Metalinside.ch - Seraina Telli - Interview 2023 07 - Foto Liane
Sa, 1. Juli 2023

Seraina Telli – Interview zu Addicted to Color

Rock
/ 17.07.2023
Metalinside.ch - Seraina Telli - Interview 2023 07 - Foto Liane

Farben machen das Leben schöner

Am 18. August veröffentlicht Seraina Telli ihr neues Album Addicted to Color. Um mehr über die Hintergründe des Werkes zu erfahren, haben wir Seraina zu ihrem ersten Interview auf einem Schiff eingeladen.

Wir, das ist in diesem Fall die halbe Metalinside-Belegschaft, die heute einen kleinen Teamausflug macht. Na dann: Alle an Bord, Leinen los und volle Kraft voraus.

Metalinside.ch (Raphi): Vielen Dank, dass du hier bist. Seraina, dein erstes Solo Album Simple Talk kam beim Publikum sehr gut an. Du warst auf Platz 2 in den Schweizer Charts. Jetzt warten wir gespannt auf den Nachfolger Addicted to Color, welcher am 18.8. veröffentlicht wird. Inwieweit unterscheiden sich diese zwei Alben aus deiner Sicht und hast du das neue Album „innerlich schon losgelassen“?

Seraina: Als Songwriter schreibst du natürlich erst mal das Material, anschliessend wird alles aufgenommen und danach dauert es ewig lange, bis es schliesslich released wird. Von daher ist das Album für mich bereits länger abgeschlossen. Ich bin auch bereits an neuen Sachen dran. Der Unterschied zwischen den beiden Alben liegt vor allem in der Produktion. Ich weiss zwar nicht, ob das Publikum dies bemerkt, aber als Producer und Songwriter ist es für mich ein echter Unterschied, weil wir Addicted to Color nochmals ein Stück natürlicher produziert haben. Es ist einfach noch etwas mehr „in your face.“

MI: Addicted to Color ist gerade ein gutes Stichwort: Im Titeltrack heisst es „I’m addicted to color“, aber du bist ja keine Malerin sondern Musikerin. Bist du Synästhetin, kannst du also Töne als Farbe erkennen? Welche Farbe befriedigt denn diese erwähnte Sucht am meisten? Und welcher neue Song vom neuen Album passt am besten dazu?

Seraina: Nein, nicht per se. Aber ich muss schon sagen, als wir im Studium Gehörbildung hatten – sprich Harmonien, Akkorde und so weiter aus der Musik heraushören mussten – ist mir aufgefallen, dass ich schon sehr farblich orientiert bin. Ich sehe Klänge also schon ein wenig in Farben, aber nicht dass es jetzt eine Art Special Gift wäre oder so. Ich finde aber, Farben machen das Leben schöner und ich liebe es zum Beispiel meine Haare zu färben. Beim neuen Album ist das zudem etwas der Hinweis zum ganzen Drogenkonsum in der heutigen Zeit. In der Öffentlichkeit kriegt man davon gar nicht so viel mit, aber es ist schon verheerend, wie viele Drogen konsumiert werden, wie viele medikamentenabhängige Personen es auf der ganzen Welt gibt oder wie der Einfluss von Alkohol kleingeredet wird. Eines der grössten Probleme, das ich in diesem Zusammenhang sehe, ist aber das Kiffen, dessen Auswirkungen oft vergessen gehen. Mit der von dir zitierten Textstelle möchte ich einfach herausstreichen, dass ich weder Drogen noch Alkohol brauche sondern Musik und Farben. Die beiden bereichern das Leben.

MI: Bei dieser einen Message bleibt es nicht auf dem neuen Album. Viele Inhalte beziehen sich auf die Rolle der Frau. Was ist in dieser Hinsicht die Kernaussage deiner Texte?

(in diesem Moment werden wir vom alles übertönenden Schiffshorn unterbrochen)

