Der kleine grosse Star
Peter Maffay – darf man ihm auch „Bruce Springsteen der deutschen Rockszene“ sagen? Der fast 76-jährige zeigt bei seinem Besuch im solothurnischen Kestenholz jedenfalls eine Leistung, die dem „Boss“ in nichts nachsteht.
Peter Alexander Makkay – so hiess der Junge, der in den Sechzigerjahren aus Rumänien mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen ist. Als seine musikalische Karriere startete, erhielt er den Namen Peter Maffay. Erste Erfolge erreichte der gut Zwanzigjährige mit purem Schlager der seichten Sorte, obwohl bald auch mal etwas härtere Gitarrenklänge ertönten. Ende der Siebziger änderte Maffay endgültig seinen Stil und fuhr alsbald auf einer deutlich rockigeren Schiene. Der Erfolg blieb nicht aus, zumal etliche Songs textlich ebenfalls in eine ernstere Richtung gingen. Von Karat übernahm er „Über sieben Brücken“, damit schaffte er den endgültigen Sprung an die Spitze.
Peter Maffay ist heute der erfolgreichste Solo-Künstler in Deutschland, einundzwanzig Nummer-1-Alben und über fünfzig (!) Millionen verkaufte Tonträger sprechen da eine deutliche Sprache. Er hatte darüber hinaus später nie Probleme, Grenzen zu sprengen und mit anderen Künstlern, auch aus ganz anderen Genres, zusammen zu arbeiten. So wie beispielsweise mit Anastacia, mit der er „Just You“ aufgenommen hat, eine englische Version seiner 1979er-Ballade „So bist Du“.
Live begleiteten ihn immer wieder Gäste wie beispielsweise Tony Carey (der Keyboarder, der unter anderem bei Rainbow spielte und auf deren Überalbum „Rising“ zu hören ist) oder der Karat-Sänger Herbert Dreilich. Zudem zeichnen die teils überlangen Shows Maffay und seine Band aus, da ist höchst selten Schluss, bevor nicht zweieinhalb Stunden durch sind. „Boss“-like halt. Lange Tourneen sind mittlerweile Geschichte, aber einzelne Konzerte und Open Airs spielt er hoffentlich noch „ewig“! Willkommen in Kestenholz, Peter Maffay!
St. Peter at Sunset
Zuerst mal: Wo ist dieses Kestenholz und was ist dieses „St.Peter at Sunset“ für ein Festival? Kestenholz liegt in der Nähe von Oensingen, etwas grösser gedacht im Dreieck Solothurn-Olten-Langenthal. Das Gelände liegt direkt neben der kleinen Kapelle St. Peter und Paul, die umrahmt von zwei grossen Linden ein sehr tolles Bild ergibt.
Das mehrtägige Festival findet alle zwei Jahre statt, musikalisch hatte es bislang jedoch kaum Bands oder Künstler, die für unsere Leserschaft wirklich interessant waren. Peter Maffay ist da nun eine andere Baustelle, denn es gibt manchen Fan der härteren Klänge, dem das ebenfalls gefällt. Ich erinnere mich an die letzte Show im Hallenstadion, als erstaunlich viele Zuschauer mit Metal-Shirts anwesend waren…
Doch zurück zum Festival. Da muss man grad die tolle Organisation loben. Klare Wege, Parkplatz-Situation im Griff (herrlich, die Menschenschlange nach Konzertende – und dennoch kaum Wartezeiten). Ein grosses Festzelt mit erstklassigen Verpflegungsmöglichkeiten und für alle möglichen VIPs hat es ebenfalls ein Zelt und sonstige Bars. Doch der grösste Pluspunkt: Der ganze Stehplatzbereich ist mit grossen Platten ausgelegt, die wohl selbst beim grössten Schiff-Wetter kaum Wasser durchlassen würden! Solche Dinger habe ich bislang noch nirgends gesehen. Aber ok – ich bin ja auch nicht der allergrösste Open-Air-Besucher. Egal, Gummistiefel wären hier sicher nicht nötig.
