Schwelgen und geniessen
Das Jahr 2002 ist schon lange her: Damals war Kaspar Villiger Bundespräsident, die aus der Swissair hervorgegangene Airline Swiss hob zum ersten Mal ab und die expo.02 öffnete ihre Tore. Das war die Zeit als Savatage das letzte Mal in der Schweiz auftraten. Bis jetzt.
Raphi: Dreiundzwanzig Jahre sind also vergangen und in der Zwischenzeit gab es abgesehen von einem einmaligen Auftritt am Wacken Open Air 2015 nichts von Savatage zu vermelden. Klar, dass die Fans heute in Scharen in den Komplex strömen, um die Reunion dieser altgedienten Recken zu erleben. 1’300 Metalheads insgesamt, womit die Location mit einem Fassungsvermögen von 1’460 Personen knapp nicht ausverkauft ist. Zwei davon sind Metalinside-Kollege und Savatage-Fan Kaufi, der heute für eine anständige Bebilderung sorgt, und ich. Damit genug der Vorrede, Kaufi muss zur Besammlung der Fotografen, ich hole für ihn noch kurz am Merchstand ein T-Shirt (für 45.- Franken…) sowie einen Patch und dann stürzen wir uns ins Getümmel.
Induction
Als Aufwärmprogramm haben Savatage eine junge Band mitgebracht. Oder besser gesagt eine Band, in der junge Leute spielen, denn Induction stehen nun bereits im neunten Jahr ihrer Existenz. Das Quintett setzt auf symphonisch unterlegten Power Metal und die Soundcrew achtet darauf, ebendiese symphonischen Elemente gut hörbar im gelungenen Mix zu platzieren. Dass die Gitarren dabei zuweilen fast schon zur Nebensache verkommen, ist vor allem dem Songwriting geschuldet. Bei so vielen Orchesterklängen aus dem Synthesizer-Chip ist es bloss schade, dass Induction niemanden mit einem Keyboard in ihren Reihen haben. Ohne so jemanden kommt halt wie jetzt gerade bei dieser Art von Musik sehr viel vom Band.
Dafür lassen sich sämtliche Bandmitglieder nicht lumpen, was die Aktivität auf der Bühne angeht. Allen fünf merkt man an, dass sie Bock haben, dieses Konzert zu geben, und wissen, welche Chance sich ihnen mit einem solchen Supportslot bietet. Songtechnisch treten vor allem «Fallen Angel» und die neue, auf den Tag genau eine Woche alte Single «Beyond Horizons» hervor. Das Europe-Cover «The Final Countdown» hingegen verbleibt Füllmaterial: Um einem derart oft gespielten und gehörten Lied eine Daseinsberechtigung im Set zu verschaffen, müsste das Arrangement frischer, ja kreativer sein. Es wird aber immerhin von vielen Anwesenden mitgesungen. Alterstechnisch trifft es hier natürlich auf die perfekte Zielgruppe. Nachdem Induction schliesslich zwecks Ankurbelung der Merchverkäufe zwei T-Shirts ins Publikum geworfen haben und eingepackt in «Go To Hell» alle Bandmitglieder gebührend vorgestellt haben, beendet «Queen Of Light» nach einer knappen Dreiviertelstunde das Set.
Savatage
Damit übergeben Induction ein eingegroovtes Publikum an die Headliner des heutigen Abends. Noch bevor diese auf der Bühne stehen, erklingen Sprechchöre, während die Abstände zwischen den Reihen stetig kleiner werden. Dann ist es so weit, aus den Boxen tönt «The Ocean» in den Saal und Jubel brandet auf. Die Menge ist so heiss, wie die stillstehende Luft hier im Komplex 457. Savatage heissen uns mit «Welcome» willkommen und die Fans stellen sogleich die Fähigkeiten ihrer Stimmbänder unter Beweis. «Jesus Saves» folgt und meine Gedanken wandern zu Kaufi im Fotograben, für den das jetzt gerade eines DER Highlights ist, stimmts Kaufi?
