Metalinside.ch - Impressionen Freitag - Open Air Gränichen 2025 - Foto Anna Wirz 01
Fr–Sa, 1.–2. August 2025

Open Air Gränichen 2025 – Paleface Swiss, Palaye Royale, Future Palace u.a.

Moortal (Gränichen, CH)
/ / Gast 14.08.2025

Das 29. Open Air Gränichen

Mitten im Herzen des Aargaus verwandelt das Open Air Gränichen jedes Jahr das beschauliche Moortal in ein Mekka für Fans der richtig harten Musik. Was als kleines Jugendprojekt-Festival begann, ist heute eines der beliebtesten Veranstaltungen der Schweiz. Besonders der familiäre Flair macht das Festival so besonders. Metalinside war dieses Jahr zwei Tage vor Ort.

Freitag, 1. August 2025 (Silas)

Ein weiteres Mal stellt sich mir die vor einem Festival wichtigste Frage: Was ziehe ich an? Dies weniger hinsichtlich des modischen Erscheinungsbildes als der Funktionalität von wettergerechten Kleidern. Dieses «Wettergerecht»: eine ominöse Formulierung auf der Packliste diverser Informationszettel zu Schulausflügen und heute, am ersten Tag des Openair Gränichens, eine Wissenschaft für sich. Am Morgen scheint die Sonne. Es ist warm. T-Shirt-Wetter. Doch am Himmel brauen sich dunkle Wolken zusammen, es weht ein verheissungsvoller Wind und der Wetterbericht spricht, hinsichtlich Regen, Bände.

Kaum in Gränichen angekommen, erübrigt sich diese Frage: Der Himmel entleert sich in Strömen über das beschauliche Dorf. Wetterfest bedeutet heute wasserfest. Warum habe ich nur auf die Gummistiefel verzichtet?

Das Festival hat vorgesorgt. Die Wiese wurde mit einer dicken Schicht Stroh belegt. Leider fuhr danach offensichtlich ein schweres Gefährt, vermutlich ein Traktor, darüber, welches tiefe Furchen in die weiche Erde drückte. Die Leute stapften mit grossen Schritten durch die Wiese, oder das, was davon übrig war. «Nur nicht steckenbleiben» lautet das inoffizielle Motto der zwei Festival-Tage.

Ebenso schnell der Regen da war, ebenso schnell ist er wieder weg. Die Sonne bricht durch die Wolken. Für Regenjacken ist es nun wieder zu warm. «Zwei Franken pro Schliessung» steht an den Schliessfächern geschrieben.

Die Fotos – Impressionen Tag 1 (Anna Wirz)

French Fries

Die allwettertauglichere der zwei Bühnen ist die kleinere, die Sounderia genannte. Diese befindet sich unter einem Zeltdach, das bei Bedarf Sonnen- oder Regenschutz bietet. Heute ist beides gefragt. Hier spielt die erste Band des Tages: French Fries. Pommes Frites, spielen einen Punkrock, der sich ganz nach dessen Vorgabe des Minimalismus richtet. Ein Schlagzeug, eine Gitarre, zwei Mikrofone, viel Lärm. Mehr gibt es nicht, mehr braucht es nicht. Trotzdem sind gesanglich wie musikalisch die Einflüsse nicht auf den Punk beschränkt: Mit Growls und kleineren Instrumentalsoli schleichen sich Elemente aus anderen Sparten des Rocks in den Sound. Diese sind allerdings relativ simpel gehalten, bedingt alleine schon durch die minimale Instrumentierung.

Erneut beginnt es monsunartig zu regnen. Meteorologisch scheint der April hereingebrochen zu sein. Umso mehr Leute stehen vor dem ersten Act des Tages unter dem Zeltdach. «Seid ihr bereit, zwei Tage lang im Matsch abzugehen?» Wenn Gitarrist Simon doch nur wüsste, welche Dämonen er mit dieser Ansage heraufbeschwört.

