Metalinside.ch - Annihilator - Gaswerk Winterthur 2013 - Foto pam
Di, 22. Oktober 2013

Annihilator

Gaswerk (Winterthur, CH)
03.11.2013

Little 4

Es gibt die Big 4 des Thrash-Metals. Die vorzustellen des geneigten Lesers dieser Review wäre Wasser in die Reuss getragen. Doch es gibt die inoffiziellen und je nach Vorlieben „Little 4“ des Thrash-Metals. Gemäss Definition von Jeff Waters wären dies Testament, Access, Overkill und … Annihilator (siehe Interview mit Jeff Waters).

Da pflichte ich dem genialen Mastermind und Kopf von Annihilator zu 75% zu (Access würde ich mit Kreator ersetzen). Dass die kanadische Thrash-Metal-Band nicht zu den Big4 gehört, liegt einerseits daran, dass diese später als die Big4-Members gegründet wurde und somit nicht mehr ganz so wegweisend war und mit rund 2 Millionen verkaufter Platten auch kommerziell nicht ganz auf gleicher Stufe wie eben die vier Grossen ist. Ein Grund warum Annihilator trotz Hammer-Debut und Zweitling (Alice in Hell; Never, Neverland) kommerziell nicht mithalten konnte, waren die dauernden Besetzungswechsel – insbesondere gab es beim Gesang keine Konstante – bzw. die überhaupt einzige Konstante war bis in die 00er Jahre Jeff Waters.

Dieser sah Annihilator lange auch nicht als eine Band, sondern mehr als sein persönliches Projekt und so hat auch ganze Scheiben nur mit einem Drummer – inklusive Gesang – eingespielt (bspw. King Of The Kill).

Intro – Perfektionist meets perfekte Halle

Jeff Waters ist ein Besessener. Ein Perfektionist. Genie und Wahnsinn in einer Person. Und so hat wohl der eine oder andere Annihilator nicht ganz freiwillig verlassen oder ist an dem Perfektionismus von Jeff gescheitert. Selbst die aktuelle Hammerbesetzung von Annihilator scheint live immer wieder zum Meister rüberzuschielen, um an dessen Gesichtsausdruck zu erkennen, ob man die fast unmenschliche Vorgabe erfüllt und nicht grad das letzte Konzert spielt.

Auch heute zeigt sich wieder von ersten Ton an: Live gibt es wohl keine andere (Thrash-)Metalband, die nur annähernd so perfekt und tight spielt. Jeder Ton, jedes Break, jedes Soli egal ob zweistimming oder nicht sitzt perfekt. Dazu mehr später.

Mal von Anfang an. Eine erste Enttäuschung erlebe ich am Tishi-Stand. Keine Jungs-T-Shirts mehr. Nachdem ich mich vor Jahren von meinem geliebten, jedoch nach rund 20 Jahren bauchfreigewordenen, Lieblingsshirt (Never, Neverland) habe trennen müssen, hätte ich mich heute gerne mit einem Neuen eingedeckt. Das Feast-Shirt hätte auch cool ausgesehen. Janu, ist ja nicht so, dass ich nicht genug Shirts hätte.

Es sollte aber die fast einzige Enttäuschung des heutigen Abends sein.

Das Gaswerk – ich bin heute zum ersten mal da – gewinnt wohl nicht die Auszeichnung „Sexiest Hall Alive“, aber wie sich herausstellt, zählen hier die inneren Werte. Die hohe Halle lässt eine angenehme Temperatur während dem Konzert zu und viele Licht liebt nicht nur der Fotograf und Schreiber – was ich heute in Personalunion bin – sondern ist eigentlich auch sonst ganz angenehm. Man sieht sich zumindest – auch im Publikum. Metal muss ja nicht immer düster sein. Und auch nicht ganz unwesentlich die Barkapazität inklusive zusätzlicher Bier-Bar: Man kommt schnell zu seinem Bier.

Gemäss Webseite fasst die Halle offiziell 650 Leute – was ja feuerpolizeilich bedingt meist am unteren Ende der wahren Kapazität liegt. Die Halle ist gut gefüllt. So dürften es heute etwas mehr als 500 Thrasher sein, die den Weg nach Winterthur ins Gaswerk an diesem Dienstagabend nicht scheuten.

