gekappt worden ist, hatte das Ganze auf mich persönlich keinen grossen Einfluss. Ich war schon immer ein Homeworker, unten in meinem Haus befindet sich das Probelokal, wo wir jeweils mit der Band proben, auf der mittleren Etage habe ich meine Gitarre und mein Klavier, oben ist das Aufnahmestudio… ich arbeite sowieso die grösste Zeit über bei mir zu Hause, so dass das Ganze mein Leben nicht zu sehr auf den Kopf gestellt hat. Gut, ich hatte dadurch wieder etwas mehr Zeit, mich der Malerei zu widmen – ich spiele sehr gerne mit Farben, so in Richtung Expressionismus, aber ansonsten war es eigentlich Business as usual. Zudem lese ich auch gerne.

Was mir aber je länger je mehr Unbehagen bereitet, ist die unglaubliche Unverhältnismässigkeit, mit welcher unsere Politiker die Corona-Krankheit angehen. Nur ein Beispiel: Die Läden sind offen, derweil Restaurants, welche extreme Sicherheitsvorkehrungen treffen, weiterhin geschlossen bleiben müssen. Zudem werden Kinder zum Teil in Masken gezwängt – mir tut insbesondere die Jugend leid, der so ein Jahr ihres Lebens gestohlen wird, und dies wegen etwas, bei dem sich nicht einmal Wissenschaftler und Epimologen einig sind. Beim Autofahren ist das klar: Wenn du mit 250 oder 300 Stundenkilometern fährst und eine Kurve kommt, so ist das Unfallrisiko relativ hoch, da herrscht ein allgemeiner Konsens. Aber wegen Corona ist nun einfach der Wahnsinn ausgebrochen. Was mich bei alledem am meisten stört ist, dass diejenigen, welche ein etwas anderes Bild von alledem haben und nicht in die mediale Panikmache mit hineindriften, diffamiert und als Covidioten bezeichnet werden.

Als besonders bedenklich empfinde ich zudem, dass fast alle Medien dies unterstützen, was zumindest bei mir früher oder später die Frage aufwirft: Wieso wohl? Und dann kommst du zum Schluss, dass es da um Geld und Macht geht, um Vollmachten, in denen sich die Politiker im Moment suhlen. Und um gebrochene Grundrechte. Das ist einfach nicht in Ordnung, und früher oder später wird der Tag kommen, an dem dieses Kartenhaus in sich zusammenfallen wird. Die Schweizer sind im Allgemeinen eher zurückhaltend, keine Revoluzzer-Typen, aber im Volk brodelt es. Es gibt sehr, sehr viele unzufriedene Leute, die bis jetzt stillgehalten haben.

Was bleibt, ist die grosse Frage: Wer soll das alles bezahlen? Und ja, schützt die Alten, die Risikogruppen, aber hört bitte auf, diese zu drangsalieren. Es kann doch nicht sein, dass ältere Personen, die kurz vor dem Tod stehen, ihre Familienangehörigen nicht mehr sehen dürfen. Das ist Wahnsinn. Da ich eine monatliche Kolumne für die Schweizer Illustrierte schreibe, habe ich sehr viele Informationen aus Schulen und Spitälern und kenne zudem viele Ärzte, und unterm Strich komme ich zum Schluss, dass das ganze Management des Bundes sehr schlecht ist, und dass dabei Allmachtsphantasien ausgelebt werden, ohne das Ganze mit dem Parlament, ohne mit dem Stimmbürger und Steuerzahler abzustimmen. Und das hat jetzt nichts mit Virusleugner oder SVP oder what ever zu tun, sondern ist einfach die logische Schlussfolgerung, dass die Art und Weise, wie auf diese Krankheit reagiert wird, einfach out of any proportion, einfach too much ist. Und das wird in 20, 30 Jahren auch so in den Geschichtsbüchern stehen. Ich bin echt gespannt, wie sie zu dieser Sauce hinauskommen wollen, ganz ehrlich gesagt.

