ZSK - Old Capitol Langenthal 2022
Fr, 2. September 2022

ZSK, Selbstbedienung

Old Capitol (Langenthal, CH)
13.09.2022
ZSK - Old Capitol Langenthal 2022

ZSK und Selbstbedienung punken das Old Capitol auseinander

Nach Terminverschiebungen aufgrund Ursachen, von denen wir sicherlich genug gehört haben, spielt die Punkband ZSK nun endlich im Old Capitol. Die Einleitung macht Selbstbedienung, ebenfalls eine Punkband, nicht wie der Hauptact aus Berlin, sondern aus Aarau.

Das Punktum im Jahre 2022

Bereits am Bahnhof trifft man auf die ersten Leute, die sich bewusst oder zumindest für dieses «Punkevent» nicht nach gesellschaftlicher Norm kleideten oder frisierten. Die Irokesen, gefärbten Haare, Lederjacken mit Patches und dicken Stiefeln, die wirken, als wollen sie  das Bürgertum zertreten, obwohl sie genau dem nicht entsprechen wollen. Klischeehaft, ähnlich wie der Metalhead mit langen Haaren und seiner in Bier getränkten Battlevest. Die Irokese-Frisur würde heutzutage wohl jede Friseuse auf Wunsch zusammenkleben, ohne mit den – nach Schönheitsnorm geschminkten Wimpern – zu zucken. Ob denn ein Irokese überhaupt noch eine visuelle Ausdrucksform für links-anarchistisches Gedankengut ist, steht generell zur Frage, trägt doch auch Komiker Andreas Thiel und Konsorten aus dem rechten Lager ebenso eine solche Frisur. Vielleicht ist es auch ein Kostüm. Ich könnte mir vorstellen, dass viele der sich hier extrovertiert präsentierenden «Punks» am Montagmorgen wieder früh aufstehen, um «malochen» zu gehen.

Aktuell gehen sie in Richtung Old Capitol, anstelle den Bus zu nehmen. Die Stiefel wurden schliesslich für Märsche gemacht.

Einfach ‘rumstehen

ZSK wünscht sich auf dem Song «Rumstehen» des zuletzt erschienen Albums «Ende Der Welt», einfach wieder ‘rumstehen’ zu können, am liebsten die ganze Nacht vor dem Club. Dieser Wunsch scheint für viele Konzertbesucher wieder zur Selbstverständlichkeit geworden zu sein. Mit Dosenbier, teilweise Joints, stehen sie ‘rum’, nachdem sie sich an der Kasse den Stempel für den Wechsel zwischen drinnen und draussen geholt haben. Es wird gelacht, sich über andere Konzerte unterhalten, wettgeeifert wer die Band schon öfter live gesehen hat … Drinnen wird mit einem Tischkicker gemacht, was man mit dem Tischkicker so macht und das eine oder andere Astra Bier bestellt.

Selbstbedienung baut derweil noch auf. Mit dem Zeitplan könnte es eng werden. So spiessig, um sich über Verspätungen im Ablauf zu beschweren, wird hier aber kaum einer sein …

Selbstbedienung

Eine Stunde nach Türöffnung, nach Zeitplan eine halbe Stunde zu spät, kommt Selbstbedienung auf die Bühne, endlich zum Spielen und nicht um die Abmischung von Gitarre oder Schlagzeug zu prüfen. Trotz der zu erwarteten Akzeptanz von Programmabweichungen entstanden im Publikum einige wenige Gespräche rund darum, dass es jetzt ja schon halb sei und endlich mal Musik auf der Bühne erklingen soll. Nach wie vor handelt es sich um ein Schweizer Publikum.

