Wilderun – Veil Of Imagination (Cover Artwork)
Fr, 17. Juli 2020

Wilderun – Veil Of Imagination

Folk Metal, Progressive Metal, Symphonic Metal
18.07.2020
Wilderun – Veil Of Imagination (Cover Artwork)

Ein Meisterwerk!

Symphonische Melodien, progressive Abschnitte, Folklore und Orchestrierungen «en masse». Freunde der Nacht – der angebotene, musikalische Katalog von Wilderun klingt unglaublich vielversprechend. Der dritte Streich der 2008 gegründeten Gruppe aus Boston, Massachusetts (USA) namens «Veil Of Imagination» ist heute auf meinem Tisch gelandet und wird aufgrund dessen natürlich ausführlich rezensiert.

Veröffentlich wird der Silberling am 17. Juli 2020 über Century Media Records. Die ersten Hörproben lassen – ohne zu übertreiben – den Hauch eines komplexen Meisterwerks erahnen. Bestätigung oder Widerspruch? Die nachfolgenden Zeilen werden diesbezüglich definitiv Klarheit schaffen.

Das Album – «Veil Of Imagination»

Hühnerhaut-Momente – und zwar nicht wenige davon – erlebt der Hörer bereits beim ersten Track «The Unimaginable Zero Summer». Ein 14-minütiger Brocken, der sich zu Anfang mit einem gesprochenen Einstieg und sanften Tönen zaghaft gibt, dann aber wegen peitschender Drums und bitterbösen Growls immer mehr Fahrt aufnimmt und sich in höhere Sphären hievt. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle, die nicht nur die Herzen der Prog-Anhänger zutiefst berühren wird. Dramatische Chor-Gesänge sind ebenfalls Bestandteil des immensen Baukastens, mit welchem die US-amerikanischen Komponier-Genies agieren. Ursprünglich wollten die Herrschaften eigentlich auf den Pfaden von den in Finnland beheimateten Turisas wandeln – so zumindest die Aussage von Klampfer und Sänger Evan Anderson Berry. Ich würde dem Quintett aktuell allerdings ohne zu zögern gleicherweise Einflüsse von Dream Theater, Amorphis, Persefone und Opeth zugestehen. Die vorgetragene Kunst geniesst man am besten ungestört in einem bequemen Sessel und mit der passenden Flüssignahrung in der Hand. Nur in solch einer Situation kann sich der angestrebte Genuss meines Erachtens komplett entfalten.

Fantasievolle Menschen werden bei all diesen Hymnen garantiert mittels der eigenen Vorstellungskraft fiktive Welten erschaffen und darin eintauchen können. Traurig, dass sich gewisse Leute für diesen Effekt irgendwelche Pillen einwerfen müssen. Das ist schlichtweg Musik aus dem grossartigen Blockbuster-Segment! Bei «O Resolution!» kommt der stimmliche Kontrast zwischen klarem Gesang und kehligem Gegrunze ausgezeichnet zur Geltung. Des Weiteren brilliert die Gitarren-Fraktion mit packenden Soli. Neben offenbar sichtlich talentierten Musikern haben bei diesem Album auch zwei prominente Namen aus der Produzenten-Ecke ihre Finger im Spiel: Dan Swanö und Jens Bogren. Das sind freilich echte Erfolgsgaranten!

Manch ein Kinofilm wäre wahrscheinlich überaus dankbar für einen Soundtrack dieser Art. Zumindest werden bei mir während des Hörens Erinnerungen an Glanzstücke wie «Jurassic Park», «Star Wars» oder «Lord Of The Rings» wach. «Sleeping Ambassadors Of The Sun» markiert bisher zugegebenermassen den verhältnismässig ruhigsten Teil unserer Odyssey durch «Veil Of Imagination». Nichtsdestotrotz bringen Chöre und Growls gelegentliche Intensitätssteigerungen mit sich.

Die Platte wurde übrigens bereits Ende des vergangenen Jahres veröffentlicht – in völliger Eigenregie der Truppe, da sich viele Labels nicht damit abgeben wollten. Glücklicherweise kam es irgendwann doch noch zu einem Deal mit Century Media Records. Dem «Re-Release» steht nix mehr im Weg. Dadurch dürfte der Scheibe sicherlich die Aufmerksamkeit widerfahren, die sie verdient hat. Die Komposition von Wilderun sollen gehört werden – oh ja! Selbst ein relativ kurzes Lied wie «Scentless Core (Budding)» hat seinen Reiz. Die Amis verstehen es exzellent, jeden Schreiberling auf dieser Kugel an seine Grenzen zu bringen. Aber mit ausreichendem Wortschatz ist man dieser Herausforderung trotzdem einigermassen gewachsen.

Fortgesetzt wird diese Synapsen anregende Reise mit «Far From Where Dreams Unfurl». Atemberaubend, in welchen emotionalen Strudel der Hörer hier hingezogen wird. Ein episches Kapitel jagt das nächste. Kann der ausschliessliche Klargesang von Evan ebenfalls überzeugen? Absolut – und gepaart mit chorischer Rückendeckung erst recht! Erneut verzeichnen die Saitenköniginnen gelungene Solo-Auftritte.