Kaufi: Ich gehöre zu jenen Leuten, die im Vorfeld keinesfalls gespoilert werden wollen in Sachen Setlist. Das hat bei Savatage erstaunlich gut geklappt – doch dass „Jesus Saves“ sehr früh drankommt und ich dann wohl eben im Graben stehen darf, habe ich mitbekommen. Ein Track von einem der besten Alben aller Zeiten („Streets – A Rock Opera“) so zu erleben, ist wahrlich ein Traum! Dass ich das noch erleben darf – nein, das ist alles andere als selbstverständlich! Den Fokus auf die „Arbeit“ respektive das Fotografieren zu lenken, fällt gerade etwas schwer. Dass direkt im Anschluss der uralte Klassiker „Sirens“ folgt, macht es auch nicht einfacher.
Raphi: Mir taugt „Jesus Saves“ durchaus ebenfalls, im Anschluss benötige ich jedoch zwei, drei Songs, bis mich dann «This Is The Time» so richtig packt und ich richtig eintauchen kann. Die Band scheint eine ähnliche Entwicklung durchzumachen: Mit jedem Song, den die sieben Herren zum Besten geben, finden sie mehr zueinander und knüpfen ein Band mit dem Publikum, das jede Sekunde aufsaugt wie ein Schwamm. Währenddessen flimmern passende Illustrationen aus der Bandgeschichte über den Screen hinter den Musikern, was die einzige Form von visueller Untermalung bleiben soll. Wer eine riesengrosse Produktion erwartet hat, wird also enttäuscht.
Savatage verzichten aber nicht nur auf jeglichen Firlefanz, sondern lassen es auch bleiben, ständig auf die Vergangenheit und die Tatsache, dass sie echt lange weg vom Fenster waren, hinzuweisen oder sich selber als Legenden zu feiern. Das ist wirklich angenehm, steht so nämlich die Musik ganz im Fokus. Mit zwei Keyboardern auf der Bühne, gehe ich zudem davon aus, dass bei dieser so gut wie alles, was wir heute Abend zu hören kriegen, live ist. Dass keiner der beiden Bandmitgründer Jon Oliva ist, ist selbstverständlich schade, doch die gesundheitliche Situation des Maestros lässt eine Teilnahme an der aktuellen Tour leider schlicht nicht zu. Damit fehlt Savatage auch eine prägende Gesangsstimme. Zak Stevens springt aber beherzt in die Bresche und meistert die Herausforderung nach bestem Wissen und Gewissen. Kaufi, kannst du als Savatage-Kenner dies noch besser einordnen?
Kaufi: Als sich in den 90ern (fuck, ist das so lange her?) Jon Oliva langsam als Sänger zurück zog und Zak Stevens in die Band kam, gab es natürlich auch da „Kritik“. Zu was der Neue allerdings fähig ist, zeigte er ein erstes Mal auf der Scheibe „Edge Of Thorns“, deren Titeltrack in all den Jahren danach wohl nie fehlte in einer Setlist. Er war zuerst die perfekte Ergänzung zu Jon Oliva und später ein souveräner Fronter von Savatage, der viele Kritiker verstummen liess. Dass darum ein Grossteil des heutigen Programms aus der Ära mit Stevens als Sänger stammt, ist wenig überraschend. Zudem steht hier fast die komplette Mannschaft auf der Bühne, die damals „Dead Winter Dead“ eingespielt hat.
Raphi: Danke für diese Hintergrundinfos. Mittlerweile sind wir bei den aufheulenden Gitarren von «The Storm» angelangt, die perfekt vorbereiten für das ruhigere Doppelpack «All That I Bleed» und «Handful Of Rain». Erstere Komposition stellt gemäss Sänger Zak einen speziellen Punkt auf der Setlist dar, der nicht überall Teil der Show sei. «Chance» schraubt das Energielevel danach wieder nach oben und entwickelt sich schon sehr bald zu einem Höhepunkt der Show. Es geht in diesem Stil weiter und die Menge feiert die Band enthusiastisch. Zwischendurch sind tatsächlich laute Ole-Ole-Gesänge zu vernehmen, derart begeistert sind die Anwesenden. Doch nichts lässt erahnen, was auf uns zukommt, als die ersten Klänge von «Believe» erklingen zu denen Jon Oliva auf dem Bildschirm eingeblendet wird und Stimme sowie Klavierspiel von ihm ab Band zu hören sind, bevor nach dem ersten Refrain die hier anwesenden Savatage-Mitglieder übernehmen. Der ganze Komplex schwelgt in der balladesken Melodie und singt den Text vereint mit.