Ohne Intro oder anderweitige Ankündigungen, im Sinne von «Jetzt geht es (endlich) los». beginnt Selbstbedienung die Bühne zu füllen, mit für Punkrock klassischen 3-Akkorden, jeweils einer Gitarre, einem Bass und Schlagzeug. Abgerundet wird das Ganze vom Gesang des Bassisten. Trotz viel Liebe zum Detail beim Soundcheck wirkt das Schlagzeug einen Happen zu laut, der essenzielle Gesang wird übertönt, den Song inhaltlich zu verstehen zur Anstrengung. Es dauert jedoch nicht lange, bis der Mischer das Ganze wieder im Griff hat. Mark, so sein Name, wie uns, dem Publikum, später von der Bühne aus mitgeteilt wird, «soll einen angemessenen Applaus bekommen». Dieser wird ihm nicht verwehrt. Hoch oben sitzt er da an seinem Mischpult, auf der «Scheiss Tribüne», wie Selbstbedienung und Publikum die ehemalige Kinologe bezeichnen, in der, bei den meisten Konzerten im Old Capitol, die Mischpulte aufgebaut sind.

Der Start in das Konzert langweilt mich. Der Song widmet sich Hamburg, eine hochverehrte Stadt in Punkerkreisen, nicht zuletzt, da sie untrennbar mit dem FC St. Pauli verankert ist. Dazu später mehr. Der Gesang wirkt eher dünn, dürfte nach meinem Geschmack etwas aggressiver sein. Ein wenig irritiert über Aarauer, die einen Song über Hamburg geschrieben haben, bleibe ich im hinteren Teil des Saales stehen. Generell verhält sich das Publikum, besonders in Anbetracht, dass sich einige extra mit Zuckerwasser die Haare nach oben kleisterten, eher passiv. Vor der Bühne entsteht der für kleinere bis mittelgrosse Acts bei schweizer Auftritten übliche ein bis zwei Meter grosse Graben zwischen Publikum und Bühne. Selbstbedienung startet den offensiven Angriff auf das träge Publikum, fordert zum Mitklatschen und oooh oooh grölen auf. Diesem Wunsch kommen die ersten Reihen nach, weiter hinten bleibt es ruhig. Der Band scheint bewusst zu werden, dass sie «nur» die Vorband sind. Kein Grund zur Resignation. «Freut ihr euch auf ZSK?» Jubel, «Freut ihr euch WIRKLICH auf ZSK?» lauterer Jubel. Die Vorband heizt ein, dafür ist sie schliesslich da.

Vorne scheint man sich nun immer bewusster zu werden, wofür man hier ist: für ein Punk-Fest, oder zumindest, um Punker zu spielen. Es wird versucht zu pogen, hierzu scheinen leider zu wenig Leute Lust zu haben, es bleibt eher bei einem «Mitwippen». Der Befehl aufzuspringen wird dann auch von Reihen weiter hinten ausgeführt. Um die Bar herum bleibt es ruhig.

Die Masse soll «St. Pauli» grölen. Wenig überraschend stürmt mitten im darauffolgenden Song «Fight On», über jenen Fussballverein, Joshi, Sänger von ZSK, die Bühne, um den Song mitzusingen. Auch auf der Studioversion ist er als Featuring zu hören. Natürlich freut sich das Publikum über seinen Auftritt, auch wenn seine Stimme nur gedämpft zu hören ist. Zu schnell ist sein Gesangspart vorbei, als dass Mark diesen Fehler ausbessern könnte.

Weiter wird im Programm fortgefahren. Einige Male werden die Zuschauer zu kleinen Spielchen aufgefordert, was mal besser, mal schlechter gelingt. Thematisch weicht Selbstbedienung nur selten von Antifaschismus, Antirassismus und Pro-St.-Pauli (Antifaschistischer Fussballclub) ab. Zu Ende feuert Selbstbedienung eine Konfettikanone in die Menge. Mit Blaskapellegedudel ab Band wird dem Publikum mitgeteilt, dass vorerst mal Schluss ist. Spätestens seit der von Selbstbedienung gestellten Frage; «Habt ihr Bock zu saufen?», steigerte dieses seine aktive Beteiligung an der Show: hat mitgegrölt, Lieder eingezählt und wurde bis zum Brennpunkt für ZSK eingeheizt.

