Mi, 5. April 2017

Pain of Salvation – Interview mit Daniel Gildenlöw

Progressive Metal
30.05.2017

«Wir sind die Band geworden, die ich nie haben wollte»

Diese Aussage war wohl ein Wink mit dem Zaunpfahl. Während Daniel Gildenlöw bis ins kleinste Detail erzählte, was er alles aufgrund seiner lebensbedrohlichen Infektion erleben musste, gab er auch ein paar Interna zur jetzigen Band-Situation preis. Da passte was nicht und Massnahmen wurden dann auch gleich in den nächsten Tagen ergriffen.

Ragnar Zolberg (Gitarre/Backing Vocals), der einen wichtigen Beitrag zum aktuellen Album „In The Passing Light Of Day“ beigesteuert hatte und auch live sehr präsent gewesen ist, musste die Band per sofort verlassen. Meines Erachtens ein herber Verlust, aber Daniel Gildenlöw ist ein „Stehaufmännchen“ sowie eine Kämpfernatur. Weder die harten Vorwürfe in den sozialen Medien durch den verstossenen und tief verletzten Zolberg, noch die „fleischfressenden Bakterien“ können einem Gildenlöw ein Haar krümmen. Ex-Mitglied Johan Hallgren (Gitarre/Backing Vocals) steht schon vor der Tür und ersetzt per sofort den Isländer auf der 2. Hälfte der laufenden Tour.

Metalinside (Liane): Beginnen wir doch gleich beim neuen Album, welches in diesem Januar veröffentlicht wurde. Mit „In The Passing Light Of Day“ seid ihr bei der Presse sowie bei den Fans auf offene Arme gestossen.

Daniel Gildenlöw: Ja, es wurde sehr gut aufgenommen. Das ist toll.

MI: Pain of Salvation ist ja bekannt dafür, dass sich die Band immer wieder neu erfindet. Mich würde trotzdem interessieren, wie es zum aktuellen Sinneswandel kam und man wieder härtere Wege eingeschlagen hat?

DG: Der letzte Release „Road Salt“ war zunächst als ein Album angedacht gewesen, aber es entstanden dann doch am Schluss zwei Alben daraus. Danach wollten wir eine Akustik-Show live aufnehmen. Als die Aufnahme schiefgelaufen ist, haben wir uns etwas Anderes ausgedacht und „Falling Home“ ist daraus entstanden. Bereits bei den Arbeiten an den „Road Salt“ Alben und ganz besonders als wir „Road Salt Two“ abgeschlossen hatten, war das Bedürfnis nach einer Entwicklung in die härtere Richtung sehr gross. Es gab jedoch in der Zwischenzeit viele Dinge, welche das Arbeiten an den Alben verzögert hatte. Als wir mit dem „Falling Home“ Album fertig waren, wollten wir erst mal auf Tour gehen und eine Art Akustik-Set mit Wohnzimmer Feeling machen, was natürlich auch Zeit in Anspruch nahm.

Nun, und dann landete ich für ca. sechs Monate im Krankenhaus und musste noch in die Reha von da an. Viele Dinge sind passiert, welche unsere Rückkehr zu den Metal-Wurzeln immer und immer wieder verzögert haben. Aber rückwirkend gesehen war die Entwicklung eine gute Sache. Als wir nämlich endlich mit dem Schreiben für ein neues Album beginnen konnten, war der Hunger umso grösser, vor allem nach dem langwierigen Krankenhaus-Aufenthalt. Ich finde, „In The Passing Light Of Day“ spiegelt diese Emotionen sehr gut wieder. Irgendwie ein Gefühl von Rache. Durch meine Erfahrungen im Krankenhaus bekam das Konzept eine notwendige und interessante Note. Das Album pendelt perfekt zwischen Mut und Kompromisslosigkeit sowie Intimität und Zerbrechlichkeit.

Wenn ich also zurückschaue, denke ich, dass alles zum Besten wurde. Ich würde alles nicht nochmals durchmachen wollen, aber ich würde auch nichts daran ändern, wenn ich es könnte. Das sind wahrscheinlich die Gründe, warum das Album so geworden ist.

MI: Das war eine beängstigende Zeit, die du im Krankenhaus 2014 durchleben musstest. Man kann sagen, du musstest durch die Streptokokken Infektion um dein Leben kämpfen. Konntest du die Zeit doch irgendwie für das Songwriting nutzen?