Ich bin heute per ÖV unterwegs, da ich diese Review auf dem Nachhauseweg schreiben möchte. Der Weg zur Halle ist auch gut machbar, doch leider wurde der Konzertbeginn nicht sehr öv-freundlich angesetzt, so dass es für mich für den letzten Zug nach Luzern knapp werden könnte.

Das Konzert mit Überraschungs-Gast

So, nun aber zum wesentlichen. Ein bestialisches Feast-Intro ertönt und die Band – angefangen mit dem Bassisten Alberto Campuzano und kurz darauf Jeff Waters himself – betritt unaufgeregt die Bühne. Und schon nach den ersten Tönen lande ich da, wo ich schon ein paar Abschnitte früher war. Und ich wiederhole mich bewusst, indem ich schreibe, dass es wohl keine andere (Thrash-) Metal-Band gibt, die den Kanadiern live spielerisch das Wasser reichen kann.

Und einmal mehr wird klar, warum es Gitarrist und Sänger Dave Padden geschafft hat, jetzt bereits seit 10 Jahren mit Jeff unterwegs zu sein und auch schon bei fünf Alben mit getan hat. Obwohl – wie von Jeff vor dem Konzert über Facebook angekündigt – grippegeschwächt, ergänzen und harmonieren die beiden auch heute perfekt. Ich hab’s schon oft geschrieben, aber auch da wiederhole ich mich gerne, Dave ist der Sänger, den ich – und wohl auch Jeff – bei Annihilator lange vermisst habe. Er hat die Stimme passend zum ganzen Backkatalog. Und er spielt auch Hammergitarre – was die Halbwertszeit als Annihilator-Mitglied entscheidend mitbestimmt.

Einen Tribut an die Grippe zollt die Band jedoch im positiven Sinne, in dem Schmier von Destruction „Alison Hell“ anstelle von Dave singt. Der Klassiker hat einige stimmliche Höhen drin, welche wohl dem geschwächten Kehlkopf von Dave einen Bärendienst erweisen würden. Für viele Thrasher heute Abend, war der Auftritt von Schmier ein zusätzliches Highlight und so wurde dieser überraschende Gastauftritt auch von Jeff angekündigt.

Und nebst Dave gibt es ja noch die Power- und Taktgeber-Fraktion. Mit dem mittlerweile auch schon mehrjährigen Live-Bassisten Alberto weiss Jeff ebenfalls was er hat. Eher überraschend war letztes Jahr, als Jeff einen blutjungen Drummer Namens Mike Harshaw mit auf die Metal Cruise (70’000 Tons Of Metal) nahm, um dort gleich seine ersten zwei Gigs mit der Band zu spielen. Und schon damals (siehe Review) waren wir allen hin und weg von diesem Grimassen-Monster und seinem extrem exakten und variablen Powerdrumming.

Er ist es auch heute, der die Saitenfraktion perfekt in den vom Meister vorgegebenen Bahnen lenkt. Das äussert eng geschnürte Korsett lässt genau die Kurven zu, die wir sehen und hören sollen und wollen.

Wie genial sein Schlagzeugspiel ist, beweist aber vor allem die Location, die aufgrund der Grösse – eher mehr breit als lang und die hohe Raumhöhe – fast nur Rohware von den Fellen zulässt. Der eher gedrosselte Sound vom PA – Gitarren, Bass, Gesang – lässt uns den Rohdiamanten in seiner reinsten Form sehen bzw. hören. Praktisch ungeschliffen und doch perfekt. Dies gibt dem Sound eine gewisse Garagen-/Proberaum-Atmosphäre. Umso wichtiger ist es, das extrem tight gespielt wird, denn so lässt sich kaum ein Fehler rauskaschieren.

Das Ganze hat jedoch auch zur Folge, dass dafür die Feinheiten des genialen Gitarrenspiels der beiden Ausnahmemusiker – insbesondere auch die ausgefeilten Solis – etwas untergehen. Es ist heute definitiv vor allem auch ein Abend für Schlagzeugspiel-Liebhaber.

Dass Jeff wirklich nur Musik im Kopf hat oder zumindest ein verdammt gutes Hirni lässt sich erahnen, als er bei der Ankündigung von „No Zone“ sagt: „Diesen Song haben wir vor 20 Jahren Zürich gespielt. Oder war es Luzern?“ Es war Luzern … auf Tour mit Judas Priest.

