
Rock the Lakes 2025 – Dimmu Borgir, Feuerschwanz, Eluveitie u.v.m
Lac de Neuchâtel (Cudrefin, CH)
Im Land der Pyramiden
Drei kleine Sonnensymbole in der App lassen das Festivalherz eines jeden Metalheads höherschlagen. Das Wetter ist bereit, wir ebenfalls. Also ab ans Rock the Lakes 2025.
Natürlich: Schönes Wetter ist an einem Festival immer willkommen, doch im Falle des Rock the Lakes haben Besucherinnen und Besucher der letztjährigen Ausgabe ein besonderes Interesse an trockener Witterung. Die Erinnerungen an den temporär entstandenen See zwischen den beiden namensgebenden «Lakes» Murtensee und Neuenburgersee – konkret direkt vor dem Festivalausgang – sind noch zu frisch, als dass die Meteoprognose auf die leichte Schulter genommen wird. (Ihr wart nicht da? Dann könnt ihr euch im entsprechenden Bericht über die damaligen Verhältnisse informieren.) Die Gedanken deshalb von Wassermassen ausgefüllt, machen wir uns auf den Weg nach Cudrefin.
Rock the Lakes 2025 – Tag 1 (Freitag, 15. August)
Dort kommen wir nach einer entspannten Fahrt durch die sonnige Schweiz an. Die Zufahrt gestaltet sich unkompliziert, obwohl es bei einigen Mitgliedern unserer Truppe Verwirrung gab, ob der zu erstehenden Tickets für Camping und Wohnmobil. Doch die Helfer am Eingang bleiben geduldig, bis alles nachgekauft ist, und anschliessend können wir unser Plätzchen in Ruhe beziehen. Der Seeblick ist so schön wie beim letzten Mal, aber viel Zeit dafür bleibt nicht, denn in Kürze geht es los.
Interview mit Daniel Botteron
Mein persönliches Programm startet mit einem Interview, und zwar gleich mit dem Chef des ganzen Festivals, Monsieur Daniel Botteron. Er hält nicht zurück mit Informationen rund um das Rock the Lakes, denn Transparenz ist ihm wichtig, so dass ich nach einer Viertelstunde voller Wissen wieder aus dem Backstagebereich entschwinde. Seine detaillierten Ausführungen werden zu einem späteren Zeitpunkt hier auf Metalinside erscheinen. An dieser Stelle aber mal der Fakt, dass das Festival dieses Jahr über alle drei Tage hinweg rund 16’000 Gäste zählen wird, die von über 500 freiwilligen Helferinnen und Helfer umsorgt werden. Damit genug der Zahlen, alles Weitere muss warten, das nächste Konzert beginnt.
Mental Cruelty
Mental Cruelty übernehmen die Bühne mit sinfonischem Deathcore. Die Band hat mit ihrem Album Zwielicht einige Beachtung gefunden. Die Kompositionen darauf sind kreativ angelegt und können mit Abwechslung punkten. Das grosse Problem stellt jedoch die musikalische Komplexität dar. Die schafft es nämlich nicht ganz, sich auf der Bühne im selben Ausmass zu entfalten wie ab Konserve. Vielleicht liegt es am naturgemäss häufigen Einsatz von Samples. Oder an der Abmischung, welche zwar ganz gut ist, besagte Samples aber zu stark im Hintergrund belässt, als dass die Details in ihrer Tiefe wahrnehmbar sind.
Mental Cruelty brauchen sich aber keinen Vorwurf zu machen, denn bezüglich ihres Auftritts gibt es nichts zu meckern. Das Spiel ist präzise, die Musiker präsent. Sänger Lukas Nicolai kommt in seinen Ansagen zudem locker und spontan rüber und ist sich nicht zu schade, zwischendurch auch mal zu improvisieren. So bittet er die Anwesenden vor der Bühne, ihre Handytaschenlampen trotz der Nachmittagssonne hin und her zu schwenken, um dann nach einem zweiten Blick ins Publikum, das lieber die Hände schwenkt, wieder davon abzulassen. Hauptsache, wir bewegen uns. Der kurzweilige Auftritt geht rasch vorüber. Ganz am Schluss zeigen Mental Cruelty, dass sie sich ihren coolsten Song aufgespart haben als Grande Finale. «Symphony Of A Dying Star», vorab ergänzt um das ab Band eingespielte «Zwielicht», überrascht mit paganen Einschüben und entpuppt sich rasch als Hit. Ein toller Auftakt, der einen sympathischen Eindruck hinterlässt.