Auf Abgehen haben die Leute Lust, nur leider nicht zu French Fries. Halb zwei ist vielleicht zu früh, oder die Ethanol- und Tetrahydrocannabinol-Spiegel sind zu niedrig.

Es dauert ein paar Songs und die Sonne bricht wieder durch die Wolken. «Ich hab’ mit meinem Gesang die Sonne hervorgeholt, kriegen wir das auch mit dem Tanzen hin?» Der Weg des ersten Acts des Tages ist immer steinig. Das Betteln nach Partizipation fruchtet immerhin ein wenig. Das Ergebnis davon «tanzen» zu nennen, wäre sicherlich übertrieben, aber immerhin wippt das Publikum ein wenig hin und her, als würde es Untote imitieren.

Code Of Conduct

Während einige im ersten Moshpit des Tages regenbedingt mit Schlamm bespritzt werden, schmieren andere sich mit Sonnencreme ein. Dazu spielen Code Of Conduct auf der Mainstage. Man mag ihnen den Mosh gönnen. Sonderlich gross ist er nicht. Dazu tragen nebst dem matschigen, un-einladenden Boden schattenboxende Halbstarke im Pit bei. Für den Wunsch nach einer grossen Wall of Death bekommt die Band nur als Trostgeschenk fünf bis zehn Leute, die sich spielerisch anrempeln.

Die restlichen Zuschauer erfreuen sich eher passiv, maximal kopfnickend, dem Metalcore aus der Westschweiz.

In Sachen Musik merke ich immer wieder mal den Röstigraben. So viele Bands sehe ich irgendwo, irgendwann live und wundere mich dann, dass ich noch nie etwas von ihnen gehört habe, obwohl sie innerhalb der Schweiz, teilweise gar im Ausland, eine mittelgrosse Fangemeinde gefunden haben, aber das eben gen Westen.

Zum besseren sprachlichen Verständnis beider Parteien erfolgt die Kommunikation mit dem Publikum seitens Code Of Conduct auf Englisch und seitens Publikums auf Brüllen. Immerhin hier ist aktive Integration in die Show von letzterem spürbar.

Athlete

Zwischen zwei Auftritten liegen minus fünf bis zehn Minuten Abstand. Wer möchte, kann rund elf Stunden lang ununterbrochen Live-Musik geniessen. Der Weg zwischen der Mainstage und Sounderia ist kurz, Zeit braucht man höchstens, um einen seiner Füsse aus einem Matsch-Loch herauszuziehen. Regen, weiche Erde und viele Menschen auf einem Fleck haben die Erklärung geliefert, weshalb die Strasse, an der das Festivalgelände liegt, «Moortalstrasse» heisst.

Mit Athlete steht die zweite Punkband auf der Bühne. Der gespielte Punkrock ist für das Genre eher sanft gehalten und als Soundtrack fürs Pogo-Tanzen eher weniger dienlich. Dafür bringt die für klassischen Punk eigentlich überflüssige zweite Gitarre mehr Variation und Volumen in das Klangbild. Den einen fehlt ein Bass, die anderen haben eine Gitarre über. Normen ignorieren: Das ist Punk!

Irony Of Fate

Irony Of Fate sind ein Garant für Ekstase vor und auf der Bühne. Und zu ihrem Glück scheint nun wieder die Sonne. Besorgt gleiten Blicke von Besuchern und Artists immer mal wieder zum Himmel, den beängstigend dunkle Wolken zieren. Da hat man sich extra die schönen, ein bisschen teureren Strümpfe und den weissen Minirock gekauft, doch dann sagt das Wetter: Zieh dir bitte etwas an!