Wenn es heute einen Tiefpunkt gibt – wobei wir uns niveaumässig immer auf schwindelerregender Höhe befunden haben – dann ist „Carnival Diabolis“. Dieser Song ist aus der eher schwächeren Phase von Annihilator und aus der Zeit, wo auch ich als langjähriger Fan etwas den Kontakt zu der Band und deren Schaffen verlor.

Geil jedoch die Szene, wo Jeff mitten im Spiel schnell mal eine Saite stimmt.

Während „I’m In Command“ ruft Dave Jeff etwas in der Art wie  „Es geht nicht mehr“ zu. Ist es jetzt vorbei mit Dave’s Stimme und dem Konzert?

Zumindest gönnt die Band Dave eine Verschnaufpause, als uns Mike mit einem der genialsten Schlagzeugsolos, das ich je sah und hörte, zelebrierte. Nicht das Standardzugs mit „He“ bum, „he“ bum, „he“ bum bum etc. zwischen Schlagzeuger und Publikum. Leider sind die meisten Drumsolos aus meiner Sicht ziemlich überflüssig, da meist immer das Gleiche und langweilig. Aber heute bin ich wie wohl alle im Gaswerk hin und weg von diesem epischen, variablen Solo auf allen möglichen Grössen der Felle. Wir erleben wohl einen der aktuell besten Drummer überhaupt. Und das muss er ja sein, um neben Jeff und in der Band zu bestehen. Da hat Waters eine wirkliche Perle entdeckt und wohl auch entsprechend gefördert. Zumindest die verdrehten Grimassen während seinem Spiel hat er schon mal vom grossen Meister übernommen.

Dave kommt zurück auf die Bühne. Es geht also weiter. Jeff würdigt dies, indem er vom Publikum einen Applaus für den Angeschlagenen fordert und dass dieser bis jetzt durchgehalten habe. Wenn er sich schon am Bedanken ist, denkt er auch an uns die Fans, die „Feast“ zum bestverkauften Annihilator-Album – trotz allgemein sinkender CD-Verkaufszahlen – im neuen Jahrtausend gemacht haben. Hochstehender Thrash-Metal ist den Leuten also noch etwas wert und verkauft sich auch im Zeitalter der legalen und illegalen Downloads und Kopierens.

Leider verpasse ich nun die letzten zwei, drei Songs da ich wie anfangs befürchtet und angekündigt den letzten Bus bzw. Zug nach Luzern erwischen muss. Dass ich dann doch nicht wie geplant die Review im Zug nach Luzern bereits schreiben kann, ergibt sich dadurch, dass eine Kollegin auch im Zug ist und sie mir von ihren geplanten Afrika-Ferien erzählt – während ich noch vollkommen geflashed bin von einem Hammerkonzert im Gaswerk.

Das Fanzit – Annihilator im Gaswerk 2013

Annihilator und insbesondere Jeff Waters bleiben für mich was technische Live-Umsetzung von hochstehenden Thrash-Metals anbelangt, dass bisher unerreichte Mass der Dinge. Trotz einem Grippe-Geschwächten Dave Padden, erlebten wir heute einmal mehr die besten Annihilator ever. Hoffen wir, dass Jeff die Jungs und umgekehrt noch lange aushalten. Wenn dabei so Hammerkonzerte und auch Alben wie Feast rausschauen, dann freue ich mich wohl nicht ganz alleine auf die Zukunft.

Das es nicht ein glatte 10 abwirft hat mit der zweiten Enttäuschung des Abends zu tun: Phantasmagoria – der für mich beste Annihilator Song – fehlte für einmal au der Setliste. Und das Konzert war in erster Linie was für die Ohren und die Zuschauer waren alle stark auf den Sound fokussiert. Was ja grundsätzlich auch gut ist, jedoch etwas auf die allgemeine Stimmung drückte.

Setliste Annihilator

  1. Intro
  2. Alison Hell (Gesang: Schmier von Destruction)
  3. Welcome To Your Death
  4. Knight Jumps Queen
  5. Reduced To Ash
  6. Set The World On Fire
  7. Refresh The Demon
  8. Never, Neverland
  9. No Zone
  10. Carnival Diabolis
  11. Fiasco
  12. Bliss
  13. Second To None
  14. I’m In Command
  15. Drum Solo
  16. No Way Out
  17. Smear Campaign
  18. Time Bomb
  19. Ambush
  20. Deadlock
  21. King Of The Kill

Fotos Annihilator im Gaswerk Winterthur 2013 (pam)


Wie fandet ihr das Konzert?

03.11.2013
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