Metalinside.ch - Haggard - Z7 Pratteln 2022 - Foto pam
So, 4. Dezember 2022

Haggard, Eternal Silence

Z7 (Pratteln, CH)
16.01.2023

Und sie bewegt sich doch

Wenn Haggard ruft, dann bin ich nicht weit. Die Pioniere des Symphonic Metals besuchen endlich wieder Mal die Schweiz und da hält mich auch kein Sonntagabend von einem Besuch im Z7 ab.

Sonntag ist eigentlich so der Anti-Konzert-Tag. Der einzige Abend der Woche, an dem ich meist zu Hause bin. Da muss schon was Gewaltiges passieren oder spielen, damit wir uns auf den weiten Weg nach Pratteln machen. Und was könnte gewaltiger sein, als wenn das bayerische  Klassik-Mittelalter-Metal-Orchester in der ebenso heiligen Halle vom Z7 Konzerttempel auftritt? Und wenn ich mir frühere Konzerte und deren Reviews in Erinnerung rufe, dann sag ich mir nach einem Haggard-Konzert eigentlich jedes Mal: «Wag es ja nie zu zögern, an ein Konzert von Haggard zu gehen, denn es lohnt sich jedes Mal wieder mächtigst.»

Eternal Silence

So, genug der Rechtfertigung, warum ich mich heute an einem Sonntagabend an den nordwestlichen Zipfel der Schweiz begebe. Ein kleiner Kompromiss gab es jedoch, wir erlaubten uns, nicht zu früh loszufahren, mit der Konsequenz, dass wir die Vorband Eternal Silence nicht von Anfang live erleben. Doch für ein paar Schnappschüsse sollte es noch reichen …

Wie schwer zu erkennen bzw. in den Ansagen zu hören ist, kommen die Symphonic Metaller aus Italien – genauer aus Varese, wie mir dann später beim Verfassen dieser Zeilen das Internet verrät. Mit dem Erkennen meine ich den charmanten Akzent, den der Gitarrist und Mitsinger jeweils mit einem Riesensmile (siehe Fotos) zum Besten bringt. Leider spuckt mir das Internet seinen Namen nicht aus – schwer mehr über die Band rauszufinden, auch deren Webseitenlink tut nicht.

Was sie jedoch tut, ist mir gefallen, was ich höre. Die Italos spielen und singen, unterstützt von einer Sopranistin und einer Violinistin, ganz zugänglichen melodischen Metal. Man kann es vereinfacht Symphonic Metal nennen. Manchmal wirkt es jedoch etwas komisch, wenn man die eine Violinistin sieht, jedoch ein ganzes Orchester hört. Aber so ist es halt bei den Symphonic Metal Bands – mit einer Ausnahme: Haggard. Also wer in diesen Gefilden unterwegs ist, dem/der empfehle ich mal reinzuhören.

Als Warm-up mit einer obligaten Bratwurst (nicht ganz so warm zwar) und Pommes Frites haben Eternal Silence gut geliefert. Es waren ein paar ganz lüpfige Songs dabei. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit dem sympathischen Frontmann und seinen Mädels und Jungs.

Doch zuvor freu ich mich einfach auf eines der Konzert-Highlights von einem an Konzert-Highlights überfrachteten Jahr 2022 (siehe auch die Jahreshighlights der Metalinside Redaktion).

Haggard

Sodeli, jetzt bin ich aber definitiv nicht nur warm, sondern heiss auf Haggard, die ich zum letzten Mal auf der 70’000 Tons of Metal Cruise im 2020 erlebt hatte. An der heutigen Stätte sind es gar noch zwei Jahre mehr, seit dem letzten Rencontre. Also es ist definitiv mehr als genügend Zeit vergangen. Noch einige Jahre mehr sind seit dem letzten Album von Haggard vergangen … aber lassen wir das Thema mal sein. Irgendwann kommt das Konzeptalbum über die Gebrüder Grimm sicher noch raus. Denn wenn sie nicht gestorben sind, dann werden sie sicher vorher noch Vinyl gepresst. Und auch heute spielen sie einen neuen Song von dem noch ungeborenen Kinde mit «Seven From Afar» im Zugabenblock. Wobei so neu ist der auch nicht, wird dieser doch schon seit mindestens acht Jahren live dargeboten.

