Wenn die Mühle zur Zeitkapsel wird
Manche Konzerte sind mehr als nur Musik – sie gleichen einer Zeitreise, berühren das Herz und schmeicheln der Seele. Der Abend des 30. April 2025 in der Mühle Hunziken versprach, genau solch ein Ereignis zu werden. Maggie Reilly, bekannt durch Hits wie „Everytime We Touch“ und ihre Zusammenarbeit mit Mike Oldfield, machte auf ihrer aktuellen Tournee Halt in der Schweiz – begleitet von den britischen Pop-Rock-Veteranen Cutting Crew als Vorband.
Hach, wie sehr habe ich Orte mit altehrwürdigem Charme zu schätzen gelernt. Konnte ich kürzlich meine Premiere im Old Casino in Langenthal feiern (zur Geoff Tate-Review), so verschlägt es mich heute nach Rubigen im Kanton Bern. Von Luzern aus ist das mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwar kein Katzensprung, aber bei herrlichem Frühsommerwetter definitiv eine lohnenswerte Zugfahrt. Das urchige, mit jeder Menge Krimskrams wie Retro-Flippern dekorierte Venue ist seit 1976 ein Kultort der Schweizer Musikszene, bekannt für seine einzigartige Mischung aus Geschichte, skurrilem Charme und intimer Live-Atmosphäre. Und was sind die insgesamt drei zugänglichen Stockwerke doch verwinkelt, mein lieber Schwan. Es würde mich nicht sonderlich verwundern, wenn sich die eine oder andere arme Seele nach einem Gig auf dem Weg nach draussen verirrt hätte.
In den rustikalen Mauern der ehemaligen Futtermühle, die erstmals 1480 urkundlich erwähnt wurde, treten seit Jahrzehnten nationale Grössen wie Patent Ochsner oder Züri West auf – ergänzt durch internationale Acts. So auch heute: Maggie Reilly und Cutting Crew – Namen, die jüngeren Semestern mit Metal-Hintergrund vielleicht nicht unbedingt geläufig sein dürften. Doch in den 80er und frühen 90er Jahren zählten beide zu den Leitfiguren ihrer Zunft, wenn auch nicht im Schwermetallbereich. Für mich bedeutet diese Veranstaltung daher eine Reise zurück in fast vergessene Jugenderinnerungen. Ob diese nostalgischen Gefühle der musikalischen Realität standhalten? Wir werden sehen.
Cutting Crew
Die Ehre, den heutigen Abend zu eröffnen, haben Cutting Crew, die heuer ihr 40-jähriges Bandjubiläum begehen. Pünktlich um 20 Uhr betreten sie die Spielfläche der aus allen Nähten zu platzen drohenden Mühle Hunziken als Trio: Aktuell besteht die Truppe nämlich aus Gründungsmitglied Nick van Eede (Gesang, Gitarre), Gareth Moulton (Leadgitarre, Backing Vocals) sowie Tom Arnold am Keyboard, der bei einigen Liedern zudem Percussion – Elemente beisteuert.
Schon bei den ersten Klängen spürt man: Hier steht kein müder Altherrenverein auf der Bühne, sondern Künstler, die mit Leidenschaft und Spielfreude ihr Publikum auf eine Reise in eine glorreiche Vergangenheit mitnehmen. Würdevoll gealterte Ikonen in ihrer zweiten Blüte. Nick – charismatisch wie eh und je – führt mit britischem Charme und augenzwinkernden, spitzbübischen Anekdoten durch ein Set, das gekonnt zwischen Klassikern und weniger bekannten Perlen – zum Teil auch jüngeren Ursprungs – balanciert. Und mit „2040 Lullaby“ gibt es auch einen neuen Song, der seit letztem Jahr live gespielt wird und den Nick nach der Geburt seiner Grossnichte Harper geschrieben hat.
Natürlich fehlt der unsterbliche Hit „(I Just) Died in Your Arms“ nicht – ein Hühnerhautmoment, der wohl niemanden im Saal unberührt lässt. Doch auch abseits des Überhits (der unter anderem Platz eins der US-Billboard-Charts erreichte) zündet das Programm. Neben den Hit-Singles „I’ve Been in Love Before“ und „One For The Mockingbird“ sorgen weitere Songs für ausgelassene Stimmung.
Nach rund 40 Minuten brandet verdienter Applaus durch die hohe Konzertarena. Ob die Wirkung über eine längere Spieldauer hinweg ebenso konstant geblieben wäre, lässt sich schwer sagen – aber ich hätte nichts dagegen, das einmal selbst herauszufinden. So oder so: Cutting Crew liefern einen fulminanten Auftakt. Bleibt die Frage: Kann Miss Reilly da noch einen draufsetzen?
Maggie Reilly
Nun, um es vorwegzunehmen: bedingt. Doch der Reihe nach.