Setlist Selbstbedienung

  1. Hamburg
  2. Rettungsanker
  3. Neues Jahr, Neues Glück
  4. Krieg
  5. Fight On (feat. Joshi)
  6. Sauerkrauts
  7. Freiheit
  8. Mensch
  9. Das Herz Von St. Pauli / Outro

Raucherpause

Vorerst wird die Bühne durch einen Vorhang verhüllt. Einen weissen Vorhang, den das Cover des aktuellen Albums von ZSK ziert: ein abstürzendes Flugzeug. Ein weisser, nicht allzu dicker Vorhang, hat den Nachteil, dass bei Saallicht schemenhaft gesehen werden kann, was hinter ihm vorgeht. Allzu interessant ist das nicht: wie zu erwarten schleppen Band und Bühnencrew irgendwelche Gegenstände hin und her.

Den meisten dürfte dies gar nicht aufgefallen sein: Es ist ein warmer Abend, die Leute zieht es nach draussen, um Bier, mittlerweile aus der Glasflasche, zu trinken oder um mit Zigarettenqualm gegen die frische Luft anzutreten.

Ungefähr zehn Minuten vor regulärem, um eine halbe Stunde nach hinten gerücktem Konzertbeginn, zieht es die Leute wieder nach drinnen, mit einem Meter Abstand zur Bühne. Leise singen einige den Song «Schrei Nach Liebe» mit, der unter anderem aus den Boxen dudelt. Es wird nicht das letzte Lied gegen Rassisten sein, das sie heute mitsingen werden.

ZSK

Geräusche von Regen und Wind ertönen. Das monotone Rauschen der Turbinen ist zu hören. Endlich spricht der Kapitän der «ZSK-Airline»: «Es gibt einige Turbulenzen», erklärt er, nachdem er die Bordregeln mitteilte: unter anderem dürfen keine Leute aus dem rechten Lager mitfliegen. Mittlerweile stürmt es und das wird immer stärker, ein heftiges Gewitter bricht aus und wir mittendrin. Es beginnt zu blitzen. Dann stürzt das Flugzeug ab, es gibt einen lauten Knall, der Vorhang fällt, Joshi und der Rest der Band donnern mit «Alles Steht Still» drauflos. Das aufbrausende Intro, gefolgt von Knall und Powersong, zeigen ihre Wirkung. Das Publikum legt sich ins Zeug, um mit der Kraft des Songs mitzuhalten.

Trotzdem bleibt der «Sicherheitsgraben» bestehen. Das scheint die Band zu nerven. «Kommt doch mal nach vorne» befiehlt Joshi nach dem zweiten Lied. Aus der Reihe auszubrechen, scheint sich trotzdem noch niemand zu trauen.

Tontechnisch wirken Bassdrum und Bass noch zu laut, auch hier benötigt der Mischer nicht allzu lange, um alles wieder in Einklang zu bringen.

«Es hat sich gelohnt, zehn Stunden in einem kleinen Tourbus anzureisen und eine Stunde am Zoll herumzustehen» schleimt sich Joshi beim Publikum ein. Der darauffolgende Song «Punkverrat» zieht die Masse nun doch, wie auf natürliche Weise, nach vorne, um Fäuste oder wahlweise Zeigefinger zu heben und «Punkverrat, Punkverrat» zu grölen, der Song ist aber auch ein Brenner, ein sich-ins-Hirn-Brenner, es scheint, als sei der Song einzig für Liveauftritte geschrieben worden.

«Ist das noch Punkrock?», fragt Joshi, frage ich mich auch. Gibt es Punk überhaupt noch, seit Sid, Frontmann der Sex Pistols, gestorben ist? Der Attitüde vieler hier am Konzert nach scheint alles Punkrock zu sein, was getan wird ohne zu überlegen oder was andere darüber denken. Doch kaum einer würde (insgeheim) auf kapitalistischen Mauern gebaute Bequemlichkeiten verzichten wollen, um zu leben, auf der Strasse oder in besetzten Bruchbuden, frei von Vorschriften, Gesetzen und Autoritäten, im ständigen Kampf gegen Staat und Vorschriften.

Aber daran denkt gerade keiner. «Kann man auch springen?». Zuschauer und Musiker sind mittlerweile zu einer Einheit verschmolzen, wenn gesprungen werden soll, springen alle, unabhängig davon, ob man eine Gitarre oder ein Bier in der Hand hält. Letzteres teilt Sänger dann mit einem Zuschauer. Covid scheint vorbei zu sein. Konträr dazu trägt der Bassist eine FFP2-Maske: Punkrock ist zu handeln, ohne zu überlegen, was andere darüber denken.