Diesbezüglich haben Irony Of Fate sich heute in eine Optik gestürzt, wie man sie eigentlich nur von Ballermann-Urlaubern oder Blödel-Kombos wie Nanowar Of Steel oder J.B.O. kennt. Grosse, lustige Sonnenbrillen, Hawaii-Hemden, farbige Badehosen oder kurze Latzhosen-Hotpants (getragen von einem Mann) und der Manga-Figur Astro Boy nachempfundene Stiefel, wie die (teure) Marke MSCHF damit in der Vergangenheit für Furore gesorgt hat. Bei mir sorgt dieses Auftreten ein wenig für Unbehagen. Insbesondere wenn ich daran denke, dass sich die Band ansonsten mit Kunstblut einschmiert und Oberteile mit aufgedruckten Totenköpfen trägt. Ich beruhige mich wieder, als die ersten Töne erklingen und sich zeigt, dass sich, abgesehen vom Aussehen, an der altbekannten Darbietung im Allgemeinen wenig geändert hat und diese brachial wie eh und je daherkommt.

Die gespielten Breakdowns schreien regelrecht nach Pits, doch das Feld ist nass und das Publikum offenbar zu gehemmt. Für die Musik spricht allerdings, dass sich immer weniger Zuschauer zu schade dafür sind, ihre Füsse in den Schlamm zu tauchen, um näher am Geschehen zu sein. Zur Belohnung werden T-Shirts und Kissen von der Bühne geworfen. Wer nichts fängt, soll den Geldbeutel zücken und zum Merch-Stand kommen.

Den Moment auf einem Foto mit dem Publikum eingefangen, verabschiedet man sich anschliessend von der Bühne. Ebenso verschwindet die Sonne. Für sie ist der Festival-Tag gelaufen. Es regieren die Wolken. In welchem Schliessfach habe ich nochmals die Regenjacke eingeschlossen?

Die Fotos – Irony Of Fate

Mr. Linus

Schwere Wolken entladen sich irgendwann. Bisher tropft es nur. Dennoch beklage ich mich nicht darüber, dass es erstmal auf dem gedeckten Platz weitergeht.

Mr. Linus: Eigentlich ein Trio, doch der Schlagzeuger spielt heute sein zweitletztes Konzert. Sein Beitrag an der Musik wirkt oft wie von dieser gelöst. Sein Spiel ist für den bedeutungsstarken doch simplen Punk mit deutschen Texten nicht selten zu komplex. Von Punk kann nur die Rede sein, da dieser Begriff eine gewisse Narrenfreiheit zulässt, ähnlich wie die Bezeichnungen «Alternativ» oder «Avantgarde», welche ebenfalls auf Mr. Linus zutreffen würden. Im Grunde wird erzählt und das Gesagte mit Dingen untermalt, die Bass, Gitarre und Schlagzeug so von sich geben.

Das klingt erneut nach einer Sorte des «Punks», zu dem Pogotanz eher unpassend wirkt. Entsprechend zeigt das Publikum nicht viel mehr als in die Luft gereckte Fäuste und Hörner.

Self Deception

Gucci und andere hochpreisige Kleidermarken, wie etwa MSCHF, haben es vorgegeben: Mode hat nicht zwingend etwas mit Ästhetik zu tun, sondern will vor allem möglichst radikal auffallen. Desto grässlicher, desto greller, desto besser. In dieser Hinsicht scheint die Mainstage zum Catwalk verkommen zu sein. Haben Irony Of Fate auch stark vorgelegt, in Sachen Kitsch und Geschmacksverstauchung, sind ihnen die Schweden von Self Deception überlegen.

Insbesondere Bassist Patrik ist ein Blickfang in seinen glitzernden Schuhen, seiner pinken Hose, kombiniert mit über den nackten Oberkörper gezogenen Schmetterlingsflügeln. Ganz im Kontrast zu seinem körperlichen Erscheinungsbild, das eher Assoziationen an Kneipenschlägereien als an ein Feenkostüm weckt.

Ähnlich närrisch zieht das eigentliche Konzert vonstatten. Gestartet wird mit «Cotton Eye Joe», die Show beendet wird mit «Schnappi das kleine Krokodil». Die dazwischen gespielten eigenen Songs sind erfreulicherweise weniger schrecklich.