Seraina: (lacht) Ich hätte es nicht besser sagen können. Nein, im Ernst: die Rockszene, in der wir unterwegs sind, ist halt immer noch sehr dominiert von Männern. Das finde ich nicht per se etwas schlimmes, ich arbeite gerne mit Männern zusammen. Eigentlich ist es mir auch egal, ob ich mit einer Frau oder einem Mann zusammenarbeite. Aber es herrscht halt kein Gleichgewicht und als Frau wirst du einfach diskriminiert oder teilweise nicht einmal gesehen, vor allem hinter der Bühne als Geschäftspartner. Als Bandleader bin ich eigentlich der Chef der Firma und trotzdem wird regelmässig mein Schlagzeuger in dieser Hinsicht angesprochen, weil die Leute nicht auf die Idee kommen, dass eine Frau die Führung haben könnte. Die Frau muss einfach heiss sein und vorneweg die nette Schnitte darstellen. Auf diese Haltung stosse ich immer wieder und ich wünsche mir eigentlich, dass sich das ändert. Deshalb möchte ich ein gutes Vorbild sein für junge Frauen. Ich glaube, man sieht einfach zu wenig Vorbilder. Du kommst ja gar nicht auf die Idee, etwas zu tun, wenn du nicht andere siehst, die das ebenfalls tun. Wenn du als junge Frau jemanden auf der Bühne siehst und du eine Verbindung siehst, inspiriert dich das vielleicht dazu, selber Gitarre zu spielen, zu singen oder eigene Songs zu schreiben.

MI: Du hast gerade angesprochen, dass du sehr viele Aufgaben um die Band herum inne hast. Ich habe den Eindruck, früher hatten die Künstler ein einfacheres Leben. In der heutigen Zeit müssen sie nicht nur performen, sondern die Skills einer eierlegenden Wollmilchsau besitzen: Social Media-Manager sein, Marketingplan ausarbeiten und umsetzen, Verkäufe im komplexen Online-Jungle verfolgen….Ist man da nicht quasi rund um die Uhr aktiv? Bleibt da überhaupt noch genügend Zeit, um neue Songs zu schreiben?

Seraina: Man ist ganz klar rund um die Uhr aktiv, weil es genau so ist, wie du sagst. Ich habe mich beispielsweise auf der Hinreise gerade um die Social Media-Kanäle gekümmert. Das beansprucht schon extrem viel Zeit. Ich habe eine Managerin, die mir dabei hilft und zur Zeit versuchen wir gerade, dieses Thema so zu ordnen, dass ich mich darum kümmern kann, ohne dass es zu viel Zeit braucht. Denn schlussendlich kann es niemand für mich machen. Ich sehe jedoch auch die positive Seite, denn als neue Band kannst du dich über Social Media einfach zeigen und bewerben.

MI: Wo wir gerade bei der Sichtbarkeit sind. Du bist mit deiner Farbenfröhlichkeit eine sehr sichtbare Person und du wechselst deine Outfits fast so oft wie damals David Bowie. Inspiration holst du dir dabei auch als mal im Baumarkt, habe ich mir sagen lassen. Stimmt das und wo holst du dir noch Inspiration? Wie wichtig ist dir dein Look?

Seraina: Die Inspiration kommt eigentlich von verschiedenen Orten. Manchmal habe ich einfach eine Idee, die ich dann umsetzen muss. Das kann manchmal auch nervig sein, weil ich solche Ideen unbedingt durchziehen möchte. (lacht) Ich möchte auf der Bühne auch ein Bild ergeben, denn Musik hat mit Ästhetik zu tun und da ist die Verbindung zum Optischen logisch. Ausserdem mag ich es nicht dort oben zu stehen, und dann im Publikum jemanden zu entdecken, der genau das selbe trägt wie ich. Das mit dem Baumarkt stimmt aber tatsächlich. Ich hole da oft Dinge, um mir Kostüme zu basteln, weil Sachen wie beispielsweise Ketten im Baumarkt einfach günstiger ist.

MI: Wechseln wir doch vom Optischen mal noch zum Akustischen. Einige Songs auf dem neuen Album, zum Beispiel Hit Shit oder The Harder Way, haben diesen leichten 80er-Vibe. (Seraina grinst bereits) Ist diese Epoche eine musikalische Inspiration für dich?

Seraina: Durchaus. Ich bin was Songwriting und Sound betrifft sehr old school. Wir arbeiten übrigens auch mit analogem Equipment und haben noch Monitore auf der Bühne, nicht etwa ein In-Ear-System. Mir gefällt der ganze Vibe von damals. Heute ist vieles so…produziert. Wir machen das aber nicht zu unserem Konzept wie dies andere Bands tun.

MI: Du schreibst all deine Songs inklusive Texte selbst. Umgekehrt gibt es ja auch immer wieder Künstler die Songs veröffentlichen, bei denen man in den Credits bis zu 10 Namen liest. Was hältst du davon? War das bei dir jemals ein Thema?

