Amaranthe - Manifest (CD-Cover-Artwork)
Fr, 2. Oktober 2020

Amaranthe – Manifest

Modern Melodic Metal
24.09.2020
Amaranthe - Manifest (CD-Cover-Artwork)

Level up?

Das ist er nun also – der von Amaranthe selbst proklamierte Schritt nach vorne. Das schwedische Sechsgestirn mit den bekanntermassen drei unterschiedlichen Singstimmen möchte sich mit seinem sechsten Studioalbum „Manifest“ zwar nicht rundum neu erfinden, jedoch soll der eingeschlagene Weg wieder vermehrt in Richtung Metal gehen. Baby Step oder Giant Leap?

Eigentlich war es purer Zufall, dass ich damals – so anno 2013 – auf die ursprünglich als Avalanche an den Start gegangene Truppe – respektive deren eher eigenwilligen, aber nicht minder eingängigen Sound – aufmerksam geworden bin. Nach „Amaranth“ von Nightwish gesucht, am Ende ein „e“ zu viel eingegeben – zack schlug mir YouTube die Ballade einer mir noch unbekannten Band vor (exakt: „Amaranthine“) – den Rest könnt ihr euch denken.

In der Folge bereiteten mir die Alben der schwedisch-dänischen Combo jedoch stets auch etwas Kopfzerbrechen – über weite Strecken formidabel, ortete ich doch auch immer wieder den einen oder anderen Hänger, der das positive Gesamtbild zu trüben vermochte. „That Song“ (zu finden auf „Maximalism“) sei hier exemplarisch genannt, ein – genau: –  Song, der zwar zu spassigen Wortspielen einlädt (wie von Dutti in seiner Review beschrieben), aber rein musikalisch betrachtet jetzt nicht so der absolute Überflieger war. In meinen Augen zu grosse Verzettelung in zu vielen genreübergreifenden Experimenten.

Um’s gleich vorneweg zu nehmen: Derartige Selbstfindungstripps bleiben uns auf „Manifest“ glücklicherweise erspart – oder wie’s Olof noch im Februar dieses Jahres umschrieb (siehe Interview): Kein „Sticking to your guns“, es dabei aber auch nicht übertreiben.

Stimmliche Balance

Doch alles schön der Reihe nach. Eröffnet wird der bunte Reigen mit „Fearless“, einem Track, der aus meiner Sicht so ziemlich alles in sich vereint, was Amaranthe in der Vergangenheit richtig gemacht haben: Speed, ein einprägsamer, catchy Refrain, die prägenden Techno-Elemente, gepaart mit einer gesunden Portion Härte – und natürlich die drei unterschiedlichen Stimmen, welche den Sound des Sextetts so unverwechselbar machen: Clear-Voice Nils Molin, der mit seiner anderen Band Dynazty in diesem Jahr bereits ein Hammeralbum („The Dark Delight“) abgeliefert hat, Growler und Ich-kann-echt-böse-Dreingucker Henrik Englund Wilhelmsson (der beim eben genannten Meisterwerk bei „From Sound To Silence“ mit einem Gastauftritt glänzen konnte), sowie Elize Ryd, die mit ihrer nicht unbedingt Metal-typischen Stimme dem Ganzen diesen irgendwie besonderen Amaranthe-Touch verleiht. Kurz: Ein Opener wie er sein muss und definitiv das Zeug dazu hat, „Maximize“ live als Opening Track das Wasser abzugraben.

„Make It Better“ sowie das darauffolgende „Scream My Name“ gehen eine Spur dezenter zu Werke – Stichwort Midtempo – und erinnern vom Grundgroove her etwas an die älteren Lieder der Band. Was ebenso auffällt: Die Vocal-Anteile scheinen auf „Manifest“ bedeutend besser ausbalanciert, als dies noch beim Vorgänger „Helix“ der Fall war. Insbesondere Nils rückt vermehrt in den Mittelpunkt des Geschehens, was den Songs meiner Meinung nach richtig guttut und auch auf der Bühne für noch mehr Abwechslung sorgen dürfte.

„Viral“ kennen die meisten wohl bereits als erste Single-Auskopplung – ein veritabler Stampfer, mit jeder Menge Wums-Attitude, Keyboard-Ebenen und absolut zeitgemässen Lyrics (um es mal so auszudrücken) – sowie einem Video-Clip, der die Stimmung während des Lockdowns auf humorvolle Art und Weise einfängt. Apropos Musikvideo: Henrik stibitzt bei 1:02 Elize ja ihr Handy und versenkt es im Aquarium… Wurde er danach von irgendwem je wieder gesehen? Lebend, meine ich?