Dem Publikum gefällt die Kombination von hartem Grunge, Slam und Humor. Diese öffnet grössere Moshpits und lässt vergessen, dass es das letzte Mal für heute in Strömen zu regnen begonnen hat. Mehr kann die Erde auch nicht aufnehmen. Dieses Mal stehe ich nicht unter einem witterungsgeschützten Zeltdach. Dieses Mal spüre ich die Natur. Grosse Teile des Geländes schauen einem See ähnlicher aus als einer Wiese. Entsprechend wird man nass gespritzt in oder neben einem Pit. Meine Regenjacke ist stabil, meine Regenjacke ist warm, meine Regenjacke war mal gelb. Ich ziehe mich in die hinteren Bereiche der Zuschauerräume zurück. Da, wo das Wasser am Boden bleibt und nicht in die Luft katapultiert wird. Noch stört es mich, angespritzt zu werden. Doch spätestens beim Song «Fight Fire With Gasoline» haben mich Self Deception und Schmutzig-werden wird zur Nebensache. Fort von den Stillgestandenen, Kopfnickenden, rein in den Matsch. Ähnlich dumpf wie das Electric Callboy Erfolgsrezept, besteht der Refrain aus betrunken-mit-sing-tauglichem Döp döp döp. Sicherlich keine lyrische Höchstleistung, aber um im Kreis rennend gegrölt zu werden, genau richtig. Die Hosen sind nun klatschnass und die Lebensgeister geweckt, doch keine moderne Metalband ohne Downer. Natürlich ist es schön, wenn ernste Themen wie Depression und Suizid in Liedern Gehör finden. Insbesondere wenn es sich dabei um persönliche Erlebnisse handelt, bieten sie zudem viel Stoff für tiefsinnige Songs. Doch ein solcher in Kombination mit pinken Schmetterlingsflügeln, nach dem man Döp Döp Döp singend die Ekstase gefeiert hat, wirkt irgendwie deplatziert.

Es bleibt bei dieser einen Ballade. Mit spassigeren Dingen fährt man fort, wie etwa T-Shirts und grosse Luftballons in die Menge zu werfen.

Heriot

Noch stärker wird der Regen, aus der Ferne ist Donner zu hören, die Leute flüchten sich in die Zelte der überdachten Festbänke und der Sounderia. Der allein dadurch beinahe überfüllte Besucherraum kommt Heriot sicherlich zugute. Gleich von Beginn weg will sich das Kollektiv der Zuhörer aber nicht zu grossen Moshpits hinreissen lassen. In der Schweiz scheint es immer eine gewisse Eingewöhnungszeit zu benötigen, bis die Leute ihre Zurückhaltung ablegen können. Diese Zeit vergeht, die raue Energie bleibt konstant, die Kreise werden grösser, so gross, wie es der beschränkte Platz im Zelt zulässt. Vor der Bühne wird Stampfer für Stampfer ein Wassertümpel in die Erde getrampelt. Die nicht sonderlich hoch gelegene Stage der Sounderia bleibt bei den folgenden Pits genauso wie die Besucher nicht von Schlammspritzern verschont. Vor dem Dreck ist man nun auch hier nicht mehr sicher. Es wird Zeit mit dem Schmutz leben zu lernen. Ich schaue an mir hinunter: Meine schwarzen Hosen erinnern an eine Kuh mit Diarrhö. Gut möglich stehen auf dieser Wiese, wenn nicht gerade ein Festival darauf stattfindet, Tiere, die hier den ganzen Kreislauf der Nahrungsaufnahme bis -Ausscheidung durchleben. Vielleicht stehen hier auch keine Tiere, aber das Endergebnis ihrer Verdauung wird in dieses Feld hinein gepflügt. Der Geruch, der sich später ausbreitet, wenn ich in meiner Wohnung, in einem geschlossenen Raum, mit spitzen Fingern die vor Dreck stehenden Kleider ausziehe, lässt so einige Ideen aufkommen. Immer spielen darin die vier Mägen einer Kuh und was danach kommt eine nicht unwichtige Rolle.