DG: Nein, ich konnte nicht viel machen. Vor allem am Anfang war es unmöglich. Ich meine, ich war immer noch darauf fixiert, dass ich Konzerte spielen würde. Wir wollten mit Pain of Salvation beim Cruise To The Edge mitspielen und auf dem Schiff durch die Karibik „shippern“. Aber dann kam ich ins Krankenhaus. Die ersten zwei Tage versuchten die Ärzte ohne Operation meine Infektion in den Griff zu bekommen. Sie haben es mit verschiedenen Antibiotika versucht und wirkten zunehmend gestresst und beunruhigt. Schlussendlich kam man um eine Operation nicht herum.

Als ich aus dem OP-Saal kam wurde mir schnell bewusst, dass ich mich in einer recht ungemütlichen Situation befand. Ich hatte ein Loch in meinem Rücken, welches die Wirbelsäule exponierte und eine Vakuumpumpe, die den Heilungsprozess beschleunigen sollte. Während einem halben Jahr konnte ich meinen Rücken nicht bewegen. Ich lag auf der Seite, aber nach weniger als 20 Minuten schmerzte es und meine Beine wurden taub. Ich schlief ein und wachte nach ein paar Minuten wieder auf, drehte mich auf die andere Seit, schlief wieder ein bis es wieder anfing zu schmerzen. So ging das die ganze Zeit. Es war schrecklich.

MI: Es macht einem auch Angst, kann ich mir vorstellen…

DG: Ja, man wird daran erinnert, wie zerbrechlich man doch ist und selbst wenn man das überlebt, morgen trotzdem von einem Lastwagen überfahren werden kann. Man fühlt sich viel sterblicher und ich war ziemlich ängstlich. Zu Beginn dachte ich nicht, dass etwas Ernstes dahinterstecken könnte, aber als die Schmerzgrenze immer mehr anstieg und ein Niveau erreichte, welches ich noch nie in meinem Leben erlebt habe, wurde mir klar, dass mit der Krankheit damit nicht zu spassen ist.

Zu einem Zeitpunkt dachte ich, dass es fleischfressende Bakterien sein müssen. Ich konnte mir nichts Anderes vorstellen, das sonst zutreffen würde. Das war die einzige Lösung, die mir einfiel: Mich frisst etwas auf! Es war so, als ob jemand eine Zange nutze, um meine Wirbelsäule so fest wie möglich zu zerquetschen. Dort sind so viele Nerven, da beginnt man sich zu überlegen: Wenn die Nerven dort aufgefressen werden, wird das auch das Ende sein? Und wenn ich operiert werden würde, habe ich dann noch Gefühl in meinem Körper, denn die Operation wäre ja so nahe an der Wirbelsäule. Du liegst einfach da und kannst nichts tun. Nur die Augen schliessen und dich aufs Atmen konzentrieren.

MI: Den Auftritt bei „Cruise To The Edge“ musstest du dann absagen….

DG: Nach der ersten Operation fragte ich das Krankenhauspersonal, ob sie nicht jemanden von meiner Crew instruieren könnten, wie man meine Vakuumpumpe mit dem Plastik herum auswechseln würde. So wäre es ja vielleicht möglich, auf die Kreuzfahrt in der Karibik zu gehen und das Konzert doch zu spielen. Ihre Antwort war: „Wir werden sehen. Wir nehmen einfach einen Tag nach dem anderen.“

Vier Monate später, als ich das Krankenhaus verliess, war ich ein Krüppel. Ich konnte keine Treppen laufen oder sonst etwas. Ich hatte viel Gewicht und Muskelmasse verloren. Ich war ein Wrack. Die Ärzte nannten es eine unglaubliche Heilung. Die haben sich sicher gedacht: „Was für ein Idiot. (lacht) Denkt er könnte auf eine Kreuzfahrt im Karibischen Meer gehen, mit einem Loch in der Wirbelsäule und einer Vakuumpumpe auf dem Rücken und jemand von der Crew würde Doktor spielen und die Pumpe immer auswechseln.“

MI: Aber dieses Jahr hat es geklappt mit „Cruise tot he Edge“?

DG: Yeah, endlich habe ich meine Kreuzfahrt bekommen. (lacht) Das war lustig.

MI: Mike Portnoy hatte dort seinen 50. Geburtstag gefeiert und Du hast in diesem Zusammenhang auch Dream Theater Songs gesungen, richtig?

