
Kawaii-Mosh im Manga-Universum
Am 22. Mai 2025 machten Babymetal aus dem Land der aufgehenden Sonne Halt in The Hall zu Dübendorf. Als Support waren Poppy sowie Bambie Thug mit von der Partie – letztere dürfte dem einen oder anderen noch vom Eurovision Song Contest des Vorjahres ein Begriff sein (dazu später mehr).
Wir haben uns mitten ins Getümmel gestürzt, um herauszufinden, wie sich dieses kunterbunt zusammengewürfelte Line-up geschlagen hat.
Babymetal – man liebt sie, oder man kann sie partout nicht ausstehen. Ein „Och, die sind ganz okay“ scheint es bei dieser Band schlichtweg nicht zu geben. Ich persönlich zähle mich klar zur Pro-Fraktion. Warum? Ihr Stück „Light And Darkness“ hat mich vor einiger Zeit durch eine recht düstere Phase getragen – wie kaum ein anderes Lied damals. Kurzum: Zwischen mir und dieser Truppe besteht eine gewisse emotionale Verbindung. Das mag sich in den nachfolgenden Zeilen vielleicht in Form des einen oder anderen Fanboy-Moments bemerkbar machen 😉. Aber lässt sich diese Faszination auch auf ein Live-Erlebnis übertragen? Ich bin gespannt!
Doch zurück ins Hier und Jetzt: Beim heutigen Gastspiel in The Hall dürften sich Besucherinnen und Besucher aus dem Vereinigten Königreich gleich heimisch fühlen – Schlange stehen ist nämlich ein wiederkehrendes Element. Vom Einlass bis hin zum Stöbern im in der Tat beeindruckenden Merchandise-Angebot (bei Babymetal gemäss Anpreisung vereinzelt sogar Venue exklusiv) – ein Mindestmass an Geduld erweist sich definitiv als nicht verkehrt. Fakt ist: Schon vor dem ersten Ton ist der Saal ausgesprochen gut gefüllt – und bis der quirlig-energiegeladene Headliner die Spielfläche betritt, wird sich dieser Eindruck noch zu einem klaren „rappelvoll“ empor schrauben.
Bambie Thug
Den bunten Reigen eröffnet eine Künstlerin, die hierzulande noch bestens in Erinnerung sein dürfte. Sogar bei jenen, die dem Eurovision Song Contest sonst eher aus dem Weg gehen. Die Rede ist von Bambie Ray Robinson, geboren am 6. März 1993 in Irland, die sich als nichtbinär identifiziert und ihr Heimatland mit dem Titel „Doomsday Blue“ beim grössten Gesangswettbewerb der Welt vertreten hat. Es war dann ebenjene Bambie Thug, die Nemo nach dessen legendärem Sieg am letztjährigen ESC eine schwarze Dornenkrone überreichte respektive aufs siegreiche Haupt setzte – ein symbolischer Akt, der in bestimmten Kreisen sogleich kollektive Schnappatmung auslöste.
Musikalisch serviert uns die Rebel Fae eine düster-schillernde Melange aus Hyperpop, Trap und Gothic Metal – eine Stilfusion, die sie selbst als „Ouija-Pop“ bezeichnet. Klingt erst einmal ziemlich okkultig, und mag es sogar ein bisschen sein. Auf die Tonspur reduziert, wirkt ihre ohne Zweifel vorhandene Stimmgewalt auf mich jedoch bisweilen etwas zu direkt und roh – was möglicherweise auch an der Abmischung liegen könnte. Begleitet wird der irische Derwisch auf der Bühne von zwei dämonischen Tänzern (die auf ihrem Kopf eine an einen teuflischen Tintenfisch erinnernde Maske tragen und sich in bester Michael Jackson-Manier des Öfteren in den Schritt greifen), welche den beklemmenden Eindruck des lasziv-rhythmisch-melodischen Gesamtkunstwerkes noch verstärken.
Trotz all der Theatralik vermag mich die eher an Madame Medusa (aus „Bernard und Bianca – Die Mäusepolizei“) denn an ein scheues Rehkitz (darum wohl das zusätzliche „e“ im Namen) erinnernde Kunstschaffende mit ihren Klangfäden indes nicht einzuspinnen. Dafür ist mir die rund dreissigminütige Darbietung schlicht zu belanglos, zu flüchtig. Unterm Strich ein erstes Warmlaufprogramm mit einem zumindest für mich überschaubarem Unterhaltungswert, das den nach wie vor anwachsenden Publikumszirkel allenfalls mittelmässig verzückt.