Die Hose ist braun, dreckiger kann sie nicht werden, denke ich und stürze mich, ungeachtet der Konsequenzen für mein Outfit, ins Getümmel.

Die Fotos – Heriot

Bad Nerves

Wer es bedauert, die Ramones nie live gesehen zu haben, darf auf keinen Fall Bad Nerves verpassen. Ihre Show erinnern an den wilden Punk der späten 70er Jahre, ohne aber wie ein Plagiat von diesem zu wirken, obwohl die optische Erscheinung der Band sich unverkennbar an diesem orientiert.

Ohne grosses Brimborium betritt sie die Bühne und legt los. Der Regen hat nachgelassen, bis spät in die Nacht wird er fernbleiben. An der Nässe des Bodens ändert dies allerdings nichts. Doch jetzt ist Pogo-Zeit. Bad Nerves brauchen nicht lange, um meine Zurückhaltung zu brechen. Ich stürze mich in die Pits. Falle auf den Boden, stehe wieder auf … Immer mit ein wenig mehr Dreck im Gesicht. Bald ist mein Körper eins mit dem Schlamm. Wo Matsch endet und wo Haut beginnt, wird zu einer fliessenden Grenze. Nun bin ich der Schmutzigste auf dem Platz. In gewisser Weise drängt mich das ein wenig in den Mittelpunkt. Zumindest in den Mittelpunkt angewiderter Blicke von anderen Konzert-Geniessern. Die schrillen Outfits von Irony Of Fate und Self Deception haben es vorgemacht: Hier geht es ums Sehen und Gesehenwerden. Warum also nicht noch eine Schippe drauflegen? Bei einem ruhigeren Stück lege ich mich hin und beginne Schnee-Engel im Schlamm zu machen. Es ist beinahe erschreckend zu was Musik alles verleiten kann.

Die Fotos – Bad Nerves

The Scratch 

Zwischendurch benötigt es eine kleine Verschnaufpause. Im Zelt tritt mit The Scratch eine Band auf, die sich musikalisch irgendwo auf einem Spektrum von Folk und Metal befindet. Optisch sofort auffällig ist ihr Auftreten: Die komplette Band sitzt in einer Reihe vorn am Bühnenrand. Das Schlagzeug setzt sich aus einem Drumpad und Cajon zusammen. Kleiner geht kaum. Ansonsten kommen akustische Gitarren mit und ohne Verzerrung, ein E-Bass und insbesondere kreative Ideen in den Kompositionen zum Einsatz.

The Scratch sind sicherlich ein Hingucker und hätten die Beteiligung im Cyrclepit verdient, mein Magen schreit allerdings nach Nahrung und so mache ich mich auf, den zahlreichen Essständen einen Besuch abzustatten.

Möglichkeiten gibt es viele: Asiatisch, Burger, Nudeln, vegetarische Alternativen … Am Ende der Entscheidungsfindung bestelle ich mir eine Pizza aus dem Holzofen. Der zuvor in den Mund gespritzte Matsch zwischen den Zähnen steuert dem Teig ein spannendes Aroma bei.

Die Fotos – The Scratch 

Das Lumpenpack 

«Das ist das erste Mal, dass wir auf einem Metal Festival spielen». Sonderlich vertieft mit dem Line-up auseinandergesetzt haben sich das Lumpenpack offensichtlich nicht. «Aber vielleicht könntet ihr trotzdem ein bisschen zu unserer Musik im Kreis springen». Dann fällt der Blick des Sängers auf mich. Eine kurze Ansage bezüglich des vollkommen in Matsch eingesauten Typen, Folgen des Traums vom Sehen und insbesondere Gesehenwerden, und aus dem Auftritt vom Lumpenpack wird die dreckigste Show des ganzen Festivals. Noch-Saubere ringen mit ihren schmutzigen Freunden im Schlamm. Zu verlieren gibt es für die eine Partei ein fleckenfreies Oberteil. Menschen entkleiden sich und suhlen sich im Dreck. Wenn die Lieder emotional keine Gelegenheit liefern, ineinander oder miteinander zu rennen, legen sich zig Leute in den Morast und beginnen Schlamm-Engel zu machen und wenn es die Lieder hergeben, wird so laut wie möglich mitgesungen. Nichts lässt einen lebendiger fühlen, als im Moshpit in eine Pfütze zu stolpern, während man «Im Ford Fiesta von meiner Schwesta …» grölt.