Joshi unternimmt den ersten mutigen Versuch des Stagediving. Diverse Instagram-Bilder zeigen ihn, wie er über ganze Massen hinweg segelt, und im Old Capitol kann er froh sein, dass er überhaupt aufgefangen wird. Dennoch lässt sich ein übermütiger Irokese-Träger zum Crowdsurfen inspirieren, es bleibt bei einem «Hochheben», weiter tragen ihn die Umstehenden nicht.

Immer wieder wechselt Joshi mal an die Gitarre, mal hält er nur das Mikro in der Hand. Dies fällt mir erst auf, als ich einige Songs lang den Notizblock zur Seite lege und mich nebst dem Hören auch auf das Sehen konzentriere. Klanglich kann ich zwischen einer und zweier Gitarren kaum einen Unterschied feststellen. Ich schaue auf die Finger der Saitenquäler, diese scheinen die Saiten in denselben Bünden zu drücken. Selten hört man dann doch das eine oder andere kurz gehaltene Riff des eigentlichen Gitarristen. Warum zeitweise zwei Sechssaiter bespielt werden, bleibt ein Rätsel.

Auch ZSK singt über Hamburg, Hamburg 2017 als der G20-Gipfel stattfand, sowohl in Konferenzräumen als auch auf der Strasse, singt darüber, dass da und dort mit Gewalt und heftigen Auswirkungen auf die umliegenden Stadtbezirke demonstriert wurde, die eigentlichen Gewalttäter aber gleichzeitig in Sitzungszimmern sassen, über die Köpfe der Bevölkerung hinweg, Verträge abschlossen und Beschlüsse fällten, als die USA unter Trump aus dem Pariser Klimaabkommen ausstieg, Deutschland, Frankreich und Russland, mit Ausschluss des betroffenen Landes (dieses ist nicht Teil der G20) über die Ukraine-Krise, ergebnislos verhandelten. Was daraus wurde, wissen wir heute.

Nach einem weiteren Song wird es auf der Bühne finster. Eine Stimme aus dem Nichts fragt das Publikum: «Könnt ihr springen?», eine Frage, die heute ziemlich oft gestellt wird. Springen können wir, dazu lädt der folgende Song «Es Müsste Musik Da Sein», auch ohne Stimme aus dem Nichts, ein.

Irgendwann bemerke ich einen breit gebauten Kerl mit der Aufschrift «Security» auf der Jacke, gleich neben mir, hinten im Saal. Warum dieser hier und nicht vor der Bühne steht? Hinten stehen interessierte, aber sich eher passiv am Geschehen beteiligende Biertrinker, vorne klettern immer mehr sich aktiv beteiligende Biertrinker auf die Bühne und unternehmen waghalsige Sprünge von dieser runter, zurück in das Publikum. Es muss das Chaos-Prinzip und ein Schwertransporter voll Glück sein, dass keiner von ihnen auf dem Boden aufklatscht. Die Anzahl derer, die sich, meist erfolglos, in die Höhe heben lassen, im Versuch sich über die Menge schweben zu lassen, nimmt ebenfalls zu, auch sie würde keiner auffangen, würden sie fallen. Blöd gibt es keine stark gebauten Männer mit der Aufschrift «Security» auf den Kleidern vor der Bühne, die Crowdsurfer, die auf Tauchgang gehen, retten könnten, oder Bühnen-Klippenspringer bei Bedarf auffangen könnten, wie es bei anderen Konzerten der Fall ist.

«Jetzt müsst auch ihr singen!», «Ooooh oooh oooh singt die Masse, Joshi gibt sich unzufrieden «Könnt ihr nicht singen, weil ihr zu besoffen seid?» Es wird erneut gejooohlt. Manchmal wirkt Joshi selbst ein wenig zu besoffen, um singen zu können. In alter Punkmanier sitz der eine oder andere Ton nicht. Auch der Gitarrist vergreift sich teils im Ton, wie es sich für Punkmusik gehört. Richtig singt, beziehungsweise rappt, Swiss, der sein Feature beim Song «Kein Talent», als Sample beisteuert, das hätte man meiner Meinung nach kreativer lösen können.