Mastermind und Bandkopf Asis Nasseri leitet uns auch heute wieder mit viel Charme, einer sympathischen Unsicherheit, leicht chaotisch und doch auch mit viel stolz auf sein stattliches Ensemble durch seine Meisterwerke. Als Perfektionist muss vor jedem Haggard-Konzert ein ausführlicher Soundcheck gemacht werden – ohne Kompromisse auf die dann vielleicht kürzere Spielzeit. Das ist heute mit ihrer Headliner-Indoor-Show weniger dramatisch bzw. Thema als bei Festival- und Open-Air-Auftritten.

Sympathische Pannen

Mit heute für einmal «nur» 10 Musikern und noch mehr Instrumenten auf der Bühne ist die perfekte Abmischung hohe Kunst und klar, dass da die Chance viel grösser ist, dass mal was spuckt. Auch heute werden Haggard nicht von technischen – marginalen – Pannen verschont.

So gibts Zickenallüren bei der akustischen Gitarre von Asis. Gemäss seiner Aussage die Einzige, die er auf dieser Mini-Tour mitgenommen hat. Ui. Aber das Problem verlagert sich zum Glück schnell zu diesem «schweineteuren» Gitarrenständer, wo die akustische Gitarre draufliegt, damit Asis diese – ohne seine elektrische Klampfe abzulegen – bespielen kann. Was hilft immer auf der Bühne/Tour? Genau, das gute alte Gaffer-Tape.

Wie von fast allen Bands im Z7 gehören auch Loblieder zum Z7 und der Crew um Z7-Chef Norbert dazu. Haggard habe bereits auf der ersten Tour 1998 zusammen mit Atrocity hier gespielt. Damals waren Leadgitarrero Claudio und der Lichttechniker – scusi, den Namen hab ich leider nicht mitgekriegt – zwar noch nicht dabei, aber immerhin schon seit 18 Jahren. Da beide heute ihr «Jubiläum» feiern, widmet ihnen Asis «In A Pale Moon’s Shadow» vom Debutalbum aus 1997.

Während Asis vom Z7 und seinen Band-Kollegen schwärmt, dann tue ich es grad gleich. Also ich find ja Asis und die ganze Band – die alle ihr Handwerk mehr als nur recht rechtverstehen – sehr cool, aber einmal mehr bin vor allem auch Schublade-auf-den-Boden-runter-Baff von Janikas Stimme. Die wohl schönste oder zumindest genialste (Opern-)Stimme des Metals. Wer mich kennt, der weiss, dass eigentlich nichts über die Göttin Tarja Turunen kommt, aber Janika ist halt schon auch nahe am Götterhimmel.

Grundsätzlich war und ist der gesamte Gesang von Haggard – sei es die deftig-fetten Growls von Asis, die ebenso hühnerhauterzeugende Tenorstimme von Basser Frank und eben der Sopran von Janika – einzigartig im Metal. Da kommt nur noch Therion in ähnliche Gefilde. Himmel und Hölle haben ihren besten Chor auf die Menschheit losgelassen.

The Shoegate

Und wenn wir schon bei der Hölle sind, dann sei doch auch nochmals Teufelsshredder Claudio erwähnt; mit zugegebenermassen einer kleinen Nebensächlichkeit, aber es ist mir halt doch irgendwie aufgefallen: Wo sind seine markanten, teuflisch roten Basketballschuhe? Also Frank hat sie nicht, denn er ist barfuss auf der Bühne. Doch bevor ihr jetzt in Panik verfällt, weder Franks noch Claudios Schuhe wurden geklaut … zumindest geh ich davon aus, weil gegen Ende des Gigs Claudio dann doch noch die roten Signature-Turnschuhe montiert hat. Offen gesagt, zum ersten Mal, dass ich mitkriege, dass jemand während einem Konzert die Schuhe wechselt. Vielleicht kennt jemand ja das Geheimnis dahinter? Oder hab ich das jetzt grad alles nur geträumt?