Amabeast

Mit „Adrenaline“ folgt dann die fast schon obligate Disco-Mucke – viel Synthie, viel Catchyness, viel Glam. Ein Track, der sicherlich nicht bei allen gleich gut ankommen wird, jedoch einen netten Kontrapunkt zu den restlichen Songs zu setzen vermag – und im Grunde seines Herzens auch als gute Hard Rock – Nummer durchgeht, nicht zuletzt dank Olofs tollem (aber nicht zu langem) Gitarrensolo.

Womit wir auch schon bei Auskopplung Numero zwei angelangt wären: „Strong“ – einem Duett von Elize mit Battle Beast-Röhre Noora Louhimo – oder eben Amabeast! Die fulminante Power-Ballade überzeugt mit viel Gefühl und Atmosphäre (man beachte die dezenten Pianoklänge im Hintergrund) – und kann als Paradebeispiel dafür herhalten, wie man Gastmusiker in einen Song integrieren sollte. Ganz starkes Teil – was nun eigentlich für sämtliche nachfolgenden Tracks gleichermassen gilt!

Bei „The Game“ ist so richtig, richtig Spass angesagt – knackige Drums gepaart mit tollen Gesangslinien in der Strophe treiben den Song vor sich her in Richtung Refrain, der schmissiger kaum sein könnte. Wie bereits der Opener ein Blueprint für den perfekten Amaranthe-Uptempokracher – und live garantiert eine saugeile Mithüpfnummer.

„Crystalline“ setzt die Tradition der ganz grossen, gefühlvollen Balladen auf eindrücklichste Art und Weise fort. Insbesondere der Beginn erinnert sehr stark an Musicals (man nehme als Beispiel die Stakkatos bei „I can hear you“) und offenbart Miss Ryds Liebe zu klassischen Klängen. Das Duett mit Nils im Refrain kommt sehr gefühlvoll rüber; mein neuer Lieblingsschmachtfetzen der Schweden!

BOOM!

„Archangel“ startet mit gregorianischen Klängen, um dann aber fast augenblicklich durch aggressive Gitarrenhooks ein paar Gänge höher zu schalten. Die dritte Single des Albums ist ein Killer und dürfte vielerorts für verspannte Halsmuskeln sorgen. Piano und Chorus im Mitteilteil könnten dabei einem SciFi-Soundtrack – oder einer Geisterbahn –  entliehen sein. Inhaltlich lehnt sich der Song an das Buch „Paradise Lost“ von John Milton an und ist Olofs Hommage an den grossen englischen Dichter. Überhaupt gibt sich „Manifest“ lyrisch reifer, ernster und deckt von drohenden, klimatischen Katastrophen bis hin zu theistischer Mythologie einige Themen ab, die man dieser Band auf deren Vergangenheit schielend so nicht unbedingt zugetraut hätte.

Und dann kommt „BOOM!1“ – der wohl überraschendste Track der neuen Scheibe. Dass Mister GG6 growlen kann, dürfte allgemein bekannt sein, aber dass er auch so schnelle Rhymes drauf hat – Chapeau! Klar wird aus ihm kein zweiter Eminem werden, aber wie Henrik mit seinen krassen Rap-Einlagen alles und jeden niederbulldozert, ist wirklich nicht von schlechten Eltern! Und dieser Break, dieses leichte Anbremsen vor dem chorartigen Refrain – Wow! Was freu ich mich bereits jetzt darauf, eben diese Nummer live zu erleben – wenn zu „BOOM!“ die Pyros zünden und drohen, die Halle abzufackeln… Was hier zudem auffällt: Elizes Stimme fehlt bei diesem Stück (die gesprochenen Sequenzen stammen von Heidi von den Butcher Babies) gänzlich – ebenfalls ein Novum. Im Februar haben Olof und ich noch darüber diskutiert, ob sowas funktionieren könne – dieser Song ist der krachende Beweis dafür (auch wenn solche Experimente wohl eher die Ausnahme bleiben werden / sollten, da Elizes leicht Pop-angehauchte Stimme nun eben doch einen extrem hohen Widererkennungswert aufweist und einfach zu Amaranthe gehört).

Stimmwechsel

Die ersten paar Sekunden von „Die And Wake Up“ erinnern vielleicht ein klitzeklein wenig an „That Song“ – der Track entwickelt sich in der Folge aber komplett anders, härter, dynamischer, besser! Ein Lied, bei dem ich mehrere Anläufe benötigte, um mit ihm warm zu werden, der nun aber zu meinen Geheimfavoriten zählt.

