Zeituhr - Eskapism (CD Cover Artwork)
So, 3. November 2019

Portrait-Inside – Interview mit Lars Tellmann aka Zeituhr

Ambient, Electronic
16.11.2019
Zeituhr - Eskapism (CD Cover Artwork)

Entspannung & Weltflucht = Eskapism

Unter dem Künstlernamen Zeituhr veröffentlicht Lars Tellmann nicht nur sphärische Sounds, sondern lässt seiner Kreativität auch in der Fotografie freien Lauf. Der von ihm geschaffene Mirrorman hat es bereits auf diverse Plattencover und in einen Video Clip geschafft.

Eigentlich wollte ich Lars Tellmann bereits im Juni 2019 treffen, als ich wegen King Crimson nach Stuttgart gepilgert bin. Irgendwie hat das aber zeitlich alles nicht geklappt bzw. die Deutsche Bahn hatte uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Drei Monate später haben wir es dann endlich geschafft. Welche Plattencover sein Artwork zieren und welchen Bezug er zu harten Klängen hat, erfahrt ihr hier im Interview.

Metalinside (Liane): Lars, Du hast unter deinem Künstlernamen Zeituhr kürzlich das Album «Eskapism» veröffentlicht. Wie würdest du deine Musik in Worte fassen?

Lars Tellmann (LT): Also «Eskapism» ist wohl am ehesten als Berlin School Electronica/Ambient zu beschreiben. Die letzten Jahre habe ich ausschliesslich instrumentale Musik gemacht, unter anderem den Soundtrack für «Employee of the Day».

MI Liane: Wie ist das Album entstanden?

LT: Das Album «Eskapism» ist bei mir zu Hause in meinem kleinen Heimstudio entstanden. Mit den heutigen Möglichkeiten geht das auch in einer guten Klangqualität. Ich weiss, dazu gibt es auch andere Meinungen, aber für mich funktioniert das ganz gut. Ich wollte auf alle Fälle ein 70er/80er Jahre Feeling à la Tangerine Dream & Brian Eno, ohne eine totale Stilkopie zu sein. Es sind sehr viele Mellotron Sounds auf dem Album zu hören und ich habe für die Sequenzen einen Hardware-Sequenzer benutzt. Das Album ist für heutige Verhältnisse etwas leiser. Ich wollte keinen Loudness-War, sondern einen dynamischen Klang, der auch ein bisschen Retro klingen darf. Das Album soll eine Reise sein, die von Song zu Song immer relaxter wird. Entspannung & Weltflucht = Eskapism.

Bei zwei Songs hatte ich Gastmusiker. Bei «Alienated» hat José Duque Frame die Drums eingespielt und bei «Alpha State of Mind» hat Jon Durant Fretless-Guitar & Bass plus zusätzliche Soundeffekte gespielt, während ich die cleanen Gitarren und ein kurzes Gitarrensolo im Stil von Robert Fripp gespielt habe.

MI Liane: Dein Album ist sehr sphärisch und berauschend. Hast du einen Bezug zum Metal? Wir sind ja eigentlich ein Magazin für die härteren Klänge.

LT: Berauschend? (lacht) Das habe ich auch noch nicht gehört. Klar, habe ich den! Früher habe ich wesentlich mehr Gitarre gespielt und 1989 war Metal ja echt gross und präsent. Queensryche war damals meine absolute Lieblingsband. „Operation Mindcrime“, „Empire“  – das sind tolle Alben. Rush finde ich auch grossartig. Ich habe ja 10 Jahre in einer Prog-Rock-Band Gitarre gespielt. In den 90ern war das schon meine Hauptmusik, neben den ganzen Alternative Rockbands wie Alice in Chains und Soundgarden u.s.w. Ich mag aber auch Pink Floyd und Marillion und ich verehre Tom Petty und Band, sein Tod hat mich echt getroffen. Generell bin ich aber breit gefächert was Musik angeht und versuche ständig neue oder auch alte Sachen zu entdecken. Gerade höre ich sehr viel klassische Musik wie Bach oder Mahler.

