

2025 – Wieder Konzerte ohne Handys
Auf der „Skeletour“ von Ghost soll der geneigte Zuschauer den Moment geniessen und diesen nicht beim Versuch, ihn für die Ewigkeit festzuhalten, verpassen.
Die (nicht mehr so) neue Zigarette
Eigentlich willst du das Konzert einer hochgeschätzten Band geniessen. Gerade spielen sie dein Lieblingslied, du hast sogar der Versuchung widerstanden, dieses mittels deines Smartphones mit dem, nun ja, nicht gerade Studio-Mikrofon aufzuzeichnen, bist auf deine Selbstbeherrschung mindestens ein bisschen stolz, doch dann vibriert das digitale Taschenmesser in der Hosentasche. Eigentlich willst du nicht, aber Neugier und unabsichtlich antrainierter Reflex lassen dich das Drecksteil hervorholen. Mit halbem Ohr hörst du dem auditiven Erlebnis noch zu, doch der Grossteil der Aufmerksamkeit hat sich jetzt der WhatsApp-Nachricht zugewandt: „Und? Wie ist die Band so?“. Irgendwie ist es schön, dass sich jemand für dich interessiert. So lässt du dich doch noch dazu herab und antwortest auf die Nachricht mit einem verwackelten hochkant gefilmten Video, dessen Tonspur nach einem Haarföhn klingt, und das weder du noch der Nachrichtenempfänger sich jemals ansehen wird.
Telefon-Fumoir
Auftritte haben immer was mit Selbstdarstellung zu tun. Man will wahrgenommen werden. Die Leute, die vor – im Falle eines Auftritts auf einer Bühne sogar unter – einem stehen, sollen ihre Aufmerksamkeit dir zuwenden. In Meetings oder Vorträgen gilt jegliche selbst herbeigeführte Ablenkung, unabhängig davon, ob sie andere tangiert, als unangebracht, geradezu frech. Doch Konzerte sind keine Besprechungen. So hat sich hier der ewige Störer Smartphone als Ablenkung vom Geschehen etabliert wie in allen anderen Bereichen des Lebens, begonnen bei der Taschenlampenfunktion bis zum Beantworten von E-Mails und Verlagerung von der Position des Zuschauers auf die eines Reporters.
Ghost spielen 2025 das seit der Erfindung der Handykamera erste Konzert frei von Telefonen in die Luft haltenden Händen in der Schweiz. Die Firma Yondr macht es möglich: Beim Betreten der Konzerthalte hält dich eine gestresste Security auf, streckt dir eine der in drei Grössen verfügbaren Taschen hin (M, L, XL – Grössen so verwirrend wie bei Starbucks), in die du dein Glas mit Technik stecken sollst. Öffnen kannst du sie erst wieder beim Verlassen der Halle oder Betreten der «Phone-Zone», wenn du den Schliessmechanismus an die «Unlocking-Base» hältst.
Kalter Entzug
Am Tag des Konzerts ging ich Lohnarbeit nach, weshalb ich nicht wie sonst bereits lange vor der Türöffnung vor dem Hallenstadion mir die Beine in den Bauch stehe, doch so lange ist die Schlange an anderen Veranstaltungen nie. Grund hierfür ist der Sonderwunsch der auftretenden Band, das Konzert handyfrei zu gestalten. Nebst dem üblichen «Auf-Sprengkörper-Abgetastet-Werden» gehört ein «Smartphone-in-Tasche-Stecken» zum Einlass-Prozess, was wenig, aber doch zusätzlich, Zeit kostet. Irgendwann bin ich dann doch drin. Wie wird wohl ein Konzert ohne Mini-Computer sein? Die letzten Veranstaltungen dieser Art, die ich erlebt habe, haben vor meinem zehnten Geburtstag stattgefunden, das Handy war immer Teil meiner Konzert-Erlebnisse. «Wie lautet die Uhrzeit? Reicht es noch für ein Bier?» frage ich mich. Eine Armbanduhr trage ich nicht und so greife ich in meine Hosentasche und ziehe den Yondr-Beutel hervor. Mist. Wanduhren sehe ich keine. Ich denke an Michael Endes Geschichte «Momo», seine Philosophie zum Thema Zeit und begebe mich in die Halle. Gefühlt ist es hier lauter als sonst vor einem Konzert. Die meist in Gruppen oder zu zweit angereisten Besucher sprechen ausnahmslos miteinander. Die parasoziale Unterhaltung muss warten, bis der Yondr-Beutel wieder geöffnet wird.
Ich bin allein hier und hätte unter anderem Umständen mein nicht mehr an Langeweile gewöhntes Hirn mit endlos langen Social-Media-Feeds malträtiert. Heute ist das nicht möglich. Die Frage, was eine «problematische Nutzung» ist, drängt sich mir auf. Genügend Zeit, darüber zu sinnieren, habe ich, das Konzert beginnt schliesslich erst in… Ja, wann eigentlich? Neben mir wird sich eine Gruppe ebenfalls der Abhängigkeit von ihren tragbaren Kommunikationsmitteln bewusst: Offenbar vermissen sie die Möglichkeit, ihren «Bierholer» informieren zu können, wo in der Halle sie sich befinden. Einer von ihnen begibt sich auf die Suche nach ihm. Ob er erfolgreich sein wird, wird sich zeigen.