Gaerea
Weiter gehts mit einer Band, die in den letzten Jahren zu den Aufsteigern innerhalb des Black und Post Metal gehörte. Gaerea ist ihr Name und dank des Herkunftslandes Portugal dürfte das Quintett mit der Hitze, vor der es in der sengenden Sonne kein Entkommen gibt, weniger Mühe bekunden als andere Bands hier am Rock the Lakes 2025. Umgekehrt haben Gaerea ihre Masken auf und stellen sich damit quasi einer Temperaturherausforderung, die eine Stufe höher liegt als diejenige des Rests.
Musikalisch geben sich die Dame und die Herren keine Blösse. Unerwartet ist bloss, dass der Sänger derart viel mit dem Publikum spricht. Das habe ich anders in Erinnerung und irgendwie muss ich mich erst noch daran gewöhnen. Ebenfalls gewöhnungsbedürftig ist die Aufforderung, die Hände hin und her zu schwenken – eine Geste, die irgendwie nicht richtig zur düsteren, eindringlichen Musik passen will. Den Grossteil der Zuschauer scheints nicht zu stören, sodass vor uns ein einziges Händemeer zu sehen ist. Unseren Ohren wird derweil von einer hervorragenden Abmischung geschmeichelt, die jedes Instrument zur Geltung kommen lässt. So machen Konzerte Spass. Als Gaerea zum Schluss kommen, ziehe ich das Fazit: Das war nicht der stärkste Auftritt, den ich von ihnen gesehen habe. Aber weil die Band die Messlatte hoch ansetzt, reicht es immer noch, ihn in guter Erinnerung zu halten.
Anschliessend ist die Zeit reif, die Verpflegungsstände unter die Lupe zu nehmen. Diese sind neu in einem kleinen Food Village angeordnet und nicht mehr dem Zaun entlang verteilt. Das ermöglicht uns, ganz rasch einen Überblick über das vorhandene Angebot zu bekommen. Es reicht von Bratwurst mit Rösti über Felchenknusperli bis hin zur Neuenburger Spezialität Gâteau au Beurre. Die Preise reichen von sechs bis um die zwanzig Franken und bieten damit für jeden Füllstand im Portemonnaie etwas. Um das Essen in aller Ruhe geniessen zu können, stehen in der Mitte des Food Village Tische und Bänke – witterungsgeschützt unter einem Zeltdach. Die fehlende Sicht auf die Bühne von diesen Bänken sorgt für eine genügend grosse Fluktuation, die zur Folge hat, dass wir nicht lange nach einem Sitzplatz suchen müssen.
Nanowar of Steel
So ist es uns ein Leichtes, pünktlich auf die nächste Band vor der Iceberg Stage zu stehen. Das ist die linke der beiden Zwillingsbühnen oder anders gesagt diejenige, auf der Nanowar of Steel mit «Uranus» ihr Set beginnen. Bei ihrem letzten Auftritt in der Musigburg hat mich die Band nur mässig begeistern können (den Bericht dazu findet ihr hier), deshalb sind meine Erwartungen nicht besonders hoch. Dementsprechend kann ich mich durchaus amüsieren, doch für mich leben die Songs der Italiener einfach von ihren cleveren Konzepten und weniger von den neonfarbenen Kostümen oder Witzeleien bei den Ansagen. Dazu kommt, dass dieselben Showelemente ihren Einsatz finden wie vor zwei Jahren: Wall of Love (mit Umarmen statt Moshen), Händwedeln bei «Il Cacciatore della Notte», der Witz mit der Fantoft-Kirche vor «Norwegian Reggaeton».
Ich muss Nanowar of Steel allerdings zugutehalten, dass sie mit ihrem Auftritt viele Leute begeistern können und für gute Laune sorgen. Besagte Wall of Love beispielsweise fällt wirklich gross aus und wenn man lange genug «Barbagianni, Barbagianni» mitsingt, gleitet einem irgendwann automatisch ein Schmunzeln über die Lippen. Als «Valhalleluja» als letzter Song des rund vierzigminütigen Sets zum Zug kommt, schaffen es Nanowar of Steel schliesslich doch noch, mich zu überraschen: Der IKEA-Tisch, welchen Sänger Potowotominimak live zusammenschraubt, geht nicht auf Crowdsurfingreise im Publikum, sondern verbleibt auf der Bühne. War da möglicherweise die Angst zu gross, dass er nicht mehr zurückkehrt? Wer weiss, aber Tische für die Verpflegung bietet das Rock the Lakes eigentlich genügend an.