DG: Ich habe ihm gesagt, dass ich die Lieder nicht kenne, aber wenn er wirklich will, würde ich es machen. Ich bin wirklich dankbar für diese Gelegenheit, aber es war fast ein bisschen unmöglich die Kreuzfahrt in vollen Zügen zu geniessen. Die Leute, die mich in der Sonne liegen sahen, wussten nicht, dass ich die ganze Zeit Pain of Salvation und Dream Theater Lyrics im Kopf herumschwirren hatte. Ich versuchte, alles unter einen Hut zu bringen. Nach den Aufnahmen zu „In The Passing Light Of Day“ war fast ein Jahr vergangen und wir haben eigentlich nie live gespielt und ich nie gesungen in dieser Zeit.

Ich war stark in den Produktionsprozess involviert gewesen und habe Dinge wie das Mixing übernommen. Aber das bedeutet nicht, dass du dadurch die Songtexte lernst. Du kennst sie, wenn du sie aufschreibst und sie singst, aber wenn dann die Monate vergehen… Ich ändere die Texte sehr oft. Ich gehe durch so viele verschiedene Versionen, bevor ich mich auf eine festlege, die wir dann aufnehmen. Ich war überhaupt nicht sattelfest mit unseren eigenen Songs und dann sollte ich noch Dream Theater Texte lernen.

Für die „Road Salt“ Alben hatte ich etwa 10 verschiedene Versionen und am Schluss wählte ich meine Favoriten und mixte diese zusammen. Danach haben wir sie aufgenommen und dann ein halbes Jahr später sollte ich sie singen können. Aber alle 10 Songtexte sind noch fragmentiert. Was war der Songtext, für den ich mich am Ende entschieden hatte? Das war verwirrend.

Und so war es auch auf der Kreuzfahrt.

Du musst dich an die Lyrics erinnern, aber auch an den Gitarren Part und die Melodien. Denn wenn du live spielst, musst du all diese Dinge abrufen können. Bei Pain of Salvation ist es sehr selten, dass der Gesang und das Gitarren-Spiel auch nur annähernd das Gleiche spielen. Meistens haben wir zwei komplett unterschiedliche Rhythmen. Wenn ich auf der Bühne bin, will ich nicht nachdenken müssen, was ich jetzt tun muss. Ich will nicht nachdenken wollen, was der Songtext ist oder welches Gitarren Riff ich jetzt spielen muss. Ich will, dass meine Hände das spielen, was sie sollen, ohne dass ich aktiv daran denken muss.

Ich lief also auf diesem Schiff herum und tat so, als würde ich die Sonne geniessen. Aber die ganze Zeit war ich nur am Grübeln und Nachdenken. (lacht)

MI: Mike Portnoy geht ja nun mit „The Shattered Fortress“ auf Tour. Dort werden auch Mitglieder von Haken und der Neal Morse Band dabei sein. Können wir mit dir rechnen?

DG: Anfangs wollte Mike, dass ich hierbei mehr involviert bin. Aber ich musste mich auf so viele Dinge fokussieren und Prioritäten setzen. Ich werde also nicht mit ihm auf Tour gehen.

MI: Ich habe noch eine Frage zum neuen Album. Ragnar Zolberg war dieses Mal stark involviert Kannst du uns etwas über die Kooperation erzählen?

DG: Vieles lief gleich wie bei den ersten beiden Alben. Ich sitze viel hinter dem Schlagzeug und spiele. Wenn die Leute daran denken, dass wir zurück zu den Wurzeln von Pain of Salvation gehen, hören sie also hauptsächlich einfach mich, Schlagzeug spielen. Vor allem das zweite Album schrieb ich hauptsächlich hinter dem Schlagzeug und auf der Gitarre. Ich finde es viel einfacher zu spielen, wie ich es will und wenn ich die Gitarre in meinem Kopf höre. Danach zeige ich es jemandem und dann spielen wir es zusammen. Das ist viel einfacher, als jemandem den Rhythmus auf dem Schlagzeug erklären zu müssen.

Ragnar hatte einige alte Songs, die er auf den Tisch brachte und ich hatte ein paar neue Stücke schon beinahe fertig geschrieben. Also schauten wir, was wir zusammen hatten und wie das in das eigentliche Konzept des Albums passen würde. Und so haben wir gearbeitet.