Zurück zur Hühnerhaut-Geschichte – denn eine der absolut geilsten Kompositionen aller Zeiten – «Awaking the Centuries» – wird zum Besten gegeben. Dass dies deftigen Applaus am Ende auslöst, daran sollte sich Asis eigentlich schon längst gewöhnt haben. Dennoch ist er schon fast peinlich berührt. Es soll noch emotionaler werden. Asis erzählt uns, dass er heute mit Norbert – dem Z7 Maestro – über die «Geschichte» gesprochen habe. Mit der «Geschichte» ist das im 2022 angekündigte Ende des Z7 per Ende Jahr – falls sich nicht doch noch eine Lösung für das leidige Parkplatzproblem ergeben sollte. Diese ist ja dann gottlob eingetroffen. Asis meint, er hätte sich im Falle einer Schliessung ans Z7 gepappt. Unser Lieblingsschuppen hat schon einen verdammt hohen Status, wenn sich unsere Götter bereit erklären, sich für diesen sozusagen ans Kreuz zu nageln. Einmal mehr ziehen wir unseren Hut vor dem Z7-Team.

Ich ziehe jedoch heute unentwegt meine fiktiven Hüte vor Haggard. Sonntagabend und bereut hätte ich jede Sekunde, wenn ich heute nicht da wäre. Eternal Silence haben wirklich gut geliefert, aber der Kontrast ist einfach riesig zwischen ihnen und allen anderen Symphonic Metalbands zu Haggard. Mit dem Wissen – und dem Hören (man sieht ja auch, was man hört) – dass wie gewohnt alles live gespielt ist, was aus den Boxen kommt. Mit einer so hohen Qualität, dass man ab und zu auch – und nur deswegen – daran zweifeln darf. Doch man weiss es besser. Dies in einer sample-ertränkten Welt – wo kaum eine Band auf solche mehr verzichtet. Nur schon deswegen verdient Haggard unsere allergrösste Hochachtung. Aber hey, vielen ist das auch egal, und das ist auch OK, solange der Sound einfach so sackgeil ist.

Danke Asis

Ach Leute, ich könnte jetzt hier noch stundenlang schwärmen und weitere Säcke einbringen. Doch jetzt versagt dann meine Stimme und ich bin peinlich berührt. Asis sucht im Publikum nach mir. Er ruft meinen Namen: «Wo ist pam?». Gut, er weiss, dass ich da bin. Wir waren vor dem Konzert in Kontakt und er hat mich ja schon im Fotograben begrüsst. Soll ich mich bemerkbar machen? Nun, da halte ich doch mal meine Hand halbwegs hoch. «Da ist er ja.» Er erzählt, was ich alles für die Szene (mit Metalinside) mache und er sehr dankbar dafür sei und so weiter. Ich muss ja jetzt nicht jedes Wort 1:1 wiedergeben. Sowas erwartet man natürlich nie an einem Konzert und doch geniesst man es schlussendlich auch. Dito den Applaus, der mir gilt. Ich setze im Schnitt täglich weit über eine Stunde für Metalinside ein. Es ist die pure Leidenschaft. Wie das ganze Team von Metalinside beziehe ich dafür keinen monetären Lohn. Unser Lohn sind solche Momente und zu wissen, dass unsere Arbeit geschätzt wird. Und wenn das noch von einer absoluten Lieblingsband kommt, dann weiss man die nächsten 365 Tage wieder, warum man den ganzen Aufwand auf sich nimmt. Das geht und bleibt tief im Herz. Von Herzen Danke Asis und dem ganzen Publikum für diese sehr berührende Wertschätzung im Namen der ganzen Metalinside-Crüe.

Jetzt müsste Asis mir nach dem Konzert einfach noch verraten, dass sie im 2023 wieder bei der 70’000 Tons of Metal Cruise mit an Board sind … Ich würde heute Abend heimfliegen.