Thrown
Während wir uns schon mal gute Plätze ganz weit vorne für Kataklysm sichern, starten auf der Casino Neuchâtel Stage (das ist jetzt die rechte) Thrown mit ihrem Auftritt. Die Jungs sind Wiederholungstäter, bereits letztes Jahr haben sie hier einen Auftritt zum Besten geben dürfen. Dieses Jahr haben sie fünfundvierzig Minuten Zeit, um ihren Metalcore unter die Menge zu bringen. Leider haben sie nach wie vor keinen Bassisten in ihr Line-up aufgenommen, so dass in Kombination mit den vielen Samples ganz schön viel Musik ab Konserve kommt.
Die sehr knapp gehaltenen Ansagen tragen das ihre dazu bei, dass mich der Auftritt nicht gerade vom Hocker haut und als Thrown dann nach etwas mehr als einer halben Stunde mit ihrem Auftritt bereits durch sind (viel mehr Material haben sie bisher ja auch nicht veröffentlicht), verstehe ich immer noch nicht, weshalb diese Band so weit oben im Billing steht. Klar, die Musik ist druckvoll sowie präzise gespielt, doch irgendwie fehlt mir dafür über das Gesamtpaket hinweg gesehen ein wenig Fleisch am Knochen.
Kataklysm
Die Hoffnungen liegen nun also auf Kataklysm. Das Quartett aus Kanada ist bekannt für seine kompromisslosen Songs, wie mir rasch wieder bewusst wird, sobald die ersten Töne erklingen. Der sehr melodische Death Metal sorgt im Publikum für Begeisterung und augenblicklich tut sich ein wilder Moshpit auf, der nicht mehr zum Stillstand kommt. Die vier Herren betanken ihn mit Songs wie «Goliath», dem Titelsong ihres aktuellen Werks, oder der ganz neuen Single «The Rabbit Hole». Dazu kommen Crowdsurfer im Minutentakt geflogen, die Stimmung ist ausgelassen.
Die Band kann sich darauf einlassen und eine Verbindung zu den Fans aufbauen, wenngleich ihr Auftritt einen routinierten Eindruck hinterlässt. Maurizio Iacono weist mehrmals darauf hin, dass es wichtig ist, frei zu sein. Sein Dank gilt darüber hinaus allen dafür, dass sie als echte Menschen hier stehen, während sie Livemusik unterstützen. Die Zeit vergeht im Flug, «Push The Venom» ist soeben verklungen, doch einen letzten Höhepunkt zum Schluss haben sich Kataklysm noch aufgehoben: «The Black Sheep» übernimmt diese Rolle mit Leichtigkeit, bevor Kataklysm die Bühne räumen, um Platz für die nächste Gruppe zu machen.
August Burns Red
Doch erst einmal bewegen wir uns etwas nach rechts, um auf der Zwillingsbühne die Show von August Burns Red zu geniessen. Die starten gleich mal mit einem Cover in ihr Set, und zwar demjenigen von System of a Downs «Chop Suey». Eine eigenwillige Wahl, aber warum eigentlich nicht? Interessant ist allerdings, dass die Band gleich um einiges mehr auftaut, als sie ihre eigenen Songs auspackt. «Composure» zeigt sehr früh im Set exemplarisch, dass die Truppe aus den Vereinigten Staaten von Amerika ein Händchen dafür hat, viele Gitarrenmelodien in ihren Metalcore einzubauen. Dazu passt ihr Auftreten als Quintett mit zwei Gitarren. Hier kommt dementsprechend viel weniger aus der Konserve als beispielsweise vorher bei Thrown.
Doch es braucht keine Vergleiche, August Burns Red halten einer kritischen Betrachtung auch für sich alleine genommen stand. Dazu trägt unter anderem bei, dass ihr Frontmann sich je mehr von einer herzlichen Seite zeigt, je länger das Konzert dauert. Mit Engagement motiviert er das Publikum zu aktivem Verhalten und sorgt allgemein für eine positive Stimmung. Überhaupt trägt das Quintett eine lebensbejahende Einstellung zur Schau, die perfekt zum sonnigen Tag passt. Und wenn ich mir einige der Umstehenden genauer ansehe, füllt sich plötzlich gar der Bandname mit Sinn – der August brennt wahrlich rot dieses Jahr. Den entsprechenden Personen scheint dies aber egal zu sein, vielmehr schauen sie gebannt auf die Bühne, um den Auftritt dort oben aufzusaugen. So soll es sein, denn verdient haben es August Burns Red mit ihrem tollen Auftritt allemal.