Du kannst nicht eine ganze Jugend wegsperren, nur um dieser Krankheit Herr zu werden. So werden die noch Gesunden krank.

Eben erst wurde berichtet, dass es in den USA wegen Corona über 500’000 Tote gegeben habe – hey Amigos, erstens sind viele nicht wegen sondern mit Corona gestorben, zweitens ist das ein riesiges Land, und wenn man dann mal rechnet, was sonst auf diesem Planeten pro Jahr sonst noch stirbt, an Krebs, an Diabetes, an Fettleibigkeit, Car Crashes, dann musst du dich irgendwann mal fragen: Amigos, ist das, was wir da ablassen, nicht etwas übertrieben? Wir müssen lernen, mit dieser Krankheit zu leben, Punkt, Ende, Aus. Hände waschen, Hygieneregeln befolgen, mit dem liesse sich das machen, aber man kann mit der ganzen Panikmache natürlich wunderbar Geld verdienen. Und die Presse weiss, dass sie damit Klicks generieren kann. An einer der allerersten Pressekonferenzen hat Bundesrätin Sommaruga verlauten lassen, dass sie den Medien sehr viele Mittel bereitstellen wolle. Das hängt alles zusammen, da ist schon eine Logik dahinter erkennbar. Eine traurige Logik und es tut mir wirklich sehr leid für die jungen Leute – für die tut es mir am meisten leid. Übrigens, wer wirklich wissen will, was hintenrum so läuft, dem empfehle ich den super Gratisblog von Milosz Matuschek: «Freischwebende Intelligenz». Check it out!

MI: Du hast vorhin das Wort „Amigos“ mehrmals verwendet, was mir die Gelegenheit gibt, einen wunderbaren Bogen zu einem erfreulicheren Thema zu spannen – letzten Freitag ist euer Abschiedsalbum erschienen, eine Live-Scheibe, die 2019 in Wacken aufgenommen worden ist und gleich Platz 1 der Hitparade belegte. Wie viel Wehmut schwingt da mit, wenn du da oben auf der Bühne stehst und realisierst, dass es wohl eines deiner letzten Konzerte mit Krokus oder vielleicht auch generell ist, das du spielen wirst. Oder ist das etwas, was du erst später so richtig realisierst?

Chris: Ich bin gerade daran, einen Essay für die Weltwoche zu diesem Thema zu schreiben – „Von Woodstock nach Wacken“ – in dem es um den langen Weg geht, den du gemeinsam als Band hinter dir hast, dieses ganz besondere Feeling, das sich dann einstellt. Klar, wir haben schon an vielen Festivals gespielt, aber Wacken ist (schon) etwas sehr Spezielles. Aber schlussendlich fokussierst du dich wie sonst auch voll und ganz auf diese eineinhalb Stunden auf der Bühne; da denkst du an nichts anderes, auch nicht daran, dass das nun vielleicht das letzte Mal sein wird. Da wir vorab keinen Soundcheck hatten, war es uns zudem enorm wichtig, einen guten Sound zu haben, denn damit geht eben auch die ganze Spielfreude einher. In so einer Situation bist du auf topprofessionelle Tonmenschen angewiesen, was in Wacken zum Glück der Fall war. Danach begibst du dich in diesen Tunnel, bereitest dich vor, wärmst dich auf – und springst dann auf diese Bühne. Die gigantischen 70’000 Zuschauer, die gerockt werden wollen, nimmst du schon irgendwie wahr, denkst dir, genau dafür leben wir, für dieses Gefühl haben wir die ganzen Jahre über die ganzen Strapazen auf uns genommen. Aber danach musst du dich zu einhundert Prozent auf dich selbst, auf dein Instrument sowie vor allem auf den Song und die Band konzentrieren, damit du richtig mit Freude Musik machen kannst und schlussendlich der Funke überspringt. Das ist eigentlich unser einziges Anliegen an so einem Tag.