Zum krönenden Abschluss folgt „Do Or Die“ – hinreichend bekannt, würde man denken, doch bereits bei den ersten Vocals wird klar, dass da so einiges umarrangiert wurde. Nils übernimmt dabei gesangstechnisch den Part von Elize, und – welch eine Überraschung – Henrik die Growls von Ex-Arch Enemy-Vokalistin (und jetzt Amaranthe-Managerin) Angela Gossow – selbst der Grossteils der Instrumentalparts wurde neu eingespielt. Eine sehr spannende Geschichte, bei der ich auch nach mehreren Durchläufen noch nicht abschliessend sagen kann, welche Version mir nun besser gefällt. Auch hier sucht man die Stimme der 1984 als Hanna Elise Isabella Maj Höstblomma Ryd geborenen Frontfrau vergebens, lediglich im Refrain scheint ihr Sopran etwas durch.

Bei der Mediabox gibt es zudem noch folgende vier Bonustracks obendrauf: Das Sabaton-Cover „82nd All The Way“, „Do Or Die“ mit Angela Gossow und Elize Ryd an den Vocals, sowie „Adrenalin“ (Acoustic) und „Crystalline“ (Orchestral).

Produziert wurde „Manifest“ einmal mehr in den Hansen Studios in Ribe, Dänemark (welches die Band gerade so noch erreichen konnte, bevor aufgrund des Lockdowns die Grenzen dicht gemacht wurden). Entsprechend hochstehend und kraftvoll ist denn auch die Produktion (hier gilt: Never change a winnig team!)

Das Fanzit Amaranthe – Manifest

Auf „Manifest“ bieten Amaranthe einen durchdachten Mix aus bekannten Melodien und neuen Klängen, die sich aber perfekt in das so extravagante Soundbild einfügen. Die Länge der Songs mag nicht als „episch“ durchgehen (die Bandbreite reicht von 3:01 bis 4:13 Minuten), ist in meinen Augen für diese Art von Musik jedoch ideal. Das sechste Studiowerk kommt zudem gitarrenlastiger daher, auch wenn die Elektro-Elemente nach wie vor sehr prägend sind.

Bis anhin hatte ich eigentlich bei sämtlichen veröffentlichten Longplayern der Melodic-Death-Pop-Trance-Power-Metaller etwas auszusetzen – mal mehr, mal weniger (wobei sich das „weniger“ eher auf das selbstbenannte Erstlingswerk sowie allenfalls noch „The Nexus“ bezieht). Das „Manifest“ der schwedisch-dänischen Combo empfand ich hingegen von Anfang an als abgerundet und in sich stimmig. Ich denke, Nuclear Blast werden in Zukunft noch ihre helle Freude an dieser Truppe haben.

Komplett neue Fankreise werden Amaranthe mit „Manifest“ vielleicht nicht erschliessen können (aber wie heisst es doch so schön: sag niemals nie), dafür sind sie zu sehr sich selber geblieben (was auch gut so ist). Jedoch dürften sich gerade Anhänger der ersten Stunde freuen, wieder vermehrt härtere, direktere Kost serviert zu bekommen.

Erreichen Amaranthe mit „Manifest“ das angestrebte nächste Level? Ich möchte meinen, ja (und wie)!

Alles weitere zum neuen Album, kryptischen Skype-Adressen sowie nicht mehr ganz so beliebten Livesongs lest ihr in unserem grossen Interview mit Olof und Elize.

Anspieltipps: Fearless, Strong, The Game, Crystaline, Archangel, BOOM!1

Ab Release reinhören und Mediabook/CD portofrei (vor-)bestellen

Trackliste Amaranthe – Manifest

  1. Fearless
  2. Make It Better
  3. Scream My Name
  4. Viral
  5. Adrenaline
  6. Strong
  7. The Game
  8. Crystalline
  9. Archangel
  10. BOOM!1
  11. Die And Wake Up
  12. Do Or Die

Line-Up – Amaranthe

  • Elize Ryd – Gesang
  • Henrik „GG6“ Englund Wilhelmsson – Gesang
  • Nils Molin – Gesang
  • Olof Mörck – Gitarre & Keyboard
  • Morten Løwe Sørensen – Schlagzeug
  • Johan Andreassen – Bass

 

Video Amaranthe – Archangel


Album Review Bewertung

Autor Bewertung: 9.5/10



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24.09.2020
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