Wind Rose
Weiter gehts gleich anschliessend mit Wind Rose. Die Band hat einen steilen Aufstieg hingelegt in den letzten Jahren, doch mein Kontakt mit ihr beschränkt sich bis jetzt auf ein, zwei Singleauskopplungen. «Wo kommt das denn her?», schiesst mir nach dem Intro durch den Kopf, denn «Dance Of The Axes» macht gerade richtig viel Spass und zieht schön nach vorne inklusive Heldenchor im Refrain. So hatte ich das ehrlich gesagt nicht erwartet. «Drunken Dwarves» schlägt in dieselbe Kerbe: Folkig angehauchter schneller Power Meral, klatschende hüpfende Leute und eine Band, die über eine angenehme Bühnenpräsenz verfügt. Leider scheint es für jeden dieser mitreissenden Songs mindestens einen der langsamen, stampfenden Sorte der Marke «Mine, Mine, Mine» oder «Rock And Stone» zu geben. Die nehmen immer wieder Schwung aus dem Auftritt, eignen sich dafür sehr gut dazu, vom Publikum mitgesungen zu werden.
Bei genauem Hinhören fällt ausserdem auf, dass Francesco Cavalieri komplett Pausen während vieler der Chor-Stellen macht. In diesen Momenten kommt der Gesang praktisch ausschliesslich ab Band – klar, abgesehen vom Schlagzeuger haben die restlichen Musiker (die übrigens samt und sonders als Fantasyzwerge verkleidet auftreten) Mikrofone vor sich, aber die dienen eher der nebensächlichen Unterstützung der entsprechenden Parts und der Optik. Auf der anderen Seite haben Wind Rose einen Keyboarder mit an Bord, der wiederum die orchestralen Elemente übernimmt. Doch viel Zeit für vertiefte Gedanken bleibt nicht mehr, denn wir sind bereits bei «Diggy Diggy Hole» angelangt. Als grosse Hit-Single der Italiener – der Song wird um einen Dance-Remix-Part erweitert, zu dem das Publikum voll abgeht – wird er langsam die Zielgerade anzeigen. Als Francesco danach wieder ans Mikrofon tritt, steht tatsächlich nur noch ein letztes Lied an. Er möchte etwas zu Depressionen sagen, lässt uns der Sänger wissen. Das hätte ich jetzt nicht erwartet, denn bisher hat nichts am Auftritt von Wind Rose darauf hingedeutet, dass dieses Thema angesprochen werden könnte. Der Hinweis, dass niemand allein sei, vor allem nicht, wenn er Teil der Wind Rose-Familie ist, transportiert aber eine schöne Botschaft und nachdem ich meine Überraschung ob des urplötzlichen Umschwungs zu ernster Stimmung überwunden habe, kann ich während eines traumhaften Sonnenuntergangs das folgende «I Am The Mountain» geniessen, das in einer Spiegelung des starken Beginns den musikalischen Höhepunkt des Auftritts darstellt.
Hatebreed
Mit der nächsten Band folgt gleich ein Novum: Bühnendeko. Abgesehen von einigen Bannern setzten die bisherigen Bands auf die schlichte Gestaltung mit einem Backdrop. Hatebreed hingegen haben eine aufblasbare Figur in Überlebensgrösse dabei, die hinter ihnen aufragt. Mehr braucht es auch nicht, denn die Truppe hat nicht vor, mit darstellender Kunst zu beindrucken, sondern mit Musik. Hardcore, um genau zu sein. Der Anfang glückt problemlos. Besonders «Make The Demons Obey» sorgt gleich mal für Bewegung im Publikum. Schnell wird zudem klar, dass Frontmann Jamey Jasta um positive Vibes besorgt ist. Mehrfach drehen sich seine Ansagen darum, nett zueinander zu sein und gemeinsam eine gute Zeit zu haben. Den nahbaren Eindruck, den er dabei hinterlässt, verleiht Hatebreed etwas kumpelhaftes, so als ob wir hier bei einer kleinen Clubshow sind statt an einem Open-Air-Festival mit über 5’000 Zuschauern pro Tag.