Und es hat schlussendlich ja auch wunderbar funktioniert. Das Lustige an der ganzen Sache ist, dass wir eigentlich gar nicht geplant hatten, eine DVD oder sowas in der Art herauszubringen. Als wir dann aber im Nachhinein sahen, wie verdammt geil und professionell das ganze gefilmt worden war, mit einem derart guten Ton obendrauf, ist in uns dann nach und nach der Gedanke gereift, dass sowas gerade in dieser kargen Zeit eine tolle Sache wäre, etwas, das wir mit unseren Fans teilen könnten. Denn eigentlich gibt es noch gar keine DVD, welche Krokus live in Concert zeigt. Man hat dieses filmische Dokument von einem wunderbaren, intensiven, ja magischen Nachmittag, an dem irgendwie alles gestimmt hat. Ich musste als Produzent nicht gross daran herumdoktern, das kam einfach so und that’s it. Das Album ist das eine, aber wir haben es eigentlich wegen der DVD gemacht.

MI: Das wäre dann auch meine nächste Frage gewesen, wie viel Nachbearbeitung in „Adios Amigos“ steckt, aber so wie du das beschreibst, ist die Scheibe sehr nahe an der Rohfassung, resp. nichts geschönt.

Chris: Nein, es gab nur ganz kurz ein Problem mit einem Paukenfell, das im Nachhinein behoben wurde, aber spielerisch musste nichts, aber wirklich gar nichts nachbearbeitet werden. Jeder von uns war durch all die Festivals damals bestens eingespielt und hatte einen absolut guten Tag erwischt – was ja auch nicht immer gegeben ist.

MI: Was mir zudem gefallen hat – vielleicht auch im Vergleich mit anderen Live-Alben, die in der letzten Zeit erschienen sind – ist, wie es euch gelungen ist, dieses Live-Feeling einzufangen. 

Chris: Hast du die DVD gesehen?

MI: Ich hatte sie heute Morgen um 11:30 Uhr im Briefkasten und so die Möglichkeit, noch kurz hinein zu schauen. Cool fand ich vor allem auch die tollen Schnitte.

Chris: Das ist eben genau der Punkt. Wir wollten das Ganze so rau, so dreckig und live belassen, nicht gross daran herumwerkeln. Uns war es wichtig, dass alles möglichst authentisch, ehrlich klingt, denn das ist es auch, wofür der Name Krokus steht. Wir sind in diesem raueren Rock-mit-Bluesroots-Bereich unterwegs, und keine von diesen heraufgepitchten Metalsound-Bands, bei denen durch Überkompression am Schluss alle Gitarren gleich gesichtslos tönen.

MI: Weisst du noch, wie ihr die Setlist zusammengestellt habt?

Chris: Das hängt stets ein wenig davon ab, in welchem Land wir spielen. Kennen sie dort zum Beispiel ein „Tokyo Nights“, also einen Song, den wir normalerweise im Set drin haben. Solche Dinge werden im Vorfeld sicher abgeklärt. Zudem spielt da auch das Bauchgefühlt eine grosse Rolle, welche Songs wir selbst gerne spielen, so ergibt sich dann vieles auch von selbst. In Wacken hatten wir darüber hinaus den Vorteil, dass wir zuvor schon an anderen Festivals und Konzerten aufgetreten waren und daher gut eingespielt und auch voll fit waren. Wir kamen dahin, haben wirklich abgedrückt, das Beste gegeben. Tags darauf bin ich dann noch für zwei Tage zu Udo Lindenberg gegangen, da Wacken ja in der Nähe von Hamburg liegt. Rückblickend gesehen war es ein perfekter Sommer. Das Konzert fand ja auch noch am 1. August statt, einen besseren Nationalfeiertag hatten wir noch nie (lacht). Es war einfach unglaublich, sehr schön, ein absolutes Highlight.

MI: Wieso hattet ihr mit „Rockin In The Free World“ und „Quinn The Eskimo“ zwei – wenn man „American Woman“ noch dazu nimmt – drei Coverversionen im Programm? Klar, es sind absolut geile Songs, aber ihr hättet gewiss genügend eigenes Material gehabt, denke ich mal?