Würde man die hier entstehenden Bilder Menschen vor 100 Jahren zeigen, würden die wohl denken, bei diesem Konzert handle es sich um praktizierte Rituale eines Kults.

Später, im Verlauf des Auftritts, werden Leute wie ich, die eine zentimeterdicke Dreck-Schicht im Gesicht tragen, von der Band liebevoll als «Sumpfmonster» betitelt: Man habe bisher noch nie auf einem Metal-Festival und noch nie vor Sumpfmonstern gespielt.

Kein Openair Gränichen kommt ohne Fun Punk Band aus. Das haben letztes Jahr Dritte Wahl bewiesen und dieses Jahr das Lumpenpack bestätigt.

Blackout Problems 

Möglicherweise haben Blackout Problems gesehen, was gerade vor der Mainstage passiert ist. «Jump, Jump, Jump» und «Cyrclepit»: Es wird nach ordentlicher Publikumsbeteiligung gefragt. Und die bekommen sie auch. Schlamm spritzt und Leute sauen sich in den Moshpits ein. Das altbekannte Festival-Problem, dass alle nach Schweiss stinken, wird nebensächlich, da der Geruch von Dung alles überdeckt. Was die einen als störend verurteilen, empfinden die anderen als belebend.

Für Sänger Mario ist es wohl eher letzteres. Die Grenzen zwischen Darbietung und Publikum aufbrechend, begibt er sich selbst unter die Zuschauer, zumindest so lange, bis er zu realisieren scheint, wie nass der Boden ist. Das teure Mikrofon nicht aufs Spiel setzend, stellt er sich auf das Absperrgitter des Mischpults, in sicherem Abstand zum Matsch-Loch und führt von dort die Show fort. So wird das Zelt kurzzeitig zu einer gemeinsamen Bühne, auf der der Zuschauer Teil des Auftritts wird. Umso mehr wird entsprechend gemosht. Ein weiteres Mal gilt: Sehen und Gesehenwerden, untermalt von sentimental bis aufbrausendem Alternative Rock.

Die Fotos – Blackout Problems 

Palaye Royal

Irgendwie ist die stinkende Luft raus. Palaye Royal spielen Musik, zu der eigentlich einfach herumgesprungen werden muss. Sympathisch sind die Musiker ebenso und die rauchige Stimme von Sänger Remington zieht den Zuschauer regelrecht in ihren Bann. Vielleicht ist der Sound doch zu soft, vielleicht die Beine des Publikums zu müde. Auf jeden Fall bleiben höhere Sprünge aus.

Ich gebe mein Bestes. Springe in die Luft, schwimme im Schlamm … Doch es beteiligt sich niemand an diesen Konzertspielchen. Jemand drückt mir einen Becher Met in die Hand und erzählt etwas von «dass er es cool findet, was ich mache». Der Dank müsste eigentlich der Musik und dem Wetter gelten. Der Met wird getrunken. «Als Mann befinde ich mich an einer ziemlich privilegierten Stelle, wenn ich ohne weitere Bedenken Getränke von Fremden in mich hineinschütten kann», denke ich mir, während ich durch das Moor zum Ausgang stapfe. Bekanntlich sollte man dann gehen, wenn es am schönsten ist, und besser kann es nicht mehr werden.