Kaufi: Der ultimative Höhepunkt. Ich bin nudelfertig; das ist riesengrosses Kino, was Savatage uns da bieten. Erinnerungen kommen hoch an das Bang Your Head!!! Festival, als Jon Oliva damals diesen Song dem kurz zuvor verstorbenen Ronnie James Dio widmete. Und manch einer im Publikum dürfte auch heute bei dieser unfassbaren Ballade die eine oder andere Träne im Auge haben.
Raphi: «Gutter Ballet» und «Edge Of Thorns» knüpfen nahtlos daran an, Band und Fans verschmelzen zu einer Einheit, um gemeinsam die Musik zu feiern und geniessen. So verwundert es niemanden, dass die Rufe nach mehr laut und deutlich erschallen, als Savatage anschliessend die Bühne verlassen. Die verlangten Zugaben geben sie uns freimütig: «Power Of The Night» versetzt die Köpfe in Bewegung und bietet die perfekte Abwechslung nach dem dramatisch angehauchten Schlusstripel der regulären Spielzeit. Das definitive Ende bringt dann der Bergkönig: Mit «Hall Of The Mountain King» verabschieden sich Savatage nach nicht ganz zwei Stunden und entlassen 1’300 Personen mit einem seligen Grinsen in die Nacht.
Das Fanzit – Savatage, Induction
Nachdem Induction die Menge aufgewärmt hatten, verzückten Savatage ihre Fans mit einem tadellosen Konzert. Mit einem Auftritt ohne Schnickschnack und Selbstbeweihräucherung hatten die Amerikaner den Fokus ganz auf die Musik gelegt und unterhalten mit diesem Konzept nach einer kleinen Aufstartphase bestens bis zum unvermeidlichen Schluss. Dieses Comeback ist definitiv gelungen. Jetzt hast du dein Wunschkonzert also mit zwei Jahren Verspätung doch noch erhalten, Kaufi.
Kaufi: Manch einer spricht schon jetzt vom Konzert des Jahres (Raphi: Bisschen früh, so Mitte Juni…). Sicher ist es DAS Comeback des Jahres! Zwei Dinge möchte ich nicht unerwähnt lassen. Einerseits das Publikum: Mein Fresse, haben die Fans auf Savatage gewartet! Von Sekunde eins an, ist der Komplex ein Hexenkessel, die Fans enthusiastisch und frenetisch, wie ich das ganz, ganz selten je erlebt habe hier. Und das bei diesen Temperaturen… Dann ist da noch die Tatsache, dass Savatage ganz offensichtlich nicht einfach ihre Standardsetlist haben, sondern immer mal punktuell variieren. So stand auch schon „Nothing’s Going On“ als Zugabe auf dem Programm, „Power Of The Night“ fast am Anfang und „Sirens“ fehlte dafür. Stark!
Die Fotos – Savatage, Induction
Die Setlist – Induction
- Intro
- Born From Fire
- Fallen Angel
- I Am Alive
- The Final Countdown
- Set You Free
- Medusa
- Beyond Horizons
- Go To Hell
- Queen Of Light
- Outro
Die Setlist – Savatage
- The Ocean
- Welcome
- Jesus Saves
- Sirens
- Morning Sun
- The Wake Of Magellan
- This Is The Time
- Strange Wings
- The Storm
- All That I Bleed
- Handful Of Rain
- Chance
- Starlight / Temp / Rev / Mozart
- Dead Winter Dead
- The Hourglass
- Believe
- Gutter Ballet
- Edge Of Thorns
- Power Of The Night*
- Hall Of The Mountain King*
*Zugaben