Chris: Für uns sind das keine normalen Coverversionen. Nimm zum Beispiel „American Woman“, da kam der Komponist Randy Bachman [The Guess Who] zu uns und meinte, das sei ja geiler als ihr Original. Der Punkt ist: Wir gehen das an wie Joe Cocker! Wir „krokusizen“ so einen Song, betrachten ihn als den unsrigen und setzte das dann auch konsequent um. Wer ihn komponiert hat, ob ein von Rohr, ein von Arb oder dieser oder jener, das ist uns eigentlich scheissegal, Hauptsache, es klingt nach Krokus. Dasselbe gilt für „Rockin In The Free World“, welcher aus der Feder eines Heroes unserer Jugendzeit stammt, Neil Young. Dem Song haben wir dermassen unseren Stempel aufgedrückt, dass er noch immer wie blöde millionenfach gestreamt wird – einfach, weil es gut umgesetzt ist. Zudem trägt der Song noch ein geiles Statement in sich.

Was viele zudem nicht bemerkt haben, ist, dass wir ganz zum Schluss – als wir nach der Zugabe noch auf der Bühne standen – den Song zu singen begangen, der damals in Woodstock so als Anti-Kriegshymne von Country Joe And The Fish vorgetragen wurde. Ganz a cappella, einfach so, zum Plausch, ohne Band. Marc begann zu singen, wir setzten ein… Weisst du, uns geht es um die Musik, um die Melodie oder die Botschaft – es ist das, was wir transportieren wollen. Wer es komponiert hat, spielt für uns schlussendlich keine Rolle. Und wir haben auch nicht den Stolz, jetzt genau unbedingt nur unsere eigenen Songs vom Stapel zu lassen. Du hast absolut Recht, wir haben fucking genügend eigene Songs, aber sie müssen an das jeweilige Konzert und zum jeweiligen Tag passen. Und das war bei diesen Liedern eben genau der Fall. Kommt hinzu, dass viele Leute gar nicht wissen, woher zum Beispiel „American Woman“ kommt. Die meisten denken, er sei von uns, oder dann sonst von Lenny Kravitz, der sich für seine Version durch uns inspirieren liess.

Ich denke, man darf so etwas nicht zu eng sehen. Aber in der Schweiz wird es eben immer Leute geben, die etwas zu Motzen haben – das scheint in unserem Naturelle zu liegen. Man muss einfach das Haar in dieser Suppe suchen, und wenn sie das glücklich macht, dann mögen sie das tun.  Das ist ok, ich habe kein Problem damit. Uns ist einfach wichtig, dass die Stimmung da ist. Und wenn du spielst, merkst du relativ schnell, ob ein Song bei den Leuten ankommt, ob sie Freude daran haben oder nicht. Und solange wir spüren, dass die Leute dabei sind, passt da so für uns.

MI: Das ist meines Erachtens etwas, was „Adios Amigos“ auszeichnet – es wirkt wie aus einem Guss, es klingt nach Krokus, und erst das Booklet schafft bei Uneingeweihten Klarheit, dass da auch Fremdkompositionen mit von der Partie sind.

Chris: Das ist ein grosses Kompliment, vielen Dank! Und wir geben uns diesbezüglich auch wirklich grosse Mühe, denn es bringt niemandem etwas, eine Art Fremdkörper im Set zu haben. Und ja, logischerweise haben wir die Songs zuvor auch an anderen Orten getestet. Schlussendlich musst du speziell bei Festivals einfach dieses Partyfeeling rüberbringen. Die Leute müssen Freude haben.

MI: Bist du nach 40, 45 Jahren im Musikbusiness vor einem Gig eigentlich noch nervös?

