Saltatio Mortis - Komplex 457 Zürich 2023 - Foto Markus Zabel Siomotion
Sa, 28. Januar 2023

Saltatio Mortis, Antiheld

Komplex 457 (Zürich, CH)
24.02.2023
Saltatio Mortis - Komplex 457 Zürich 2023 - Foto Markus Zabel Siomotion

Früher war alles besser …?

Saltatio Mortis zählen zu den bekanntesten Rockgruppen im deutschsprachigen Raum und haben den Ruf, eine der besten Livebands der letzten Jahre zu sein. Zusammen mit den ebenfalls aus dem grossen Kanton stammenden Antiheld traten sie am 28. Jänner 2023 mit dem Vorsatz an, den altgedienten Komplex 457 nach allen Regeln der Kunst zu zerlegen. Ob nach diesem Gig mehr als nur Linien im Sand übrig blieben? Wir werden sehen…

Auch eine noch so wilde Sause will gut geplant sein. Dass dies keine leere Phrase ist, wurde mir vor dem Konzert von Saltatio Mortis wieder einmal so richtig bewusst, als ich vor dem Interview mit Alea und Jean den an die Wand geklebten Ablaufplan des heutigen Abends genauer inspizierte…

10 Uhr: Get in Mainland / 11 Uhr: Get in Saltatio Mortis; Brunch / 12 Uhr: Load Truck / 13 Uhr: Aufbau Ton, Backline / 15 Uhr: PA Check / 15:30 Uhr: Linecheck / 16 Uhr: Get in Antiheld; Soundcheck Saltatio Mortis / 16:45 Uhr: Einleuchten / 17:15 Uhr: Aufbau Antiheld / 17:45 Uhr: Soundcheck Antiheld / 18 Uhr Dinner / 19 Uhr: Türöffnung / 19:45 Uhr: Show Antiheld / 20:25 Uhr: Changeover / 20:45 Uhr: Show Saltatio Mortis / 22:45 Uhr: Abbau / 23:30 Uhr: Load / 00:30 Uhr: Duschen / 01:30 Uhr: Backstage Curfew

Natürlich kann auch bei bester Vorbereitung das eine oder andere schiefgehen. Zum Beispiel, wenn dem Sänger das Mikro aus der Hand fällt und dieses munter über den Bühnenrand kullert (wie am Vorabend in Linz geschehen). Doch scheint Tyche (die griechische Göttin des Zufalls) den Protagonisten des heutigen Abends wohl gesonnen zu sein. Also nichts wie rein in den proppenvollen Hexenkessel des Komplex 457, wo gerade im Saal die Lichter ausgehen.

Antiheld

Die Rolle des Einheizers übernehmen an diesem Abend die Stuttgarter Antiheld, die mit ihrem eingängigen und frech vorgetragenen Deutschrock so manchen im gut gefüllten Saal zum aktiven Mitmachen animieren können. Die Jungs scheinen während ihres vierzigminütigen Auftritts bis in die Haarspitzen motiviert zu sein, und Sänger Luca Opifanti lässt es sich nicht nehmen, gleich zweimal einen Sprung ins Menschenmeer zu wagen (das sich zum Glück nicht in biblischer Manier teilt). Und auch die wiederholte Aufforderung, den Bandnamen zu skandieren („Wir sind“ – Halle: „Antiheld“), wirkt nicht aufgesetzt, sondern durch und durch euphorisch. Ebenso wie der wiederkehrende Dank an Saltatio Mortis sowie die heute Anwesenden. „Als Supporter von Giganten wie Saltatio Mortis gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man wird mit offenen Armen empfangen oder man wird abgeworfen. Danke, dass ihr so seid, wie ihr seid!“

Auch die kurze Intonation von „I Want It That Way“ (Backstreet Boys) passt perfekt ins Gesamtbild, zumal ihr Sound ohnehin recht eingängig und äthergerecht daherkommt. Auf der anderen Seite sind Titel wie „Ficken für den Weltfrieden“ nicht unbedingt höhere Poesie, sondern – positiv ausgedrückt – provokante, weniger wohlwollend formuliert schon eher pubertäre Anwandlungen. Floskeln, die zwar für den Moment cool klingen mögen, auf Dauer aber etwas abgedroschen und weit entfernt von der lyrisch fein geführten Klinge des Hauptacts sind. Zudem fehlt mir über die gesamte Spiellänge hinweg betrachtet musikalisch auch etwas die Abwechslung.

Und ob eine Alternative-Rock-Band nun unbedingt DIE passende Vorgruppe für eine im – ich sag mal – Mainstream angekommene Mittelalter-Truppe ist, darf gerne hinterfragt werden. Allerdings muss man den Jungs aus Stuttgart durchaus zugutehalten, dass sie ihre definierte Rolle als Vorband und Einheizer souverän und vor allem auch nachhaltig ausfüllen. So wird in der zwanzigminütigen Umbaupause vor dem Auftritt des Headlinsers bei Songs ab Konserve (von „Livin‘ On A Prayer“ bis „Schrei nach Liebe“) kräftig mitgesungen, wie man es nur selten erlebt.