Als ich mich ans Schreiben der Songtexte machte, war ich noch nicht bereit, ein Album über den Krankenhaus-Aufenthalt zu schreiben. Viele Fans waren sehr unterstützend und schrieben mir während dieser Zeit. Wahrscheinlich um mich zu motivieren. Sie schrieben Dinge wie: „Eines Tages wäre dein Krankenhaus-Aufenthalt vielleicht eine wunderbare Idee für ein Album-Konzept.“ Weisst du, und ich lag da in meinem biederen Schlafkleid und war nicht einmal fähig aus dem Bett zu steigen. Ich hatte eine absurde Definition des Albums in meinem Kopf: „Das ist ein Prog-Metal Konzept über fleischfressende Bakterien.“ Es hörte sich so falsch an. Ich lachte über mich.

Aber als ich mich einmal hinsetzte und meine Gedanken schweifen liess, bemerkte ich, dass es tatsächlich funktionierte. Alle Gedanken, die mir in den Sinn kamen, waren zwar nicht wirklich über fleischfressende Bakterien, aber über die Gedanken und Gefühle, die ich vor allem in den ersten beiden Tagen erlebt hatte.

Ich kämpfte zu diesem Zeitpunkt gegen so viele Dinge. In den ersten zwei Tagen kämpfst du gegen den Tod, die Angst und die Schmerzen. Alles geschah so schnell. Du bist in diesem konfusen Zustand.

Plötzlich beginnst du auch zu überlegen, was passiert, wenn du stirbst. Als ich von zu Hause ins Krankenhaus ging, war es für mich nur eine alberne Sache. Wenn ich gewusst hätte, wie es wirklich war, hätte ich noch mit meinen Kindern gesprochen. Aber nein, ich verliess das Haus, als sie schliefen. Und das wäre die eigenartigste Sache gewesen: das Haus zu verlassen und nie wieder zurückzukommen. Das war dann plötzlich eine Option, über die ich nie nachgedacht habe, als ich ins Krankenhaus ging.

Nach etwa eine Woche konnte ich Kreuzworträtsel lösen. Als ich im Krankenhaus war, löste ich 106 Kreuzworträtsel und habe sie alle eingesendet. Ich habe in meinem Leben schon einige gelöst, habe auch schon selber welche konstruiert, aber ich habe sie nie eingeschickt. Ich dachte immer, dass ich es tun sollte. Vielleicht würde ich ja etwas gewinnen. Weisst du, du hast diese Magazine voll mit Kreuzworträtseln und wenn du eines einschickst, hast du die Chance zu gewinnen. Kinokarten oder ein Boot vielleicht, oder ich weiss auch nicht, Schuhe? Also entschied ich mich, für einmal in meinem Leben die Rätsel einzusenden. Wer weiss, vielleicht mit dieser schweren Geschichte und dem Pech, das ich hatte, würde es dadurch etwas ausgeglichen werden. Also schickte ich alle 106 Kreuzworträtsel ein und habe nichts gewonnen (lacht).

MI: Aber jetzt geht es dir gut?

DG: Ja. Aber als ich aus dem Krankenhaus kam, war ich in einer sehr schlechten Verfassung. Ich musste viele Übungen machen, schon nur um wieder normale Bewegungen machen zu können.

Ich hatte einen Monat nach Verlassen des Krankenhauses einen Gig und entschied, dass ich dorthin gehen würde! Ich ging also in die Reha und die Ärzte verschrieben mir ein Trainings-Programm. Das Programm habe ich dann etwas verschärft und immer mehr gemacht als ich eigentlich machen sollte und plötzlich war ich besser in Form, als ich vor dem Krankenhaus-Aufenthalt gewesen bin. Ich hatte vieles einfach als „Alterserscheinung“ abgetan: Ich bin nicht mehr 20, also kann ich nicht erwarten, dass mein Körper noch wie damals funktioniere. Aber dann realisierte ich, dass es nicht so viel mit dem Alter zu tun hatte, sondern mit der Tatsache, dass ich mit nicht mehr so viel bewegte wie mit 20. Und als ich sah, wie schnell mein Körper sich anpassen konnte und was für eine wundervolle Maschine er ist, da entschied ich, dies beizubehalten.

Ich machte mit meinem ältesten Sohn Parkours und es machte grossen Spass. Das war das, was ich als Kind immer machen wollte: Springen und Klettern. Es stellte sich heraus, dass es eine Senioren-Gruppe gab (lacht).  Dort gab es freie Plätze, also könnte ich gleich beginnen. Mein Sohn ging zur Junioren-Gruppe und ich trat der Senioren-Gruppe bei. Da realisierte ich, dass „Senior“ über 16 Jahre bedeutet. So war ich, damals 41-Jährig in dieser Senioren-Gruppe (lacht). Ich glaube die nächst jüngere Person war 24 Jahre alt. Aber es war total lustig und alle geben einander Tipps und halfen sich gegenseitig.