Poppy
Ein ganz anderes Bild zeigt sich dann bei Poppy, die sich selbst als „Kawaii-Barbie-Kind“ beschreibt und ihren Stil stark von J-Pop-Künstlern geprägt sieht. „Meine Musik bringt mich dazu, die Welt beherrschen zu wollen“, sagt sie – klingt fast so, als würde ihr Sound bei so manchem Despoten dieser Welt in Endlosschleife laufen. Als grösste Inspiration und zugleich Lieblingsmusikerin nennt die am 1. Januar 1995 (juhui, ein Steinböckli) geborene US-Sängerin Cyndi Lauper, auch Elvis Presley habe sie nachhaltig beeinflusst.
Live zeigt sich das als Moriah Rose Pereira geborene Ausnahmetalent als wahre Meisterin im Spiel mit Gegensätzen: Zuckersüsse Melodien treffen auf brachiale Gitarrenriffs, während ihre Ausstrahlungskraft gekonnt zwischen distanzierter Coolness und herzlicher Nähe pendelt. Poppy tut schlichtweg, worauf sie Lust hat – und genau das macht ihre Shows so spannend und auf angenehme Weise unvorhersehbar.
Zwischen den einzelnen Songs sorgen gesprochene Einschübe für zusätzliche Tiefe in der Performance. Aber wieso die Begleitmusiker mit einer Art Sturmhaube über die Aktionsfläche weibeln, erschliesst sich mir nicht so ganz. Kommen die gerade von einem Banküberfall? Ist ihre Gage so schmal, dass sie sich als „Überraschungsgast im Tresorraum“ einen Nebenverdienst ergaunern müssen? Solche Details befeuern jedenfalls meinen ohnehin schon auf Hochtouren laufenden Fantasie-Motor noch zusätzlich.
Poppys unverwechselbarer Mix aus Artpop und Metalcore, durchzogen von Elementen aus Speed Metal, Death Metal, Black Metal, Industrial Metal und EDM, bildet einen spannenden Übergang zu dem, was an diesem Abend noch folgen wird. Im Handumdrehen hat die Amerikanerin die Menge für sich gewonnen – und es wird schnell klar, dass so einige nicht ausschliesslich wegen Babymetal gekommen sind. Nach dreissig unterhaltsamen Minuten verabschiedet sich die Dame unter tosendem Applaus – und hebt damit die Messlatte vor dem Auftritt des Headliners ein gutes Stück nach oben.
Babymetal
Nach dem sinistren Zauber von Bambie Thug und der energiegeladenen Power-Darbietung von Poppy ist es nun Zeit für den finalen Akt des Tages – und der hat es in sich. Denn jetzt übernehmen Babymetal das Kommando – auf ihre ganz eigene, unverkennbare Art: mit maximaler Energie, einem synchronen Tanzgewitter und dieser einzigartigen Mischung aus J-Pop-Süsse und Metal-Wucht, die Metal-Fans weltweit entweder völlig ausflippen oder komplett ratlos im Regen stehen lässt. Ob man sie nun als clever konzipiertes Kunstprojekt oder als Speerspitze eines neuen Metal-Zeitalters betrachtet – fest steht: Wenn Babymetal die Bühne betreten, passiert etwas. It’s time to mosh – Kawaii style.
Apropos Kawaii (japanisch 可愛い oder かわいい). Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff so viel wie „niedlich“, „süss“ oder „liebenswert“. Doch Kawaii ist weit mehr als nur ein Adjektiv – es steht für ein ästhetisches Konzept, ein Lebensgefühl, das tief in der japanischen Kultur verankert ist und längst internationale Popularität geniesst. Im Kern verkörpert Kawaii alles, was unschuldig, kindlich und bezaubernd wirkt – und schafft eine Atmosphäre, die Leichtigkeit und positive Energie ausstrahlt. Und bietet allenfalls einen Erklärungsansatz für die aus westlicher Sicht vielleicht etwas übertrieben wirkende Strenge, mit der ihr Management zuweilen agiert (siehe „Nachtrag“ weiter unten).