Nach einer angenehm kurzen Umbaupause wird Maggie Reilly mit viel Applaus empfangen. Die schottische Sängerin, die in den 70er Jahren mit Cado Belle begann und als Stimme von Mike Oldfields Klassikern wie „Moonlight Shadow“ oder „To France“ Weltruhm erlangte, betritt die Bühne. Schon beim Opener „Stars At Night“ wird klar: Ihr Timbre ist gereift – wie ein edler Tropfen Wein – mal zart und verletzlich, mal kraftvoll und energiegeladen. Wenn auch nicht mehr ganz so eindringlich-intensiv wie vor dreissig Jahren – der Zahn der Zeit geht an niemandem spurlos vorbei.
Begleitet wird die in Glasgow geborene Mezzosopranistin von vier Gastmusikern (wobei das Schlagzeug durch eine Plexiglaswand abgeschirmt wird). Zwischen den Liedern erzählt Maggie charmant Geschichten aus ihrer eindrücklichen Karriere, scherzt mit Band und Publikum und wirkt dabei so nahbar, als würde sie im Wohnzimmer für Freunde singen. Ein besonderes Lob erhält eine Schweizer Mineralwasserflasche: Im Gegensatz zu ihrem deutschen Pendant tags zuvor drohe diese ihr beim Öffnen nämlich nicht ins Gesicht zu sprudeln (wir Schweizer können eben auch mal halbwegs „still“ sein).
Und doch: So engagiert der Auftritt auch ist – er vermag mich nicht durchgehend zu fesseln. Die Bühnenpräsenz, insbesondere der Instrumentalisten, wirkt etwas statisch – speziell im direkten Vergleich zur deutlich lebendiger agierenden Cutting Crew. Aber vielleicht liegt es auch etwas an mir. Vor allem Maggie Reillys Kollaborationen mit Mike Oldfield sowie einige Songs ihrer ersten beiden Soloalben „Echoes“ (1992) und „Midnight Sun“ (1993) wussten mich emotional besonders tief zu berühren – mit ihren späteren Werken konnte ich hingegen nie wirklich warm werden. Entsprechend sind es denn genau diese Stücke, die bei mir direkt ins Schwarze treffen und das Herz erwärmen (für weitere Schweissausbrüche sorgt derweil die Mühle selbst, die sich langsam aber sicher in eine mehrstöckige Saunalandschaft verwandelt).
Alles in allem eine gute, engagierte und für die überwältigende Mehrheit der Anwesenden sicher tadellos-mitreisende Darbietung einer absoluten Ausnahmekünstlerin – die mich aber aus den bereits genannten Gründen mit etwas zwiespältigen Gefühlen zurücklässt. Es scheint, als hätten meine Erwartungen die Messlatte höher gelegt, als die Realität sie zu erreichen vermochte.
Das Fanzit – Maggie Reilly, Cutting Crew
Schon allein der Namen wegen hätte man von einem Doppel-Headliner-Konzert sprechen können – auch wenn der ersten Formation eine deutlich kürzere Spielzeit zur Verfügung stand.
Mit ihrer mitreissenden Performance verwandelte die Cutting Crew die Mühle Hunziken in eine pulsierende Zeitkapsel, in der für einen Moment alle Uhren auf 80er Jahre gestellt wurden. Bei Maggie Reilly wollte der berühmte Funke indes nicht so recht auf mich überspringen. Magische Momente und eine doch leichte Ernüchterung hielten sich in etwa die Waage – was wohl nicht zuletzt an meiner eigenen Erwartungshaltung gelegen haben dürfte.
Sowohl bei Cutting Crew als der Location Mühle Hunziken zeigt mein Daumen klar nach oben, während mein Fazit zur Headlinerin Maggie Reilly „gut, aber“ lautet. Dennoch war das Eintauchen in meine musikalische Früherziehung auch bei ihr ein erfrischender Zeitsprung in längst vergangene Tage.
Die Setlist – Cutting Crew
- Good As New
- One For The Mockingbird
- I’ve Been In Love Before
- 2040 Lullaby
- Till The Money Run$ Out
- Berlin in Winter
- Guitar Solo
- (I Just) Died In Your Arms
- Follow You Follow Me (Genesis cover)
Die Setlist – Maggie Reilly
- Stars at Night
- Tears in the Rain
- Foreign Affair (Mike Oldfield cover)
- Wait
- Where the Rivers Run
- Juliette
- Family Man (Mike Oldfield cover)
- Listen To Your Heart
- Stones Throw From Nowhere (Cado Belle song)
- Don’t Wanna Lose
- To France (Mike Oldfield cover)
- Heaven Sent
- In the Heat of the Night
- True Colors (Cyndi Lauper cover)
- Blue Night (Mike Oldfield cover)
- Everytime We Touch
- Moonlight Shadow (Mike Oldfield cover)
- Don’t Look Back*
- Cam Ye O Er Frae France*
* Zugabe