Chris: Offen gestanden hängt das immer von der Tagesform ab, aber man weiss mit der Zeit vielleicht etwas besser, wie man damit umgeht. Wenn ich an meine allerersten Gigs zurückdenke, in kleinen reformierten Gemeindehäusern oder im Saal des Hotels Krone… da war ich noch Schlagzeuger, und meine Hände haben vor lauter Nervosität dermassen stark gezittert, dass ein Schlagzeugwirbel fast von alleine gekommen ist (lacht). Aber mit der Zeit sowie der wachsenden Erfahrung beginnt sich das dann zu legen. Doch dieser Adrenalinschub ist noch immer da, diese letzten zehn Minuten vor einem Gig, das sind die einsamsten Momente überhaupt. Udo Lindenberg hat darüber übrigens auch ein Lied geschrieben. Du bist in deinem eigenen Tunnel, musst mit dir selbst klarkommen, voll konzentriert sein – da kann dir niemand helfen, da musst du alleine durch.

MI: Du hast eben kleine reformierte Gemeindehäuser erwähnt – wo spielst du lieber, Hallenstadion, Wacken, oder eher an kleineren Orten?

Chris: Einer unserer Lieblingsorte war das Volkshaus in Zürich. Oder das Metropole in Lausanne, das sind Hallen, die je so 1200 – 1500 Leute fassen. Warum? Jede Bühne klingt anders, und je besser der Bühnensound, umso mehr bist du stimuliert, geile Musik zu machen. Kleinere Bühnen sind immer besser, gerade für Bands, die laut spielen. Die meisten Bands, die ich sonst höre, spielen leiser als wir – manchmal denke ich dabei, hey, werft das Zeugs mal an (lacht). Aber bei dem Rohr, das wir bringen, so AC/DC- oder Black Sabbath mässig, da bist du umso mehr auf sowas angewiesen, allein schon, um die ganze Dynamik hinzubekommen. Bei Open Airs ist das noch ne Stufe kritischer, da der Wind mit hineinspielt, es noch so viele andere Einflüsse gibt, die du nicht kontrollieren kannst – du spielst da in the great white open, wie Tom Petty es mal so schon ausgedrückt hat. Und um deine Frage zu beantworten: Unsere favorite places sind so die mittelgrossen, eher etwas kleineren Hallen.

MI: Inwiefern spielt hier der Kontakt zum Publikum mit hinein?

Chris: Das spielt keine allzu grosse Rolle, da wir in erster Linie für uns spielen. Aus meiner Sicht empfiehlt es sich auch nicht, allzu viel Cabaret mit dem Publikum zu veranstalten – stay with your instrument and your song. Es ist durchaus ok, nach vorne zu schauen und die Show etwas mit zu zelebrieren, aber du darfst dich von der Menge nicht verleiten lassen. Früher haben wir diesen Fehler zuweilen noch gemacht, als bereits beim ersten Song die Hölle los war und die Leute durchgedreht sind, aber da musst du cool bleiben. Klar freut es dich, wenn es so richtig abgeht, aber das Einzige, was schlussendlich zählt, ist der Sound. Wenn der stimmt, dann ist alles möglich, dann ist Magie möglich. Wenn der Sound hingegen schlecht ist, dann ist es nur Arbeit, und das möchtest du im Rock’N’Roll eher nicht.

MI: Wenn du auf die letzten 45 Jahre zurückblickst, was waren deine verrücktesten Erlebnisse?

Chris: Oh, da gibt es viele… spontan fällt mir ein Gig im Paradiso in Amsterdam ein, ein Club, in dem wir gespielt haben und auf einmal das Hausschwein die Bühne gestürmt hat (lacht). Kein Scheiss! Und in Amerika natürlich die barbusigen Frauen, die ihre BHs nach vorne schmeissen oder auf die Bühne springen. Es gab so viele unvergessliche Momente, Regen, Blitz und Donner, oder auch einmal eine Mückenattacke in den USA, als ein riesiger Mosquitoschwarm auftauchte und die ganze Band mit Stichen eingedeckt hat.