Und als Saltatio Mortis mit „Grosse Träume“ ihr über zweistündiges Set eröffnen, gibt es ohnehin kein Halten mehr…

Saltatio Mortis

Es ist noch gar nicht so lange her, dass in unserem Metalinside-eigenen WhatsApp-Chat die Frage aufkam, welches Konzert man jemandem ohne Metal-Background empfehlen könne, bei dem es „richtig abgeht“. Heaven Shall Burn und Trivium wurden genannt, auch Avatar, Alestorm – und Saltatio Mortis. Nun, meinen Erstkontakt mit den Totentänzern aus Karlsruhe hatte ich am Greenfield anno 2019, und schon da war klar, dass die rockenden Spielmänner keine Kinder von Traurigkeit sind. Aber die totale Eskalation? Nun, ich sollte eines Besseren belehrt werden! Aber schön der Reihe nach…

Die „Für immer frei“-Tour gehört – wie so viele andere auch – zu den Veranstaltungen, die immer wieder verschoben werden mussten. Eigentlich als grosse Party zum 20-jährigen Jubiläum geplant, fiel sie zunächst Corona zum Opfer. Und als wäre das nicht genug, legte im Dezember letzten Jahres ein weiterer Krankheitserreger die musizierenden Barden flach, sodass sowohl die beiden Shows in Österreich als auch die hierzulande eine weitere Verschiebung über sich ergehen lassen mussten.

Dass die Tickets über diesen langen Zeitraum hinweg ihre Gültigkeit behielten, ist aus Fansicht natürlich erfreulich, aus der Perspektive der Musiker betrachtet aber irgendwie halt so was wie eine Begleichung alter Schulden. So wäre es durchaus verständlich gewesen, wenn SaMo angesichts der zuletzt entgangenen Einnahmen mit einer eher kleinen Produktion durch die Lande getingelt wären. Aber erstens feiert man nicht alle Tage einen runden Geburtstag (wenn auch mit reichlich Verspätung), und zweitens reden wir hier von Saltatio Mortis – halbe Sachen sind einfach nicht ihr Ding. Und so tuckerte man grösstenteils mit zwei 40-Tönnern im Schlepptau von Location zu Location… grösstenteils, wohlgemerkt.

Leider ist der Komplex 457 in Zürich mit seiner 9 x 7 Meter grossen Bühne nicht für eine derart üppige Produktion ausgelegt, sodass es heute Abend statt wechselnder Backdrops und jeder Menge heisser Pyro-Effekte „nur“ satte 130 Minuten Mittelalter-Metal zu erleben gibt. Pur, unverblümt, direkt. Denn Saltatio Mortis verstehen es auch nach über zwanzig Jahren Bandgeschichte noch immer erstklassig, es so richtig krachen zu lassen!

Beim vorgetragenen Liedgut orientiert man sich – wenig überraschend – vorwiegend an den Stücken der letzten beiden Alben „Brot & Spiele“ und „Für Immer Frei“ (inklusive dem Addon „Unsere Zeit“), die mit acht bzw. neun Tracks eindeutig den Löwenanteil der heutigen Setlist ausmachen. Apropos Löwe: Der Song über das Herz desselben hat es bedauerlicherweise nicht mit ins Programm geschafft. Schade irgendwie! Nimmt man noch die drei im letzten Jahr als lose Singles ausgekoppelten Stücke „Odins Raben“, „Pray to the Hunter“ und „Alive Now“ hinzu, so wird deutlich, dass auf der Geburtstagstorte vor allem Kerzen neueren Datums brennen.

Das heisst aber nicht, dass die Fans der ersten Stunde zu kurz kommen. Denn zum einen sind Klassiker wie „Merseburger Zauberspruch“ oder „Drunken Sailor“ nach wie vor fester Bestandteil der Show, zum anderen umgibt auch neuere Titel wie „Heimdall“ oder das herausragende „Brunhild“ viel mittelalterliche Aura. Und dass sich das Electric Callboy-Cover „Hypa Hypa“ ebenso perfekt in den heutigen Rahmen einfügt, zeigt wunderbar, wie vielfältig (auch sprachlich), abwechslungsreich und doch homogen man sich nach vielen Jahren der Selbstfindung mittlerweile präsentiert. Auch wenn mich ihr letztes Album „Für immer frei“ (zum Review) aufgrund seines hohen „Ooooh-Ooooh-Oooohrwurm“-Charakters eher ratlos als restlos begeistert zurückgelassen hat, passen gerade diese Lieder mit ihrem Publikums-einbindenden Potenzial so perfekt in das heutige Set!