Bevor dann endlich der kleine grosse Star auf die Bühne darf, spielt noch ein gewisser Bastian Baker irgendwelches langweiliges Zeugs. Ich weiss, wieso ich nie Radio höre.
Peter Maffay
Um 19:45 Uhr ist es dann so weit: Die lebende Legende Peter Maffay betritt mit seiner vielköpfigen Band die Bühne. Er startet da sofort eine Zeitreise und hat den Fans gleich mal seinen ersten Hit, die Überschnulze „Du“, um die Ohren. Selbst wenn das in etwas rockigerer Art vorgetragen wird als das Original vor fünfundfünfzig (!) Jahren: Das gehört nicht zu meinen Faves. Der Vorteil: Wir haben es grad durch. „Sonne in der Nacht“ im direkten Anschluss ist dann ein absoluter Klassiker und sehr überraschend, denn dies war ansonsten immer der Rausschmeisser, der zuweilen in XXXXL-Versionen gespielt wurde.
Ich stehe da im Fotograben und geniesse jede Sekunde. Seit 1980 bin ich Fan, 1984 war das mein erstes Konzert überhaupt und heute erfüllt sich mit dem Fotoauftrag ein Lebenstraum. Die Musiker auf der Bühne haben ebenfalls mächtig Spass. Zum Beispiel als die Backgroundsängerin Linda Teodosiu mit Gitarrist Peter Keller bei dessen Solo um die Wette post. Apropos Peter Keller: Der schaut kurz darauf direkt zu mir runter. Doch während ich die Kamera hochreisse, wechselt das Licht zu blau – somit keine Chance auf ein gutes Bild. Ich nehme die Kamera runter, zucke mit den Schultern, zeige auf die Scheinwerfer und wir lachen beide über den doofen Moment.
Musikalisch geht es über „Hoch und höher“ zu „Wenn der Himmel weint“. Dieser Titel vom 2014er-Album „Wenn das so ist“ ist das erste riesengrosse Highlight des Abends. Man höre oder lese die Lyrics. Einer dieser Songs, die ganz, ganz tief unter die Haut gehen. Pure Emotionen, meine Poulethaut ist in diesen Momenten nicht der Kälte geschuldet. Direkt im Anschluss folgt mit „Karneval der Nacht“ mein ultimativer Favorit. Seit 1984 ist das für mich der beste Song von Maffay, der Studioversion kann man den Stempel Hardrock aufdrücken. Heute wird der allerdings mehr in einer Rock ’n’ Rolligeren Version gespielt, was aber auch nicht schlecht tönt.
Mittlerweile hat der Wetterfrosch recht behalten, es beginnt ein leichter Regen. Und auf der Bühne folgt nun eine relativ ruhige Phase, aufwärmen wäre nötig. Egal – Maffay trumpft dafür mit seinen Ansagen. „Da ist jemand, die kennt jede Textzeile! Das ist gut, dann brauche ich den Teleprompter nicht mehr!“ Den er für den nächsten Titel sowieso nicht braucht: „So bist du“ kann er, kann jeder Zuschauer im Schlaf singen. Er erzählt von Tattoos („Ich hab auch welche“) und was die „Schwarzen Linien“ für den Einzelnen bedeuten. Ich hoffe hier für einen kurzen Moment auf das harte „Schatten in die Haut tätowiert“, doch der wird leider einmal mehr ignoriert. Dafür ist das Duett mit seinem Sohn Yaris sehr beeindruckend! Der hat in Sachen Tattoos den Vater übrigens mit seinen erst 22 Jahren längstens überholt…
Für die Geburtstagskinder, die offenbar sehr spärlich im Publikum vertreten sind, gibts nun ein „Happy Birthday“ gefolgt von einer ausführlichen Bandvorstellung, bei der vor allem Drummer Bertram Engel enorm grossen Applaus erhält. Er ist mit Abstand das Bandmitglied, welches am längsten im Maffay zusammen ist. An anderen Positionen ist es dafür teils schon länger zu Wachablösungen gekommen: Am Piano sitzt auch schon seit vielen Jahren Pascal Kravetz, der Sohn von Jean-Jacques, welcher in den frühen Achtzigern zur Band gehörte. Krass –Pascal ist mittlerweile ebenfalls weit über fünfzig Jahre alt.