Mit der Mainstream Musik heute kann ich allerdings nichts anfangen. Durch einen Freund habe ich in den frühen 90igern auch Steve Roach und Tangerine Dream kennengelernt. Das fand ich damals spannend und dachte mir, wenn es mit der Band mal nix mehr ist, könnte ich ja sowas machen. Das war damals aber nur eine fixe Idee und ich hätte nicht gedacht, dass es „wahr“ wird.

MI Liane: Du bist nicht nur Musiker sondern auch Fotograf. Fühlst du dich mehr zur Musik oder zur Fotografie hingezogen?

LT: Puh, da kann ich mich nicht festlegen, da mir beides sehr viel Spass macht. Musik nehme ich etwas ernster, bei der Fotografie habe ich einen hohen Output und bin auch nicht ganz so kritisch, denn ich dokumentiere halt fast alle meine Touren in die Natur. Das macht 95% meiner Fotografie aus. Ich wohne in der Nähe eines riesigen Naturparks und habe es mir zur Aufgabe gemacht, diesen komplett zu erkunden und ich denke ich werde nie damit fertig.

Bei der Musik habe ich meinen Output gedrosselt, weil es ewig dauert bis ich mit einem Song zufrieden bin und ich noch so viel lernen will. Fotografie geht mir da leichter von der Hand. Musik spielen und jetzt auch selber produzieren ist da wesentlich zeitaufwändiger. Musik und Fotografie sind mir auf alle Fälle sehr wichtig.

MI Liane: Wie bist du zur Musik bzw. zur Fotografie gekommen?

LT: Zur Musik so typisch teeniemässig. Mit 16 Jahren habe ich mir eine Gitarre gewünscht, weil die Typen in den Musikvideos so supercool waren (lacht). Damals als es nur MTV gab, war das total faszinierend.

Fotografiert habe ich auch früher schon gerne. Nur war das in der pre-digitalen Ära sauteuer. Ich habe manchmal mit der alten Spiegelreflex von meinen Opa fotografiert. Da fällt mir ein, die Bilder sollte ich mal digitalisieren (lacht). 2005 habe ich mir dann eine digitale Kamera gekauft und fotografiere seither regelmässig.

MI Liane: Mit deinen Fotografien konntest du Nick Beggs (u.a. Steve Hackett, Steven Wilson, The Mute Gods) überzeugen und dein Artwork ist auf allen Tonträgern von The Mute Gods zu bestaunen. Wie ist der Auftrag zustande gekommen? Was war zuerst, die Zusammenarbeit oder das Motiv?

LT: Das Motiv, ich habe schon seit 2008 mit Michael Grassl, der ja auch der „Mirrorman“ ist, schon viel rumexperimentiert, u.a halt mit Spiegeln und dann sind wir auf die Idee gekommen, dass man da ja einen Kopf basteln könnte. Bei einem Steven Wilson Konzert habe ich Nick dann ein Fotoband von mir gegeben, in dem auch „Mirrorman“ Fotos waren. Nick hat mich gefragt, ob er diese Fotos nutzen könnte.

Die Fotos in dem Buch waren aber so gut wie unbearbeitet und Nick hat mich gebeten sie etwas grafischer zu gestalten. Das war echt eine Herausforderung für mich, weil ich das vorher eigentlich nie gemacht habe. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar, weil ich das jetzt öfters auch bei anderen Fotos einsetze.

Als klar war, dass Nick noch mehr Fotos braucht, haben Micha und ich uns zusammengesetzt und uns neue Ideen und Motive ausgedacht. Ich habe wortwörtlich noch tausende an Fotos vom Mirrorman, mal sehen vielleicht wird noch ein Buch draus. Mit Miles Skarin (Video Produzent, Anm.d. Red.) haben wir ja auch noch ein Video zum The Mute God`s Song  «Tardigrades Will Inherit The Earth» gedreht. Dort kommt der „Mirrorman“ auch vor.

MI Liane: Umgekehrt hast du für deinen Release «Eskapism» Hajo Müller engagiert, um deinen Tonträger zu veredeln. Er arbeitet ja mit Steven Wilson. also auch kein unbeschriebenes Blatt.