Und, ach ja, Swiss ist tatsächlich nicht nur ein Land, sondern auch ein Rapper. Swiss und die Anderen ist definitiv eine Hörempfehlung von mir. Anschliessend folgt eine Predigt von Joshi darüber, dass sie coolen Leuten, denen sie unterwegs auf ihrem Weg begegnen, einen Raum geben wollen. Zwei mit regenbogenfarbenen Sturmmasken vermummte Personen betreten die Bühne, ihr mitgebrachtes Banner lädt zum «Antifaschistischen-Spaziergang in Bern» ein. Das richtige Publikum ist hier sicherlich gefunden.

Ob es dann nötig ist, den folgenden Song «Make Racists Afraid Again» hier aufzuführen, ist mir hingegen unklar. Wer hier drinnen ist ein Rassist? Wer ein Faschist? Schon viel zu viele Lieder in diese Richtung habe ich heute gehört, sie beginnen mich zu langweilen. Nazis sind scheisse und haben mittlerweile auch die Demokratie unterwandert. Das ist kacke, gefährlich und wichtig, der vermeintlich neutralen, schweigenden oder auch einfach unwissenden Masse vor Auge zu führen. Doch wer in diesem Saal weiss das nicht? Würde hier einer den rechten Arm heben, würde er unzählbar viele rechte Fäuste in die Fresse kriegen, unabhängig davon wie oft das Publikum «Alerta, Alerta Antifascista!» schreit. Generell finde ich solche Ausrufe nahezu anmassend: werden sie heute doch von Leuten gerufen, die in einem Staat der freien Meinungsäusserung leben. Dieser «Antifaschistische Kampf» kann doch nicht verglichen werden mit den ursprünglichen «Alerta, Alerta» proklamierenden Freiheitskämpfern, die sich damals in Italien gegen den Faschismus auflehnten, dabei viel mehr aufs Spiel setzten als Halsschmerzen am nächsten Tag durch lautes Schreien oder die Erinnerung an die Konfettikanone, die Joshi nun abfeuert. Das scheint heute Abend ein beliebter Showeffekt zu sein, schade für diejenigen, die die ganzen Schnipsel zusammenkehren müssen.

Doch ZSK kann auch anderes. «Stuttgart» singt Joshi für seine verstorbene Mutter, die die Band in der Gründungsphase mit allen Kräften unterstützt hat, ohne die es die Musik von ZSK gar nicht geben würde. Irgendwie schaffen sie es, diese Geschichte frei von Kitsch rüberzubringen, eher wirkt es hymnisch, kein Nachtrauern, sondern ein Danken. Später wird die Chance vertan, beim Song «Alle Meine Freunde» (hassen die AFD), AFD durch eine hierzulande zutreffendere Partei zu ersetzen. Dem Publikum scheint es egal zu sein. Im Geiste vereint, scheinen auch ihre Freunde die AFD zu hassen. Bleibt zu hoffen, dass dabei die politischen Missstände im Heimatland nicht vergessen werden.

Nach einem Lied übers Saufen, bei dem Wasserbälle Crowdsurfen dürfen, verabschiedet sich die Band und verschwindet hinter die Bühne. Natürlich weiss ein Jeder, dass jetzt noch nicht Schluss ist. Dennoch wird anständig «Zugabe, Zugabe» gerufen. Es wird Zeit, diese maroden und immer gleichen Konzertabläufe zu revolutionieren.

Nach zwei Songs im Anschluss, oder auch zum Abschluss, pumpen ZSK noch mal alle Kräfte in ihren wohl erfolgreichsten Schlachtgesang, namens, wer könnte es ahnen, «Antifascista».