Aber es ist eine gute Frage, denn in den über 2000 Konzerten, die wir gespielt haben, sammeln sich so viele crazy Momente an, bei denen du dich fragst, wie so etwas überhaupt möglich sein kann.

Oder ganz am Anfang, als wir vor gerade mal sieben, acht zahlenden Leuten aufgetreten sind, und Fernando und ich bei Minusgraden Plakate aufgehängt haben, um die Zuschauerzahl auf zehn zu pushen – und du stehst da oben und gibst trotzdem alles, weil du denkst, immerhin sind die gekommen, denen wollen wir alles geben. So etwas vergisst du nie mehr. Und gerade das sind auch Dinge, die für die Entwicklung einer Band enorm wichtig sind: Dass es nicht wie eine Rakete losgeht, sondern du zu Beginn auch vor wenigen Zuschauern bestehen musst.

Denn du machst das Ganze in erster Linie für die Musik und dich, nicht für die Leute. Das soll jetzt nicht arrogant rüberkommen, aber wenn du anfängst Musik zu machen, dann geschieht dies aus deiner Liebe zur Musik. Du tust es primär für dich, für die Band, und erst dann kommt der Faktor Erfolg und Zuschauer ins Spiel. Natürlich ist es toll, wenn es dir gelingt, viele Leute für das, was du tust, zu begeistern, aber an erster Stelle steht die Musik und die Freude, die du damit verbindest.

MI: Was hat sich im Verlaufe der Jahre im Musikbiz aus deiner Sicht am meisten verändert?

Chris: Ganz zu Beginn, als wir angefangen haben, war das Ganze noch kein Geschäft – und wenn man von „Geschäft“ gesprochen hat, dann ging es darum, wie viele Frauen man flachgelegt hatte (lacht). So Ende der 60er Jahre ist das dann förmlich explodiert, es wurde zu einem Business und alles irgendwie schwieriger, mit Plattenfirmen, mit Management, mit allem. Und viele Bands wurden ausgenommen wie die Weihnachtsgänse. Und das ging dann munter so weiter. Am Anfang erschien ja alles noch auf Schallplatte oder MC – dann haben die Plattenfirmen auf CDs umgestellt und man durfte sich den gesamten Katalog nochmals neu kaufen, womit noch einmal so richtig Kohle gemacht werden konnte. Und jetzt gerade ist wieder alles im Umbruch, alles gratis respektive Streaming, so dass die jungen Bands kaum mehr was verdienen.

Früher war die Musik eine Art Landkarte des Lebens, ein ganz spezielles Feeling, das ich fast nicht beschreiben kann. Dieses Gefühl, einem Geheimbund anzugehören, der Ruf, den die Musik damals hatte, sie als Richtstern fürs Leben zu sehen, das ist heute völlig weg. Musik ist zur Nebensache verkommen, hat nicht mehr denselben Stellenwert; Computerspiele und der ganze digitale Wahnsinn haben sie verdrängt. Diese Veränderung von den 60er Jahren bis jetzt ist eminent.

Musik war damals wirklich etwas ganz Starkes, fast wie eine Religion oder Medizin und so sind denn auch die geilsten Bands, die geilsten Songs damals entstanden… in meiner Musikbox hat es nur 60s-Songs, von Jimi Hendrix über The Who, Beatles, Stones, Kinks, Janis Joplin und, und, und… Und das, was wir jetzt hören, ist meistens die Kopie einer Kopie einer Kopie. Wenn meine Tochter mit einem neuen Song daherkommt, dann sage ich meistens, du, das ist das und das, das hatten wir schon mal.

Irgendwie scheint es so, als verhielte es sich ganz ähnlich wie damals in den 60ern. Und vom Geld verdienen musst du erst gar nicht sprechen. Du kannst es nur schaffen, wenn du die Musik über alles liebst, sie als deine grosse Passion ansiehst. Und wenn du wirklich Glück hast, so kannst du damit noch ein paar Dukaten verdienen, aber es ist wieder wirklich verdammt schwer geworden für die Jungratten.