Ghost
Durch verlorenes Zeitgefühl besonders überraschend, geht das Licht aus und das Intro der Tour und des neuen Albums ertönt. Ein Jubeln geht durch das Publikum. Für Hardcore-Fans, die sich als Ghosts Sänger Papa Emeritus, sexy Nonne oder dämonischen Priester verkleidet haben, konnte dieser Moment nicht schnell genug kommen, weshalb sie sofort zu filmen beginnen, um diesen Moment… stimmt, geht nicht.
In der Halle bleibt es, abgesehen von den Notausgang-Leuchten, eine ganze Weile stockdunkel. Es fehlen die kalten Lichter von Handybildschirmen. Erst die Scheinwerfer, die durch die Löcher des fein säuberlich punktuell zerrissenen Vorhangs leuchten, bringen Licht ins Dunkel. Als die Vorhang-Fetzen fliegen und Papa Emeritus IV in seiner vollen Pracht, umgeben von seinen «Nameless Ghouls», den Song «Peacefield» singend auf der Bühne steht, ist für seine Klone, die sexy Nonnen und teuflischen Priester kein Halten mehr. Ungehemmt singen sie mehr oder weniger textsicher mit. Nie werden sie auf einem verwackelten Video ihre eigene Stimme hören müssen und die Synapsen der Umstehenden können ihr Gekrächze ausblenden.
Fernab der Lieder haben Ghost eine komplizierte Geschichte zu erzählen. Etwa wieso man mittlerweile vom vierten Papa Emeritus spricht und wer genau diese Nameless Ghouls sind. Ghost ist das böse Kloster-Äquivalent zu Viking-Bands. Doch nur Blödelei ist das Märchenerzählen ganz und gar nicht. Nebst dem Anbiedern an der langweilig gewordenen Provokation mit der im Metal weitverbreiteten angeblich satanistischen Ästhetik, erzählt Ghosts fortlaufende Geschichte von Macht (-Missbrauch) und kritisiert auf unterhaltsame Weise teils gefährliche, real existierende religiöse Strukturen, gegen die die «Clergy», die Organisation, die hinter Ghost stecken soll, wie eine Pfadfindertruppe erscheint.
Aber so wirklich verstehe ich nicht, was das Ghost-Universum alles beinhaltet. Wer sich für die Band-Lore interessiert, dem kann ich Ghostpedia empfehlen.
Die komplizierte Geschichte wird versucht, auf die Bühne zu bringen, weshalb sich Sänger Tobias Forge mehrmals in andere Papa Emeriti verwandelt, um die unterschiedlichen Epochen der verschiedenen Vertreter der satanischen Kirche «Ghost» zu repräsentieren. Ein Showeffekt, der seinen Weg in den Mainstream gefunden hat, seit Taylor Swift ihre Alben als Ären bezeichnet und deren Lieder live ebenfalls in unterschiedlichen, für die jeweilige «Ära» geschaffenen, Kostümen präsentiert.
Ganz so gross wie die Amerikanerin mit den 36-Millionen-Beinen ziehen Ghost ihre Show nicht auf und so wird der ein oder andere Song vom «falschen» Papa Emeritus gesungen. Die Fans verzeihen es.
Doch glitzernde Kostüme und glückliche Zuschauer täuschen leider nicht ganz über die schlechte Abmischung hinweg. Alles klingt flach, nur der Bass knallt –etwas was man sonst eher von Rap-Konzerten kennt. Immerhin kann man so Ghost nicht nur sehen und hören, man kann sie auch in der Magengrube spüren.
Das Fanzit – Ghost
Ghost sind weniger eine Band als ein Konzept. Mag unklar sein, wer unter den Totenschädel-ähnlichen Ghoul-Masken steckt, so mag umso klarer sein, was einen erwartet. Mit diversen Effekten und abgestimmten Lichtshows ist es wenig verwunderlich, dass alles ein wenig einstudiert wirkt, das verwendete Playback auch und gerade beim Gesang ist hingegen inakzeptabel. Rock sollte doch den Anspruch an Authentizität haben (?), lieber einen Ton nicht treffen als zu betrügen.
Die Idee von handyfreien Konzerten wurde gut umgesetzt. Mag ich zu Beginn dieser Review zwar von verlängerten Wartezeiten gesprochen haben, so erlaubte es die schnelle Abfertigung, die ich bei eigentlich jedem Besuch im Hallenstadion Zürich erlebe, dass dieses verlängerte Anstehen gar nicht mal so stark verlängert war. Beim Auftritt selbst hat mich die Abwesenheit des Telefons nicht weiter gestört. Vermutlich hätte ich, wäre es anders gewesen, ein- bis zweimal für ein paar Sekunden mitgefilmt, doch ich ärgere mich ganz und gar nicht darüber, dass ich dies nicht konnte.