Verpasste Einsätze

Zwei Stunden sind vergangen, seit Haggard die Bühne enterten und jetzt diese zum ersten Mal wieder verlassen – dies zu ein paar von Claudio gespielten Pantera- und Slayer-Riffs. Sie kommen naturgemäss nochmals zurück für zwei weitere Killerarrangements inklusive dem weiter oben schon erwähnten «neuen» Grimm-Song. Und sie bewegt sich doch … – der neue Haggard-Silberling – möchte man zum Abschluss sagen. Doch bevor es zum wirklichen Abschluss kommt, schwärmt Asis von seinem Ensemble,  während er jeden einzelnen Musiker*in vorstellt und vor dem Zugabenblock auf die Bühne ruft. Er habe schon Einsätze verpasst, weil er diesem zugehört habe. Was könnte es für ein schöneres Kompliment geben, wenn der Chef von seinen Mitmusikern ins Träumen kommt?

Also, jetzt «Eppur si muove» – von Asis gewidmet an Norbert. Wow, die Streicher, die Engelsstimme von Janika und schliesslich die Pianoklänge … ich bin weg. Also physisch steht der pam noch seinen Mann, aber sein Herz hat Flügel und nutzt diese ausgiebig. Haggard verleiht, was österreichische Bullenhödenbrause seit Jahrzehnten verspricht.

So Leute, das wars. Fast, denn wie viele andere warten wir nach dem Konzert auf die ganze Band. Die nah-dis-nah auch auftaucht. Ich nutz die Gelegenheit, den Schuber von deren Vinyl von allen unterschreiben zu lassen. Die letzte Unterschrift kommt schliesslich von Mastermind Asis selbst. Da müssen noch ein paar Selfies her. Die ersten will Asis mit seinem Natel von uns machen, bis ich dann auch noch meines in Einsatz geben kann. Wir könnten uns grad noch stundenlang unterhalten – er ist ja auch ein wunderbarer Geschichtenerzähler. Unweigerlich kommen wir auch auf das Gebrüder Grimm-Album zu sprechen … und da sind sie wieder die Geschichten. Zu gern hätten wir diese auf einer weiteren Vinyl-Scheibe verewigt. Doch bald fängt schon die neue Woche an … und wir haben doch noch 1.5 Stunden Heimfahrt. Danke Asis für den wiederum genialen Abend und für die unsterbliche Musik. Wir müssen jetzt aber definitiv los. Es ist schliesslich Sonntagabend.

Das Fanzit – Haggard Z7 Pratteln 2023

Sonntagabend ist eigentlich der Kein-Konzert-Abend. Ausser Haggard spielt auf. Das Spielen nehmen sie dabei wie keine andere Symphonic-Metal-Band wörtlich: Keine Samples. Alles echt und live gespielt. Das sieht und hört man. Ein Ohrgasmus der höchsten Güteklasse während über zwei Stunden mit den tollsten Stimmen des Metals. Nein, kein Sonntag und kein anderer Tag würden es rechtfertigen nicht zu gehen. Für mich hat Haggard einmal mehr bestätigt, dass wenn immer ich die Chance habe sie live zu sehen, mir diese nie, aber wirklich gar nie entgehen darf. Ich freu mich auf ein baldiges Wiedersehen Asis & Co. Vielleicht on the boat? Soon?

Setliste Haggard – Z7 Pratteln 2022

  1. In a Fullmoon Procession
  2. Of a Might Divine
  3. The Hidden Sign
  4. In a Pale Moon’s Shadow
  5. Heavenly Damnation / The Final Victory
  6. Herr Mannelig
  7. The Observer
  8. Prophecy Fulfilled / And the Dark Night Entered
  9. Upon Fallen Autumn Leaves
  10. Per aspera ad astra
  11. The Day as Heaven Wept / Origin of a Crystal Soul
  12. Tales of Ithiria
  13. Awaking the Centuries
  14. Seven From Afar*
  15. Eppur si muove*

*Zugabe

Fotos Haggard – Z7 Pratteln 2022


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16.01.2023
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