MI: Das wäre denn auch meine nächste Frage gewesen – ob es für eine junge Band heute einfacher oder schwieriger ist, im Musikbusiness Fuss fassen zu können.

Chris: Ich würde sagen, es ist in etwa gleich schwierig wie damals in den 60er Jahren, nur dass sich das Ganze damals noch nach vorne entwickelt hat – als sich alles so langsam zu etablieren begann, in dieser Gebärstunde der Rockwelt. Aber vielleicht ist die momentane Entwicklung ja auch eine gesunde Reinigung.

In den 90er Jahren wie auch im darauffolgenden Jahrzehnt hat ja jeder Idiot eine CD veröffentlicht – es war richtiggehend inflationär. Wenn du in einen Plattenladen kamst, hattest du keine Ahnung mehr, was du kaufen solltest. Als ich aufgewachsen bin, hattest du zwei Gestelle: LPs, Singles. Die hast du dann durchkämmt und wusstest, was in diesem Monat neu herausgekommen war. Du hattest noch die Übersicht und konntest so in diese Welt hineinwachsen.

Von dem her könnte die stattfindende Reinigung auch gut sein, denn so werden nur die, welche es auch wirklich ernst nehmen und die, welche Musik im Herzen tragen, zum Zuge kommen.

Ich habe letzthin eine Band aus Zermatt namens „Sky Of Augustine“ beraten – sie spielen eine ganz andere, sehr feine Musik – aber wenn ich sehe, wie viel Talent die mitbringen, dann mache ich mir definitiv keine Sorgen um die Jugend. Am Schluss geht es aber auch darum, etwas durchzustehen und ohne Plan B dranzubleiben – daran scheitern die meisten Schweizer Bands. Es geht ihnen zu gut – sie haben zu viele andere Optionen im Leben. Wir haben damals auch alles auf eine Karte gesetzt, unsere Jobs aufgegeben und uns ein wenig von Frauen sponsoren und unterstützen lassen. Das war damals schon fucking risky. Du musst einfach bereit sein, dich durchzubeissen, egal was du im Leben machst, sei es als Musiker, als Schauspieler, als Maler, als Bildhauer. Du musst es wirklich wollen, noch etwas Talent mitbringen und deinen Weg konsequent verfolgen. In der Schweiz ist man halt sehr verwöhnt, man hat diesen Nanni-Sozialstaat, auf den du dich fast immer verlassen kannst. Für jene, die durch die Maschen der Leistungsgesellschaft gefallen sind, ist das gut und beruhigend. Für Künstler hingegen nimmt das oft aber eben auch diese so wichtige Dringlichkeit und Kreativität.

MI: Welche Tipps würdest du deinem jüngeren Ich mit auf den Weg geben, wenn du die Chance dazu hättest?

Chris: Einen Tipp geben – ich weiss nicht, ob das das etwas brächte. Einfach Sorge zu Herz und Ohren tragen (lacht). Ich würde sehr gerne nochmals die Anfänge erleben, Jimi Hendrix im Hallenstadion schauen gehen, Queen gerne nochmals live sehen, solche grossen Dinge eben. Ich habe Konzerte besucht, die unglaublich stark waren und welche die Leute auch heute noch begeistern würden, davon bin ich überzeugt. (Etwas emotional) Oder „Inside“, das Trio, bei dem ich ganz zu Beginn mitgespielt habe und von dem meine beiden Mitmusiker leider nicht mehr leben – einer davon war Tommy Kiefer, der dann ja auch bei Krokus dabei war. Wir haben da wirklich wie die Wahnsinnigen abgedrückt. Auch da würde ich mich gerne nochmals zurückbeamen und ein, zwei Auftritte miterleben, vielleicht auch als Zuschauer. Solche Sachen halt… Hätte, hätte Velokette (lacht). Es ist halt, wie es ist. Es geht voran und niemand weiss genau, wohin einen die Reise schlussendlich führen wird. Allerdings bin ich ziemlich zuversichtlich, dass, solange es Säugetiere wie den Menschen geben wird, die Gitarrenmusik, also die Gitarren-betonte Musik, die so nicht im Radio stattfindet, auf jeden Fall bestehen bleiben wird. Wie oft wurde der Rock schon totgesagt, aber es gibt ihn immer noch.