Beim Ausgang angekommen, werde ich von zwei Ordnern angehalten. So würde ich nicht in den Zug gelassen werden, wird mir mitgeteilt, während die Blicke auf den Schmutz gerichtet sind, unter dem ich mich irgendwo befinde. Die kreative Lösung der Security ist, dass ich mich in kompletter Montur unter die Dusche des Zeltplatzes stellen soll. Nasser könne ich sowieso nicht werden. Gesagt, den hintersten Abfluss im Dusch-Wagen verstopft und ein schlechtes Gewissen den Campern gegenüber bekommen. Wenn das mal kein Zeichen ist, dass es Zeit ist den Nachhauseweg anzutreten und zuhause meine Waschmaschine mit zu viel Dreck zu verstopfen.

Das war mal ein erster Festival-Tag, der sich definitiv nicht gewaschen hat!

Die Fotos – Palaye Royal

Samstag, 2. August 2025 (Liane)

Es ist sicher schon knapp 10 Jahre her, als ich das letzte Mal am Open Air Gränichen gewesen bin. Aber 2025 sollte mein Festival Jahr werden. Auf den Geschmack gekommen bin ich durch die Band Sleep Token. Wegen ihnen hat es mich zu Rock am Park gezogen und obwohl – oh Wunder! – das Festival komplett überlaufen war und wie erwartet in eine Schlammschlacht ausartete, hatte ich verdammt viel Spass. Der grosse Vorteil am Open Air Gränichen ist, dass es ein überschaubares Festival ist, das unglaublich viel zu bieten hat: Sitzplätze, Überdachungen, diverse Bars, richtige Toiletten, eine grosse Auswahl an tollen Bieren und bestem Food und alles in unmittelbarer Nähe. Bei Rock am Park habe ich teilweise stundenlange Fussmärsche hinnehmen müssen, um von der einen zur anderen Bühne zu kommen. Daher mein Fanzit schon vorab: Kleine Festivals werde ich in Zukunft in jedem Fall den Grossevents vorziehen.

Die Fotos – Impressionen Tag 2

Conjonctive

Die Schweizer Blackened Deathcore Band Conjonctive gibt es tatsächlich schon eine Weile. Gegründet haben sie sich bereits 2006 in Nyon. Nach Jahren der Stille, kehrten sie nun endlich mit ihrem dritten Album „Misère de Poussière“ zurück. Und siehe da: Randy Schaller von Voice of Ruin teilte sich die Vocals mit Sonia Kaya! Für mich schon mal eine gelungene Überraschung am Open Air Gränichen. Voice of Ruin hatte ich schon mehrmals live gesehen, mir war aber nicht bekannt, dass Randy auch bei Conjonctive am Mikro steht. Kaum bin ich angekommen, haut mich schon die erste Band aus den Gummistiefeln. Die weiblichen und männlichen Vocals ergänzten sich perfekt: keifendes Schreien, tiefen Growls, brutal, aggressiv! Ich wusste, das wird ein legendärer Tag.

Die Fotos – Conjonctive

Asbest

Das Trio Asbest sorgte für ein spannendes Kontrastprogramm. Die Basler Band bewegt sich musikalisch zwischen den Stilrichtungen Post Punk, Noise Rock und Shoegaze. Die Texte sind persönlich, kritisch und politisch. Die Wut auf diese Welt und unsere Gesellschaft ging live ziemlich unter die Haut. Fast schon wie ein kalter Schatten, legte sich ihr Auftritt über die zuvor aufgeheizte Stimmung. Das machte für mich diesen Auftritt jedoch spannend. Die Schweizer Musik-Welt hat unglaubliche Talente und viel zu bieten. Ich war gespannt, was es am heutigen Tag noch so alles zum Entdecken gab.

Die Fotos – Asbest

Desolated

Mit den Briten Desolated ging es dann mal so richtig zur Sache. Schon in kürzester Zeit brachten sie das Publikum durch ihren trashy Hardcore zum Ausrasten. Die Crowd in der Sounderia war kompromisslos engagiert und bekam mit Desolated den perfekten Anheizer für den restlichen Abend. Die Sounderia ist der kleinere Ort am Festival, an dem Konzerte stattgefunden haben. Der Vorteil hier war klar die Überdachung! Das Wetter war aktuell mal wieder launisch und unberechenbar, daher war die Abdeckung ein cooler Schachtzug der Veranstalter.