Peter Maffay wurde bekanntlich mit kitschigem Schlager gross. Eine Vergangenheit, die er nicht leugnet, wenngleich sie kaum mehr das repräsentiert, was ihn und seine Musik ausmacht. Doch einer dieser Songs, der so dermassen Kitsch ist und heutzutage auch mal eine Spur überzeichnet wird, ist zweifellos „Und es war Sommer“. Absolut JEDER auf dem Platz singt da „Ich war sechzehn und sie einunddreissig“. Grenzwertig, aber ehrlicherweise muss man zugeben: Der Unterhaltungswert ist gross!
Dann endlich wird der Härtegrad wieder angezogen! Wir sind ja nicht an einer Schlagerparty… „Liebe wird verboten“ brätscht richtig rein, hier singt wieder Blondschopf Linda Teodosiu im Duett. Mit dem kultigen „Samstag Abend in unsrer Strasse“ zeigt der Meister, dass er schon 1973 wohl gerne etwas weniger Schlager und mehr Rock gemacht hätte. Dass Maffay ein begeisterter Töfffahrer ist, ist keine grosse Neuigkeit. „Gelobtes Land“ ist eine Biker-Hymne, die seinesgleichen sucht und auch wenn ich mit diesen Gefährten nichts anfangen kann: Der Song ist fantastisch und man kann das Lebensgefühl dieser Leute irgendwie schon spüren.
Schlagzeuger Bertram Engel wurde wie erwähnt bei der Bandvorstellung schon gefeiert. Jetzt darf er zeigen, dass er mehr kann, als nur auf die Kessel hauen. Er übernimmt den Platz von Kravetz am Piano und singt „Der Mensch, auf den du wartest“, während die dezenten Beats von Charly Klauser gespielt werden.
Kurz nach „Kreuzfeuer“ und „Funken machen Feuer“ holt Maffay einen Gast auf die Bühne. Er kündigt die Sängerin Jay Jeker an als jemanden, den er unbedingt in sein Ensemble holen wollte, die sich aber anders entschieden hat. Die Schweizerin, Teilnehmerin von „The Voice“, singt hier nun im Duett den Janis Joplin-Klassiker „Mercedes Benz“. Als jemand, der nichts bis gar nichts von diesen Castingshows hält, muss ich sagen: Das tönt leider geil! Sehr beeindruckend, dementsprechend grossen Applaus erhält die Aargauerin hier!
Peter Maffay war eigentlich immer schon ein politischer Mensch, der sich darüber hinaus mehr und mehr sozial engagierte. Er scheut sich auch nicht, seine Meinungen auf der Bühne kundzutun. Eigentlich ein zweischneidiges Schwert, denn an einem Rockkonzert will ich, wollen wohl die meisten Leute, abschalten und nicht mit dem Scheiss, der auf diesem Planeten passiert, konfrontiert werden. Beim letzten Konzert im Hallenstadion hat er es diesbezüglich deutlich übertrieben, das hat teilweise recht genervt.
Heute jedoch macht es Maffay perfekt. Die Ansage zu „Eiszeit“ ist kurz, prägnant und verdammt wahr. Als der Song 1982 geschrieben wurde, hoffte man, dass man nie wieder in diese Situation der atomaren Bedrohung kommt. Und wo sind wir heute? Auch das kurze Statement am Ende, dass Demokratie ein hohes Gut ist und uns Freiheit gibt, so zu leben, wie wir wollen, mündet direkt in „Freiheit, die ich meine“. Das war es dann mit Politik. Und dass „Eiszeit“ ein weiterer Höhepunkt des Abends ist, muss man kaum erwähnen. Tausende singen den Song Zeile für Zeile mit.