Das Klimpern der Klaviertasten auf «Scentless Core (Fading)» ruft umgehend eine melancholische und traurige Atmosphäre hervor. Der Einsatz von Streichinstrumenten untermauert dies zusätzlich. Ein massgeschneiderter Song für nachdenkliche Gesellen und andere «Hirn-Grübel-Akrobaten». Doch gebt fein acht, denn im zweiten Teil werden Dramatik und Härtegrad – begleitet von Felle-Drescher Jon Teachey und markanten Riffs – flott gesteigert. Bedauerlicherweise ruiniert das abrupte Ende den Stimmungssiedepunkt dezent. Oder ist dieser Cliffhanger möglicherweise geplant?

Exakt so ist es. Im darauffolgenden «The Tyranny Of Imagination» geht der zuvor angedeutete, wilde Ritt schnörkellos weiter. Nun dürfen die Mähnenschüttler abermals ran an den Speck. Diese Rhythmen lassen sowieso keinen Nacken kalt. Es sind ausreichende Stampfer-Parts vorhanden. Auf der gesanglichen Ebene erleben wir fortlaufend Duelle des diabolischen Yin und des gutherzigen Yang. Leichte Irritationen ruft dafür der «chroosende» Ausklang hervor.

Für das Finale tritt das beinahe 12 Minuten dauernde Monstrum «When The Fire And The Rose Were On» auf den Plan, bei welchem die Herrschaften nochmals alle Register ziehen. «Wow»-Momente im Überfluss. Dank eines gesprochenen Abschnitts am Schluss schliesst sich im sprichwörtlichen Sinne der Kreis.

Das Fanzit Wilderun – Veil Of Imagination

Kurz: «Veil Of Imagination» ist eines der besten Alben, welches in letzter Zeit den Weg in meine Gehörgänge gefunden hat. Ein wahres Meisterwerk.

Selbstverständlich kann ich es keinesfalls bei einer solch knappen Zusammenfassung belassen. Mit diesen acht Liedern nehmen uns Wilderun mit auf einen einzigartigen Trip durch Körper, Geist und die eigene Vorstellungskraft. Es ist eine riesige Ehre, eine solche Königsklasse der Komponier-Kunst erleben zu dürfen. Wenn irgendwo bei der Stilbezeichnung das Wörtchen «Prog» auftaucht, regieren viele Leute oftmals kritisch und strafen die angebotene Musik mit Ignoranz. Bei diesem Werk würde ich allerdings tunlichst davon abraten. Andernfalls entgeht einem einfach ein unfassbarer Hochgenuss. Ausserdem werden ja noch andere Genre-Einflüsse angewandt.

Ich wage gar zu behaupten, dass den Amis mit ihrer dritten Scheibe das gelungen ist, was Nightwish mit «Human. :II: Nature.» versucht haben anzustreben, aber dann unglücklicherweise trotzdem mehrheitlich daran gescheitert sind (siehe Review).

Logischerweise würde ich diese von mir hochgelobten Stücke allzu gerne im Live-Gewand erleben. Dieses Vorhaben müsste allerdings in einer passenden Location oder Umgebung umgesetzt werden, da das Ganze sonst wohl nicht die beabsichtigte Wirkung erzielen wird. Wie wäre es beispielsweise in einem gigantischen Theater-Saal inklusive Orchester?

9.5 Punkte – das sind gleich einige fette Ausrufezeichen. Weshalb gibt’s nicht gleich die Höchstnote? Diesbezüglich bleibe ich dem Grundsatz treu, dass die legendären 10er-Alben strenggenommen alle bereits existieren und veröffentlich worden sind. «Veil Of Imagination» kommt aber verdammt nahe an die «Götter-Abteilung» heran. Schlussendlich erhält es dieselbe Wertung, wie «Aathma» von Persefone (ein für mich ebenfalls phänomenales Epos! – siehe Review).

Empfehlenswerte Hörproben: «The Unimaginable Zero Summer», «O Resolution!», «Far From Where Dreams Unfurl», «When The Fire And The Rose Were On»

Reinhören und portofrei bestellen

Tracklist Wilderun – «Veil Of Imagination»

  1. The Unimaginable Zero Summer
  2. O Resolution!
  3. Sleeping Ambassadors Of The Sun
  4. Scentless Core (Budding)
  5. Far From Where Dreams Unfurl
  6. Scentless Core (Fading)
  7. The Tyranny Of Imagination
  8. When The Fire And The Rose Were On

Line Up – Wilderun

  • Evan Anderson Berry – Gesang, Gitarre, Piano
  • Dan Müller – Bass, Synthesizer, Orchestrierung
  • Jon Teachey – Drums
  • Joe Gettler – Lead-Gitarre
  • Wayne Ingram – Orchestrierung

Album Review Bewertung

Autor Bewertung: 9.5/10



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18.07.2020
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