Ich lernte schon immer schnell, aber ich hatte auch immer Angst mich zu verletzten. Einige Leute stehen wohl drauf sich zu verletzten, aber ich gehöre nicht dazu. Ich möchte es richtigmachen. So habe ich den Backflip gelernt zu machen, was eine der eigenartigsten Bewegung ist, die es wohl gibt. Man stösst sich in die Luft, nicht nach hinten. Man muss so hoch wie möglich springen, dann die Beine anziehen und mit dem Kopf dem Boden entgegen drehen. Dein ganzer Körper sagt: Tu das nicht, das ist verrückt!

Ich habe ebenfalls mit Capoeira (bras. Kampfkunst – Anm. der Reaktion) angefangen und konnte einen Kollegen von dort überzeugen, auch mit Free-Running zu starten. So hatte ich wenigstens jemanden der mindestens 30 war. Eines Tages, als wir Backflips übten, mussten wir einfach lachen. Wir dachten daran, wie die Evolution über 100’000 Jahre lang unser System so geprägt hat, dass wir solche Dinge nicht tun sollten, weil es gefährlich ist. Und das mussten wir nun bekämpfen, ignorieren. Wenn uns jemand gehört hätte: „Wir müssen die Evolution übergehen.“ Es ist als ob man von einem Haus, welches Jahrhunderte benötigte, um gebaut zu werden, alle Feuermelder und Sprinkler herausreissen müsste. Alle Sicherheitssysteme. Das ist so dumm. Aber wenn du dann auf dem Boden stehst, aufspringst, einen Backflip machst, landest – das ist ein unglaubliches Gefühl!

MI: Wie lange musstest du es üben?

DG: Nicht allzu lange. Einer der Jungs aus meiner Gruppe wurde zu einem meiner besten Freunde, er hat mir viel geholfen. Als ich das erste Mal einen Backflip hinbrachte, fand er: „Ich brauchte 2 Jahre, bis ich das konnte!“ Und ich schaffte es innerhalb, ich weiss nicht, zwei Monate oder so. Ich habe schon immer schnell gelernt, physisch und mental. Ich habe meinen Körper immer wie Scheisse behandelt und er war immer sehr verständnisvoll (lacht). Ich weiss nicht warum, ich verdiene es nicht. Aber ich bin sehr dankbar.

 

MI: Wie geht es nun musikalisch weiter?

DG: Nun, es gibt eine lustige Sache. Pain of Salvation, so wie wir sie heute kennen, ist eine Kombination von Leuten, die nicht wirklich oft in einem Proberaum verbringt, weil wir an verschiedenen Orten leben. Wir sind die Band geworden, die ich nie haben wollte, wenn ich ganz ehrlich bin. Ich wollte immer eine Band, mit der man drei Mal die Woche proben kann. Das ist mir sehr wichtig: im Proberaum stehen und einfach musizieren, musizieren, musizieren. Ich mag das. Aber das ist nicht möglich, weil jeder seine eigenen Dinge und Terminkalender hat.

Leo ist praktisch immer an den Wochenenden fort, weil er noch in einer anderen Band spielt. Dann ist da Ragnar, der eigentlich nur an den Wochenenden kann, weil er in Norwegen lebt. Also bleibt eigentlich kaum Zeit, für das Proben. Das Zusammenspiel dieser beiden Personen ist sehr schwierig. Für mich ist die Musik und alles was dazu gehört ein Job, egal ob du dafür bezahlt wirst oder nicht. Aber es ist einfach, Tourneen und Alben aufzunehmen als Job zu sehen und das Proben als Hobby.

Aber für mich ist das nicht so. Es ist wie den Backflip zu lernen. Ich bin mit vielen anderen Menschen dort, die Geld bezahlen, um etwas zu lernen und sie denken nicht: Wenn ich Backflips gut genug kann, werde ich vielleicht Weltmeister darin und bekomme viel Geld. Es ist einfach so, dass sie es können wollen. Und für mich ist es das selbe mit der Musik. Ich will es einfach machen können. Es ist das, was ich machen will und ich würde dafür bezahlen, wenn ich müsste. Eigentlich bezahle ich ja auch dafür, weil wir den Proberaum mieten (lacht).