MI: Ihr habt ja noch ein paar Auftritte vor euch, die wegen Corona ausgefallen sind, und dann ist irgendwann mal Schluss mit Krokus. Wie wird es bei dir persönlich weiter gehen? Ich schätze dich nicht unbedingt als jemanden ein, der dann einfach still und ruhig seinen Ruhestand geniessen wird – wenn man schaut, was du nebenher noch so alles machst, so müsste man sich wohl eher fragen, wie viele Stunden ein Tag von Chris von Rohr wohl hat?

Chris: (lacht) Ja, wir haben uns ganz bewusst dazu entschieden, unseren Abschied jetzt zu geben, da wir mit Krokus on the top, wenn’s noch richtig gut ist, abtreten und nicht bis zum Schlag-Mich-Tot spielen möchten. Und wenn es unsere Gesundheit erlaubt, dann werden wir 2022 das auch wie geplant zu einem Ende bringen. Eine ewige Abschiedstour wird es nicht geben, das ist allen von uns klar. Und danach… Musiker sein ist kein Jackett, das du einfach ausziehst, das bleibst du dein Leben lang. Sich damit zu befassen ist wie ein Blick durch ein Mikroskop, du entdeckst immer wieder Neues, lernst dazu. Und man kann ja auch im kleinen Rahmen spielen – ich brauche eine Gitarre und ein Piano nur schon als Therapie, als Medizin, sonst drehe ich durch. Unten im Haus habe ich noch das Schlagzeug, auf dem ich auch noch ab und zu spiele…

Das wird sicher so bleiben, und das Schreiben sowieso – als Zweitberuf bin ich Buchautor, Chronist und Schreiber. Zudem bin ich der einzige Schweizer Musiker, der es geschafft hat, mit einem Sachbuch [„Himmel, Hölle, Rock ’n‘ Roll“] zuoberst auf der Bestsellerliste zu landen. Das motiviert mich, weiterzumachen. Und das Malen habe ich ja bereits erwähnt. Für mich wird das Leben also kreativ weitergehen – genauso kreativ, als wenn ich irgendwo auf Tournee bin und jeden Abend quasi dieselben 18 Songs spiele. So ist dann eher noch mehr möglich – etwas, das ich auch damals bemerkt habe, als es bei Krokus für etwa 20 Jahre auseinandergegangen ist. Das war für mich eine sehr lehrreiche Zeit, ich habe andere Bands produziert [u.a. Gotthard], habe mein Songwriting verfeinert – es gibt immer Neues, das man lernen und entdecken kann. Aber meine Passion bleibt Musik und Schreiben.

MI: Zum Schluss: Hast du noch ein paar finale Worte an eure Fans?

Chris: Wir verspüren sehr grosse Dankbarkeit, dass uns unsere Fans so lange die Stange gehalten haben. Auch für die schönen E-Mails, in denen sich die Leute bedanken, dass sie so viel zusammen mit Krokus erleben durften. Ich kann nur betonen, dass wir das extrem schätzen! Extrem! Und wir hoffen natürlich, dass dieser Afterburner, der Klang dieser Band noch ein wenig weiterleben wird, dass die Eltern das vielleicht an ihre Kinder weitergeben werden. Denn ich denke wirklich, dass Krokus eine echt spezielle Band ist, die auch eine ganz besondere Geschichte hinter sich hat. Und das hat eben auch mit den Fans zu tun, die uns das alles ermöglicht haben. Denen ein grosses Dankeschön! Keep rocking in the free world! Wir leben nur einmal – das sollten wir alle nie vergessen.

MI: Ein ganz herzliches Dankeschön auch an dich für dieses Interview!

 

Video Krokus – Adios Amigos Live @ Wacken

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