Setlist ZSK

  1. Alles Steht Still
  2. Die Kids Sind Okay
  3. Punkverrat
  4. Es Wird Zeit
  5. Der Richtige Weg
  6. Kein Mensch Ist Illegal
  7. Wenn So Viele Schweigen
  8. Ende Der Welt
  9. Hamburg
  10. Keine Angst
  11. Es Müsste Immer Musik Da Sein
  12. Herz Für Die Sache
  13. Keine Lust
  14. Kein Talent (feat. Swiss, als Playback)
  15. Make Racists Afraid Again
  16. Unser Schiff
  17. Mach’s Gut
  18. Stuttgart
  19. Bis Jetzt Ging Alles Gut
  20. Alle Meine Freunde
  21. Unzerstörbar
  22. Die Besten Lieder
  23. Hallo Hoffnung*
  24. (Coversong?)*
  25. Antifascista*

*Zugabe

Herz für die gute Sache

Joshi, später auch der Rest der Band, zeigt Fan-Nähe, kommt kurz nach Konzertende an den Merch-Stand, gibt Autogramme, posiert für Selfies und nimmt Geschenke entgegen. Ich stehe ebenfalls in der Schlange, will aber eigentlich nur einen Patch kaufen. Nebst diversen «ZSK-Designs» auf T-Shirts, Pins und so weiter wird auch Geld gesammelt und Flyer verteilt für die ursprünglich von der Band gegründete und nach wie vor von ihnen beworbene Organisation «Kein Bock auf Nazis». Ich greife mir einen Flyer, «Was tun gegen Nazis!?!», und begebe mich zum Ausgang. Dort haben sich die «Sea Shepherd» platziert, eine Organisation, die sich für die Ozeane, gegen (illegale) Überfischung und ähnliche Vergehen, einsetzt. ZSK heucheln nicht zu Marketingzwecken Politik von der Bühne runter, sie scheinen wirklich etwas verändern zu wollen.

Das Fanzit – Selbstbedienung, ZSK

Ob Verkleidung oder als Statement: Dieser Abend stand unter dem Stern des Punks. Selbstbedienung und ZSK haben bewiesen, dass Punkrock auch noch 2022 funktioniert. Natürlich erfindet man nicht das Rad neu, muss man auch nicht, denn dieses rollt bereits. Altbacken wirken höchstens die Texte, alles wurde inhaltlich schon zigmal durch den musikalischen Fleischwolf gepresst, auch die Bands selbst wiederholen sich inhaltlich. Ja, St. Pauli ist toll, Nazis scheisse und Widerstand nötig. Verstanden. Zwischendurch ein Hymnen-ähnliches Liebeslied in der Setlist, ein Motivationssong, zur Stärkung des Selbstwertgefühls, bieten erfrischende Abwechslungen. Mit meiner Meinung zur eher mangelhaften Vielfalt der Setlist der Bands stehe ich aber vermutlich allein in dem sich nach und nach leerendem Konzertsaal da.

Die Frage nach dem Sinn antifaschistischer, antirassistischer Songs an einer «geschlossenen» Punkveranstaltung beschäftigt mich weiterhin, lange nachdem das Konzert vorbei war. Ich unterhalte mich mit anderen Personen darüber, frage sie nach ihren Ansichten: Die Lieder stärken das Miteinander, den Zusammenhalt, so die Meinung aus dem Umfeld, sie stärken die politische, moralische Überzeugung, zeigen dem Hörer, dass er mit seiner Überzeugung nicht allein ist. Vielleicht ist es genau das, was den Punkrock am Leben hält, was Menschen ermutigt, sich öffentlich gegen soziale Missstände zu positionieren.

Das Publikum hat jedenfalls bekommen, was es wollte, trotzdem es für ZSK und Selbstbedienung nicht gerade ein einfaches Publikum war. Besonders ZSK scheint allerdings ein Gespür zu haben, was man wann von den Zuschauern erwarten kann. War die Resonanz auf geforderte Hey-Hey-Rufe eher zurückhaltend, wurde maximal ein weiteres Mal mehr Beteiligung gefordert, blieb das Hey-Hey verhalten, liess man es sein. Wenn das Publikum nicht wollte, zu passiv war, wäre ein weiterer fehlgeschlagener Versuch zur Publikumsaktivierung nur peinlich geworden.

So verlassen also alle das Old Capitol, die meisten verlassen auch Langenthal. Warum ausgerechnet dieses, nicht gerade zentral gelegene Städtchen, für den Start der Club-Tour auserwählt wurde, bleibt auch auf der Heimfahrt im Zug ein Gesprächsthema.


Wie fandet ihr das Konzert?

13.09.2022
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