LT: Hajo hat ja die Bandfotos von The Mute Gods gemacht und dadurch haben wir uns kennengelernt und auf Anhieb gut verstanden. Ich mag seine Arbeiten und er ist ein hervorragender Illustrator, etwas was ich gar nicht kann und ich mag gezeichnete Cover. Er hat mir angeboten, dass wenn ich seine Hilfe bräuchte, ich auf ihn zählen könne. Ich habe ihm das Album geschickt und er hat sich davon inspirieren lassen und mir mehrere Vorschläge gemacht, die alle gut waren. Mir gefällt das 70iger Jahre Flair und die elegante Schlichtheit. Es passt gut zur Musik, die ihm übrigens sehr gut gefallen hat (lacht).

MI Liane: Wo holst du die Inspiration für deine Kunst?

LT: Ich bin ein ziemlich verträumter und zurückgezogener Mensch mit viel Vorstellungskraft, wobei ich denke, dass das auf  viele Künstler zutrifft. Man muss sich ja was einfallen lassen und dann kommt die „Arbeit“ das dann umzusetzen. Generell bin ich auch wissbegierig, sei es Naturwissenschaften/Geschichte/Kunst und auch wenn jeder immer so individuell sein will, man wird schon beeinflusst durch die Musik die man hört. Ich kann den Tangerine Dream Einfluss auch schlecht leugnen. (lacht)

Für Fotos habe ich so meine Lieblingsorte, die ich immer wieder besuche oder neues entdecke. Wenn ich einen Ort sehe, habe ich oft schon ein Foto im Kopf. Letztes Jahr bin ich zigmal auf einen Berg gestiegen, bis ich das Motiv hatte, was ich wollte. Wenn ich Portraits mache, dann suche ich erstmal den geeigneten Hintergrund bzw. Ort. Bei Menschen möchte ich allerdings so wenig wie möglich bearbeiten, das heisst Falten bleiben drin. Ich persönlich mag diese Hochglanz-Stupsnasenfotos gar nicht. Die Selbstdarsteller auf Instagram oder Stockart Photos langweilen mich.

MI Liane: Wenn du in die Zukunft schaust, welche Projekte würdest du gerne noch umsetzen wollen? Gibt es schon konkrete Vorstellungen für kommende Projekte?

LT: Ein Album mit Steven Wilson oder Nick Beggs oder beiden wäre toll (lacht). Nein Spass beiseite, ich bin ja immer offen für Zusammenarbeiten mit anderen Künstlern. Mit José Duque und Jon Durant arbeite ich gerne und immer wieder. Wir planen da was, aber durch die vollen Terminkalender streckt sich das etwas. Es sind auch Vocal Tracks mit Volker Wenzel geplant. Dann arbeite ich noch an den Nachfolgern für «Eskapism». Es ist als Serie mit unterschiedlichen Klangfarben/Emotionen geplant. Dann gibt es noch die Idee zu einem Buch mit den Mirrorman Fotos und Stories zu den Mute Gods.

MI Liane: Nenne mir drei Alben die dich am meisten geprägt haben und erkläre mir warum.

LT: Nur drei , das wird schwer… Der Soundtrack zu «Labyrinth» von Trevor Jones und David Bowie war eine der ersten Platten, die ich mir von meinem eigenen Geld gekauft habe. Ich liebe Soundtracks auch heute noch und David Bowie war/ist einfach supercool. Fest verankert in meiner musikalischen DNA.

Dann natürlich Queensryche «Operation Mindcrime». Ein echter Meilenstein und Jahrhundertplatte die meine Eintrittskarte zu Progressive Rock/Metal war.

Tangerine Dream mit «Force Majeure» war die erste Berührung mit dieser Art von Musik. Kaum eine Band kann so gut Sequenzen verschachteln wie Tangerine Dream. Echte Pioniere sind das, auch in der Filmmusik. Man kann heute noch ihren Einfluss auf Scores hören. Eine echte Schande, dass sie oder auch Klaus Schulze hier in Deutschland eher einen Untergrundstatus haben, während sie im Ausland kultisch verehrt werden.

Das Album „Eskapism“ darf gerne käuflich erworben werden:  https://zeituhr.bandcamp.com

16.11.2019
Weitere Beiträge von

Zeituhr