Ebenso eindrucksvoll zeigt sich das Bühnenbild: Es besteht im Wesentlichen aus einer riesigen Projektionsfläche, die die gesamte Rückwand einnimmt. Darauf flimmern abwechslungsweise Grossaufnahmen der Künstlerinnen, Kameraschwenks ins abfeiernde Publikum sowie diverse weitere visuelle Fragmente – gerne auch mal einander überblendend. Wer sich im vorderen Bereich der nahezu ausverkauften The Hall befindet, erlebt dadurch ein fast schon IMAX-artiges Feeling: Man steht mitten in der Show, wird Teil davon. Ein berauschendes Erlebnis, das rasch für eine völlig ausgelassene Stimmung sorgt.
Etwas überraschend fehlt hingegen der überdimensionale (ich nenn’s mal) Videoquader, auf dem sich die drei Stage-Ninjas in anderen Stadien jeweils auszutoben beliebten (was in Worten vielleicht etwas sperrig daher kommt, lässt sich auf YouTube gut bestaunen). Ob der verfügbare Platz in The Hall für diesen spektakulären Blickfang nicht ausgereicht hat?
Gross genug ist die multimediale Spielwiese jedenfalls für jede Menge Feuer, Vulkaneruptionen und Glitzerregen. Und nach einer kurzen Einlaufphase sind dann auch die ersten Crowdsurfer in der Luft. Es ist in der Tat höchst beeindruckend, welche Energie von den drei Moshpit-Feen ausgeht. Hammer! Viele dieser überdrehten Hüpf-Tanz-Headbang-Nummern entfalten ihre volle Wirkung nämlich erst live on stage – zweifellos auch dank der imposanten visuellen Untermalung. Kein Zweifel: Der Auftritt von Babymetal lässt sich durchaus als schweisstreibendes Ganzkörper-Workout deuten, das von drei charmanten Damen mit erstaunlicher Souveränität angeleitet wird. Entsprechend gefordert sind die Sicherheitskräfte im Pit-Bereich, die alle Hände voll zu tun haben, um die glühenden Fans mit Wasser zu versorgen.
Erwartungsgemäss bildet Leadsängerin Su-Metal dabei das Epizentrum dieser zuckersüssen Soundexplosion. Obwohl sich die Interaktion mit dem Publikum – Sprachbarriere ahoi – auf ein Mindestmass beschränkt, so führt sie mit ihrer distanziert-nahen Art doch souverän durch das dreizehn Lieder umfassende Set. Ihre beiden Mitstreiterinnen – Moametal und Momometal – brillieren derweil durch ausgefeilte Tanzeinlagen und stellenweisem Beigesang. Und dass bei der Frontdame ob all dem Herumgewirble auch mal ein Ton nicht ganz astrein sitzt, sei ihr absolut verziehen. Manch anderer gestandener Metalgrösse gelingt dies locker auch im Stehen.
Der klangliche Gabenteller präsentiert sich erwartungsgemäss als eine Art Best-of ihrer bislang grössten Erfolge. Wobei für meinen Gusto speziell das wirblige „PA PA YA!!“, „METALI!!“ (bei dem die KAMI Band musikalischen Freilauf erhält und durch das eine oder andere Soli glänzen kann) plus das finale „Road of Resistance“ herausstechen. Sowie natürlich „Gimme Chocolate!!“, dieses zu Musik gewordene Meme, das selbst nach all den Jahren (mittlerweile sind es deren 15 – happy Jubiläum!) noch immer für kollektive Ekstase unter den Anwesenden sorgt. Witziges Detail am Rande: Moametal scheint sich vor dem Gig noch einen Riegel eines bekannten Schweizer Chocolatiers geschnappt zu haben, den sie uns nun stolz präsentiert. Ob die beiden anderen Grazien ihren wohl schon vorab gemampft haben? Raum für Spekulationen bleibt genug.
Was ich bei meinem ersten Besuch eines Babymetal-Konzertes zudem gelernt habe: Es ist eine komplett andere Hausnummer, ob man sich ein solches Happening zum Beispiel auf YouTube am heimischen PC oder live inmitten eskalierender Fans anschaut und in eine flippig kunterbunt-hüpfende Traumwelt eintaucht.