MI: Aber die Familie ist sicher auch ein wichtiger Bestandteil in deinem Leben?

D: Ja die Familie, die Kinder. Es ist schwierig. Das ist der Grund, weshalb viele andere Leute aufhören, weil sie eine Familie gegründet haben. Es ist verrückt, in einer Band zu sein, völlig irrational. Als Erwachsener hast du so viele Verpflichtungen und du kannst diese nicht entschuldigen, indem du auf Tour gehst und Alben aufnimmt. Es ist nicht praktisch. Natürlich bekommst du einen gewissen Geldbetrag zurück, aber es kommt nie an die Menge heran, wie wenn du einen anderen Job hättest, welcher viel praktischer und erwachsener wäre.

MI: Dein Geld verdienst du hauptsächlich als Musiklehrer?

DG: Ja genau, aber das ist auch ziemlich schwierig mit der Band zu kombinieren. Eigentlich dachte ich mir, das sei eine gute Kombination. Ich kann mit Musik arbeiten: ich mag Musik und ich mag Kinder. Ich hatte das Gefühl, dass ich mit den Kindern eine bessere Verbindung aufbauen konnte als andere Lehrer, weil ich selbst noch ein bisschen ein Kind bin. Bis zu einem gewissen Level kann ich immer noch mit ihnen reden und ihre Interessen teilen. Schon nur zu sagen, dass ich Parkour und Backflips mache. (lacht) Ich dachte mir auch, dass es ein gutes Training sei für meine Stimme, da wir nicht so oft proben. Aber nach einiger Zeit merkte ich, dass Musiklehrer für Klassen mit 20 bis 25 Schüler sehr laut werden können und das überhaupt nicht gut für die Stimme ist. Es ist schrecklich. (lacht)

MI: Also gibst du normalen Klassenunterricht keine Einzelstunden…

DG: Ja genau. Der ganze Einzel-Unterricht ist schwierig für mich. Weisst du, manchmal kommen Leute, die sind talentiert und manchmal kommen welche, wo du genau weisst, dass sie keine Chance haben. Dafür möchte ich nicht ihr Geld nehmen, Woche für Woche. Ich würde gerne sagen können, dass jeder die gleichen Chancen hat, aber das ist nicht so. Talent unterscheidet sich einfach, das hat nicht jeder. Egal, wie sehr du es gerne möchtet, es ist nicht immer so.

Jedenfalls unterrichte ich Klassen mit Kinder im Alter von sieben bis zwölf Jahren. Dort herrscht viel Energie (lacht). Ich unterrichte am Montag, Dienstag, Mittwoch und den halben Tag am Donnerstag. Ich kann mich dann nicht am Freitag hinsetzten und auf Kommando Musik schreiben und proben. Ich bin dann halb tot. Es gibt auch viel administrative Aufgaben. Das Schulsystem von heute ist ganz anders, wie es zu meiner Zeit war. Es ist sehr zielorientiert und es werden viele Anforderungen gestellt. Man ist nicht mit dem Resultat des Unterrichts zufrieden. Anstatt zu verstehen, dass es darum gehen sollte, die Schüler für die Fächer zu motivieren, fokussieren sie sich darauf, die Ziele noch höher zu setzten. Dadurch geben die Kinder noch schneller auf. Sie müssen sich auf digitalen Portalen einloggen wo sie festhalten, wie gut sie in jedem Fach abgeschnitten haben und was ihr Ziel ist. Die Kinder sind doch gerade mal 10 Jahre alt und doch noch gar nicht bereit dafür.

Ich komme aus einer sicheren und behüteten Familie. Wenn du das nicht hast und dann auf das heutige Schulsystem triffst, kann man sich gut vorstellen, wie verloren man dann ist. Diese Kinder haben nicht das Fundament, welches ich hatte. Ich sehe viele Probleme von dort herkommen.

MI: Danke Daniel für das ausführliche Interview. Wir sind schon gut eine Stunde dran und ich möchte dich nicht noch länger aufhalten. Du musst dich sicher noch auf den Gig vorbereiten.

DG: Oh was? Eine Stunde? Oh je, ich rede einfach zu viel, so bin ich halt. Typisch Daniel! (lacht)

Ja besser ich singe mich mal ein, geht ja bald los.

Metalinside.ch – Pain Of Salvation – Daniel und Liane im Z7 Pratteln 2017

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30.05.2017
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