Schwenk zurück auf die Bühne, wo wie im Saal der Bär rockt. Neben Tausendsassa Alea (der auch gerne mal zum Crowdsurfen geht) wirbeln die beiden Dudelsäcke von Elsi und Luzi wild und energiegeladen über die Spielfläche, und auch Drehleierdreher Falk mischt munter im lebhaften Treiben mit. Eher dezent im Hintergrund agiert für einmal die Saitenfraktion um Till (Gitarre) und Frank (Bass). Und als Schlagzeuger stehst du in der Regel ohnehin nicht in der ersten Reihe – was Jean, den „Neuen“ an der Schiessbude aber keineswegs davon abhält, mächtig auf den Putz zu hauen.

Der Name Saltatio Mortis steht aber nicht nur für mitreissenden Live-Musik, sondern mindestens ebenso für die Partizipation der anwesenden Zaungäste. Ob mit über die Schultern des Nachbarn gelegten Armen zu „Mittelalter“ quer durch die Halle tanzend, fleissig rudernd oder bei „Nichts bleibt mehr“ fröhlich mit der Handy-Taschenlampe wedelnd (ausnahmsweise, wie Alea den doch all zu häufigen Gebrauch von Smartphones kommentiert, denn schliesslich und endlich sei so ein Konzert ein gemeinsames Erlebnis), heute wird gefeiert, als gäbe es kein Morgen! Mit den Händen ein Herz formen und dieses dann auch noch pulsieren lassen – aber immer doch (auch wenn sich hierbei der fast schon überbordend gut gelaunte Frontmann ein verschmitztes „Ihr macht auch jeden Scheiss mit, den wir uns ausdenken“ nicht verkneifen kann).

Bei „Für immer jung“ gilt es, eine geliebte Person auf die Schultern zu nehmen (hier und da ist ein etwas erleichtertes „Endlich Platz“ zu vernehmen). Zu Beginn von „My Mother Told My“ wähnt man sich an einem Fussballspiel der isländischen Nationalmannschaft (wer erinnert sich nicht an das rhythmische, immer schneller werdende Klatschen der Fans?). Und bei „Alive Now“ entledigen sich nicht wenige ihrer T-Shirts oder anderer Oberteile, um diese wild über dem Kopf kreisen zu lassen (Alea lobt hier mit einem wohl leicht weinenden Auge die Gleichberechtigung, da primär männliche Exemplare der Aufforderung nachkommen). Ob es auch Mosh- und Circlepits gab? Welch seltsame Frage!

Als die Lichter nach zwei Zugabeblöcken viel zu schnell wieder angehen, blickt man allenthalben in total verschwitzte, aber glückliche Gesichter. Welch ein fulminanter, grandioser und – den Platzverhältnissen geschuldet – schnörkelloser Abriss der ersten Güteklasse!

Das Fanzit – Saltatio Mortis, Antiheld

Ein Konzert von Saltatio Mortis ist noch immer – oder: mehr denn je – ein ganz besonderes, unterhaltsames, auch intimes und nicht zuletzt schweisstreibendes Erlebnis. Der heutige Abend war eine einzige grosse Party, die trotz der recht langen Spielzeit leider viel zu früh zu Ende ging. Summa summarum ein grossartiger Auftritt einer grossartigen Band, die ihren künstlerischen Zenit noch lange nicht erreicht zu haben scheint. Gerne wieder? Auf jeden Fall! Antiheld wurden derweil ihrer Rolle als Einheizer vollauf gerecht, auch wenn im Vergleich zum Headliner noch einiges an Luft nach oben vorhanden ist.

Und um auf den als Frage formulierten Titel dieses Beitrags zurückzukommen: Früher war sicher vieles besser (beziehungsweise weniger kompliziert) – solange aber bei SaMo die Formkurve nach wie vor steil nach oben zeigt, freuen wir uns einfach auf alles, was da noch kommen mag!

Setlist Saltatio Mortis

  1. [Ab Band] Ein Stück Unsterblichkeit
  2. Große Träume
  3. Dorn im Ohr
  4. Wo sind die Clowns
  5. Loki
  6. Brot und Spiele
  7. Wachstum über alles
  8. Linien im Sand
  9. Brunhild
  10. Odins Raben
  11. Merseburger Zauberspruch
  12. Heimdall
  13. Drunken Sailor
  14. Pray to the Hunter
  15. My Mother Told Me
  16. Mittelalter
  17. Rattenfänger
  18. Seitdem du weg bist
  19. Hypa Hypa (Electric Callboy cover)
  20. Für immer jung
  21. Nichts bleibt mehr*
  22. Unsere Zeit*
  23. Prometheus*
  24. Ich werde Wind*
  25. [Ab Band] Ein Traum von Freiheit**
  26. Bring mich zurück**
  27. Alive now**
  28. Spielmannsschwur**

*Zugabe 1
**Zugabe 2

Video Saltatio Mortis – Zürich – „Bring mich zurück“-Tour


Wie fandet ihr das Konzert?

24.02.2023
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