Ein fester Bestandteil des Babymetal-Paralleluniversums ist – neben der Fähigkeit, der oft bierernsten Metal-Szene charmant den Spiegel vorzuhalten – die Vorliebe für Kollaborationen mit anderen Acts. Und so avanciert „RATATATA„, ihr gemeinsamer Song mit den Metalcore-/Trancecore-Jungs von Electric Callboy, zu einem der absoluten Höhepunkte des Abends. Ein kleines Wermutströpfchen: Beim ersten Track des Zugabeblocks, „from me to u (feat. Poppy)„, bleibt die Co-Protagonistin leider dem Podium fern – irgendwie schade, da ein gemeinsames Stelldichein andernorts bereits mustergültig praktiziert wurde.
Ein wenig überrascht bin ich zudem, dass kein einziger Titel ihres wohl bislang reifsten Werkes „The Other One“ den Weg in die Setlist gefunden hat – inklusive meiner persönlichen Lieblingsnummer „Light And Darkness“. Möglicherweise verträgt sich der eher ernsthafte Unterton dieser Platte nicht so recht mit der plüschig-überdrehten Atmosphäre der heutigen Performance (wild guess!)? Sei’s drum, der überbordenden Stimmung tut dies definitiv keinen Abbruch.
Als nach 75 Minuten schliesslich das Saallicht wieder erstrahlt, blicke ich in lauter glückliche, aber sichtlich ausgepowerte Gesichter. Und auf dem Rückweg zum Zug bekomme ich das Dauergrinsen kaum mehr aus meinem Antlitz. Babymetal bleiben eben ein Phänomen, das man nicht analysieren, sondern live erleben muss. Ein kurzer Ausflug in eine Parallelwelt, in der knallsüss und zuckerhart keine Gegensätze sind – sondern zu einer lebendig gewordenen Manga-Story verschmelzen – die sich meiner Meinung nach vor allem auf Tour-Bühnen (und nur bedingt auf Festivalgeländen) wirklich entfalten kann. Ich für meinen Teil freue mich jedenfalls schon jetzt auf ein nächstes Aufeinandertreffen!
Das Fanzit – Babymetal, Poppy, Bambie Thug
Von den beiden Voracts konnte mich primär das musikalische Chamäleon Poppy mit ihrer unterhaltsamen, stilistisch vielseitigen Performance überzeugen. Bambie Thug hingegen blieb für mich eher blass und schwer greifbar.
Babymetal üben eine Faszination aus, der sich an diesem Abend kaum jemand entziehen konnte. Was die drei Mädels samt ihrer Begleitband auf die Bühne zauberten, war ganz grosses Kino – Punkt! Ein beeindruckendes Next-Level-Spektakel, durchzogen von Feuer, Rhythmus und perfekter Synchronizität, garniert mit einem zuckersüssen Manga-Touch. Ich bin immer noch geflasht – und freue mich schon jetzt auf eine Wiederholung dieses Erlebnisses (was ebenso auf Poppy zutrifft).
Nachtrag
Einerseits kann ich gut nachvollziehen, dass der Fuchs-Gott schützend seine Hand über Su-Metal, Moametal und Momometal hält. Aus meiner Sicht besteht jedoch die Gefahr, dass diese Fürsorge leicht in eine gewisse Überbehütung umschlagen könnte. Es dürfen maximal 24 Fotos eingereicht werden (vertraglich so fixiert), letztlich erhalten jedoch nur vier bis fünf davon die Freigabe zur Veröffentlichung. Kann man so machen, klar. Und es wird sicher gute Gründe für dieses Vorgehen geben. Dennoch habe ich etwas den Eindruck, dass diese sehr restriktive Handhabung den drei wirklich grossartigen Künstlerinnen nicht ganz gerecht wird.
Und ja, dass bei Bambie Thug – zumindest zu Beginn – ein eher spärliches, bläuliches Dämmerlicht vorherrschte, und Poppy sich ausschliesslich von ihrem eigenen Tourfotografen ablichten lassen wollte, machte die Situation an der Föteli-Front auch nicht gerade einfacher. Aber wie sagt man so schön: It is what it is …
Die Setlist – Babymetal
- BABYMETAL DEATH
- Megitsune
- PA PA YA!!
- BxMxC
- METALI!! (mit Soli der KAMI Band)
- Kon! Kon!
- Song 3
- Headbangeeeeerrrrr!!!!!
- RATATATA
- Gimme Chocolate!!
- from me to u *
- KARATE*
- Road of Resistance*
* Zugabe
Die Fotos – Babymetal, Poppy, Bambie Thug