Nachdem es zwischendurch für ein paar Minuten aufhörte, beginnt es nun wieder zu regnen. Ich habe langsam wirklich kalt und verkrümle mich mal ins grosse Zelt ans Trockene. Von dort höre ich den wohl bekanntesten Song überhaupt – der nicht mal von Maffay ist. „Über sieben Brücken musst Du gehn“ ist natürlich das, worauf im Prinzip jeder gewartet hat. Die Stimmung ist trotz Bewässerung von oben auch im Zelt hör- und spürbar.
Nach über zweieinhalb Stunden lässt sich die Band zu Überstunden in Form einer Zugabe überreden. Leider ist „Halt dich an mir fest“ wirklich die einzige Zugabe, ein winziger Wermutstropfen in diesem Moment. Trotz insgesamt über 160 Minuten Spielzeit – man hätte schon noch mehr vertragen. Nichtsdestotrotz ist es eine verdammt beeindruckende Leistung, was der über 75-jährige Peter Maffay mit seiner vielköpfigen Truppe da abliefert.
Das Fanzit – Peter Maffay
Trotz nicht gerade optimalen äusseren Bedingungen liefert der kleine grosse Star ein saugeiles Konzert ab. Alleine aufgrund der erwähnten Spielzeit ist er wohl wirklich der „Bruce Springsteen der deutschen Rockszene“. Maffay ist bald 76 Jahre alt, topfit und singt so gut wie eh und je. Irgendwas haben diese älteren Herren doch genommen: Rob Halford von Judas Priest wird im Alter immer besser. Biff Byford von Saxon zeigt stimmlich auch keine Schwächen. Und Iron Maidens Air Siren Bruce Dickinson ist zwar noch etwas jünger, aber auch er ist in Höchstform (Anm. von pam: Brian Johnson von AC/DC darf hier auch gerne als weiteres positives Beispiel erwähnt werden).
Doch nochmals zurück zu Peter Maffay. Neben der richtig starken Setlist sind es schlussendlich zwei Faktoren, welche diese Show heute zu einem der besseren Konzerte machten. Erstens der erwähnte Fakt, dass er sich mit politischen Aussagen insgesamt sehr zurückhielt. Zweitens kein Tabaluga-Kindergeburtstags-Gedöns. Mir ist klar, dass er mit der Drachengeschichte da einen Trumpf hat, doch der hätte heute nicht gestochen.
Wie eingangs erwähnt, höre und huldige ich Maffay seit fünfundvierzig Jahren. Und nein, rein musikalisch finde ich lange nicht alles top, vor allem die ganz alten sowie die neueren Dinge. Doch als Mensch ist er einfach eine faszinierende Persönlichkeit und viele seiner Songs haben auch Texte, die Substanz haben. Trotz all meiner Liebe zu Hardrock und Heavy Metal: Peter Maffay war und ist immer speziell für mich. Eingepackt zwischen Konzerten von Judas Priest und Iron Maiden: Der Besuch hat sich absolut gelohnt!
Die Setlist – Peter Maffay
- Du
- Sonne in der Nacht
- Hoch und höher
- Wenn der Himmel weint
- 100.000 Stunden
- Karneval der Nacht
- So bist du
- Schwarze Linien
- Happy Birthday
- Dein Leben
- Und es war Sommer
- Liebe wird verboten
- Samstag Abend in unserer Strasse
- Weil es Dich gibt
- Gelobtes Land
- Ewig
- Der Mensch auf den Du wartest (gesungen von Betram Engel)
- Kreuzfeuer
- Funken machen Feuer
- Wenn das so ist
- Mercedes Benz (Janis Joplin-Cover, mit Jay Jeker)
- Jetzt!
- Eiszeit
- Über sieben Brücken musst Du gehn
- Halt Dich an mir fest*
*Zugabe