Seraina: Das kommt schon immer mal wieder als Thema von aussen. Aber bisher war mein Material zum Glück immer zufriedenstellend, so dass dafür keine Notwendigkeit bestand. Ich sage nicht, dass ich so etwas nie machen würde, aber es müsste dann gut passen. Bei den Texten hörst du schon, ob der Künstler einen Bezug dazu hat und ob er es lebt, ob er authentisch ist.

MI: Welche Texte auf Addicted to Color legst du deinen Zuhörern und Zuhörerinnen denn besonders ans Herz und warum?

Seraina: Sicher „Song for the Girls“, der frisch als Single erschienen ist und die nächste Single „Addicted to Color“, über den wir bereits gesprochen haben. Einer meiner heimlichen Favorites ist allerdings nicht unter den Vorabsingles. Das ist „Left behind“. Der Song fordert die Leute auf sich umzuschauen und zu fragen: was haben wir bisher gemacht und ist das wirklich das, was wir hinterlassen wollen?

MI: Nochmals zurück zur Musik. Musikalisch bist du sehr vielschichtig unterwegs, das kann man vor allem auf deinem Youtube Kanal gut sehen und hören. Du wirkst auch ausserhalb deiner persönlichen Arbeiten bei anderen Projekten mit. Kürzlich bist du bei Graywolf als Gastsängerin eingesprungen. Wie kam das zustande und wie hast du dich so kurzfristig darauf vorbereitet?

Seraina: Das kam zustande, weil wir uns persönlich kennen. Sandro, der Gitarrist der Band hat mich angerufen und gefragt, ob ich Zeit hätte, bei einem Gig auszuhelfen. Nach einem Blick in meinen Terminkalender stand ich vor der Wahl am Mittwochabend entweder nichts zu tun oder im Vorprogramm vor Skid Row zu singen. Und da dachte ich, wieso nicht? (lacht). Natürlich musste ich schon einiges vorbereiten, denn ich habe den Anspruch an mich selber, dass ich die Stücke auswendig kann. Am Tag vorher hatten wir dann noch eine Probe, damit wir gut vorbereitet waren.

Vielleicht noch ein Wort zum Youtube-Kanal auf dem ich zu meinen Originals auch Covers von Songs präsentiere. Ich mache gerne verschiedene Dinge, aber habe jetzt schon lange nichts mehr hochgeladen, aber auf TikTok habe ich ein, zwei Sachen hochgeladen. Im Moment fehlt leider einfach die Zeit dafür, neue Covers zu produzieren.

MI: Musikalisches Aufeinandertreffen gibt es auf eine andere Art ja auch, wenn ihr am selben Festival oder auf der selben Tour spielt wie andere Bands. Eine Kombi die uns ins Auge stach waren Steel Panther. Klar, ihnen geht es um die Parodie und doch steht ihr Konzept inhaltlich stark im Kontrast dazu, wofür du mit deiner Musik stehst. Wie funktioniert eine solche Kombi und wie siehst du eine Band wie Steel Panther in der heutigen Zeit?

Seraina: Das ist eine sehr interessante Frage und ich habe mich ehrlich gesagt selber gefragt, ob es eine gute Idee ist, in ihrem Vorprogramm aufzutreten. Aber zum einen ist an Steel Panther wirklich alles eine Parodie und zum anderen bin ich noch nicht in einer Position in der ich gross auswählen kann. Sprich, wenn du vor einer so grossen musikalisch passenden Band auftreten kannst, dann machst du das logischerweise. Aber ja, bezüglich des Themas Frauen in der Rockmusik hilft es halt schon nicht. Mir hat es einfach gezeigt, wie viel wir in dieser Hinsicht noch zu tun haben.

MI: Dann gehen wirs doch an. Gib uns doch zum Schluss noch kurz einen Ausblick, was bei dir noch so ansteht in der nächsten Zeit.

Seraina: Natürlich die Veröffentlichung des Albums am 18. August. Vorher erscheint aber noch wie angekündigt eine Single und zwar am 14. Juli. Dann werden wir bald auch in Grossbritannien mit Visions of Atlantis spielen und da freue ich mich sehr drauf. Und vom 22. September bis 13. Oktober haben wir an verschiedenen Orten in der Schweiz Headliner-Shows. Da sind wir froh, wenn die Leute schon jetzt Tickets bestellen. Vorverkäufe sind nämlich sehr wichtig. Also ja…see you on the road and stay colorful!

MI: Der beste Ort, um sich zu sehen, würde ich sagen (abgesehen von einem Schiff natürlich). Vielen Dank für das Interview, Seraina.

Fotos vom Interview mit Seraina Telli (Liane)

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/ 17.07.2023
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