Die Fotos – Desolated

Future Palace

Die Frontfrau Maria Lessing der deutschen Post-Hardcore/Alternative-Rock Band Future Palace sprach während ihrem Liveauftritt offen über Depression, toxische Persönlichkeiten und Selbstfindung. Diese Themen verarbeitet sie auch in ihren Texten. Die Stimmung blieb trotzdem positiv. Future Palace vereinten raue Härte mit emotionalem Tiefgang und publikumstreibender Power. Ich hatte das Gefühl, der Samstag war der passende Tag für mich am Open Air Gränichen.

Die Fotos – Future Palace

HANABIE.

Auch Japan ist dieses Jahr am Festival vertreten. Mit HANABIE. engagierten die Veranstalter eine «Mädels-Combo», welche eine aussergewöhnliche Mischung aus brachialem Metalcore und knallbuntem Harajuku-Kawaii-Mode-Stil präsentierte. Eine Ästhetik, die sie selbst als Harajuku-core bezeichnen. Der schrille, verspielte Auftritt mag nicht jedem gefallen. Mir waren die hohen Screams zwischendurch doch ein wenig «too much». Ein guter Ausgleich zum restlichen Programm vom Tag waren sie in jedem Fall.

Die Fotos – HANABIE.

Paleface Swiss

Die Schweizer Überflieger Paleface Swiss kennen seit gut 2 Jahren nur noch eine Richtung: nach oben! Mittlerweile zählen sie zu den international erfolgreichsten Bands der Deathcore-Szene. In der Schweiz selbst sind sie leider aktuell immer noch eher unbekannt. Ihre Konzerte sind weltweit so gut wie immer ausverkauft. Möchte man nach dem Gig noch eines der coolen Band-Shirts ergattern, sind die meisten Grössen bereits vergriffen. Es wird Zeit, dass sie auch in ihrem Heimatland noch mehr Beachtung finden, denn die erste ausverkaufte Headliner Show im X-tra dieses Jahres hat bewiesen, dass die Band eine gewaltige Live-Performance zu bieten hat: Paleface Swiss ist eine verdammte Rakete!

Die Schweizer bieten einen Gewaltakt aus mitreissendem Sound, Wut und Emotionen. Für mich sind das die energiegeladensten Shows, die ich jeh miterleben durfte. Es war für mich daher keine grosse Überraschung, dass auch der Auftritt am Gränichen Open Air ein voller Erfolg gewesen ist.

Tipp: Die nächste Headliner Tour steht vor der Tür und bringt Paleface Swiss am 7. Februar 2026 nach Zürich in die Halle 622!

Die Fotos – Paleface Swiss

Das Fanzit – Open Air Gränichen 2025

Das Festival, welches nun schon seit 1995 im Aargau stattfindet, bot auch dieses Jahr eine sehr gute Auswahl an nationalen und internationalen Künstlern. Wer sich musikalisch im Bereich Hardcore, Punk und Metalcore zu Hause fühlt, sollte das kleine, aber feine Festival in Zukunft auf keinem Fall verpassen. Dieses Jahr beeindruckte nicht nur die breite Vielfalt an musikalischer Diversität, sondern auch die perfekte Balance zwischen der rohen Energie der männlichen Acts und der kraftvollen Präsenz der weiblichen Künstlerinnen. Ein besonderer Mix, der dem Line-Up eine aussergewöhnliche Dynamik verlieh. Wir tanzen gerne auch nächstes Jahr wieder mit euch im Schlamm oder in der Sonne! 2026 feiert das Open Air Gränichen sein 30. Jubiläum, kommt doch auch mit!

Fotos: Anna Wirz


Wie fandet ihr das Festival?

/ / Gast 14.08.2025
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