Erst die beiden Balls of Death weisen wieder darauf hin, dass wir hier eben nicht an einer Undergroundshow sind. Bei denen handelt es sich um zwei riesige aufblasbare Bälle, welche als Ersatz für eine klanglich verwandte Wall of Death in die Menge gegeben werden. Das Publikum scheint jedoch kein grosses Interesse daran zu haben, jedenfalls wandern die beiden Plastiksphären rasch nach links und werden dort primär von den Leuten herumgeworfen, die etwas abseits der zentralen Bühnenachse stehen. In so einem Circlepit bleibt halt nicht viel Aufmerksamkeit für Ballspiele übrig. Die Balls of Death können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der aktuelle Teil des Konzerts gerade einige Längen aufweist. «Destroy Everything» bildet zwar die löbliche Ausnahme, doch insgesamt wirkt die Musik etwas weniger schmissig als zu Beginn. Zum Glück ändert sich das wieder und spätestens bei «Perseverance» haben Hatebreed mit ihrer Setlist wieder in die Spur zurückgefunden, sodass ihr Auftritt in guter Erinnerung bleiben wird.
Heilung
Die Zeit vergeht, wir sind steuern bereits langsam auf die Zielgerade des heutigen Freitags zu. Zuerst einmal sind jetzt aber Heilung an der Reihe. Ohne dass das Organisationskomitee des Rock the Lakes dies bei der Buchung gewusst hätte, kann es uns nun eine Show mit leichtem Exklusivitätscharakter präsentieren. Heilung werden nämlich eine längere Pause einlegen, womit der heutige Auftritt die zweitletzte Möglichkeit – in der Schweiz gar die letzte – ist, um die deutsche Nordic-Folk-Gruppe auf der Bühne zu erleben. Das zieht natürlich viel Publikum an und das Infield ist dementsprechend voll – vor allem, wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass wir es hier mit einem Genre zu tun haben, das sich komplett vom restlichen Programm unterscheidet. Bereits als im Sinne eines Intros die Bühne mit einer Räucherzeremonie gereinigt wird, fällt mir auf, dass die Zuschauer sehr aufmerksam und voll bei der Sache sind. Kaum jemand zückt sein Handy, um Teile der Show zu filmen oder zu fotografieren. Dabei würde Heilungs Konzert viel von dem bieten, was normalerweise Leute dazu verleitet, ihre Aufmerksamkeit statt dem Auftritt dem Festhalten ebendieses zu widmen: Sehenswerte Kostüme, exotische Instrumente, wohlüberlegte Ausleuchtung. Überhaupt die Lichteinstellungen: Durchchoreografiert setzen sie das Geschehen auf der Bühne in Szene, indem sie unseren Fokus gezielt zu den einzelnen Akteuren hinführen (und damit vielleicht nebenbei dafür sorgt, dass die ganze Nacktheit auf der Bühne einem Grossteil unserer Gruppe beinahe komplett verborgen bleibt).
Derweil ist die Abmischung, wie bei den Konzerten zuvor, ein Traum. Die Person hinter den Reglern hat sich ein fettes Kompliment verdient. Und Heilung? Die geben sich keine Blösse und bieten die Show, für die sie bekannt sind. Das Wort Show trifft es dabei auf den Punkt, die Gruppe ist so etwas wie «Schamanismus – Das Musical». Diese Hochglanzproduktion steht in einem gewissen Widerspruch zur Urtümlichkeit der Musik, wenngleich sie natürlich viel fürs Auge bietet. Ganz überdecken, dass in den Songs selbst nicht allzu viel Spannendes passiert, kann sie nicht. Muss sie auch nicht, viel Jubel heimst sie dennoch ein. Ich persönlich bleibe hingegen dabei: Diese Art von Liedern funktioniert, bei allem Respekt für Heilungs aufwändige Darstellung, besser in einem bodenständigen Kontext.
Skindred
Nach Heilungs Auftritt verlassen viele Leute das Festivalgelände oder zumindest den Bereich zwischen der Iceberg Bar und den Bühnen. Jene hat übrigens den Platz eingenommen, der letztes Jahr vom VIP-Bereich belegt wurde. Es ist neu also möglich, sich mit Getränken zu versorgen, ohne das Infield verlassen zu müssen. Das ist ein echter Fortschritt. So können sich alle um die Regulierung ihres Flüssigkeitshaushaltes kümmern, während sich Skindred bereit machen, den ersten Tag des Rock the Lakes 2025 zu beschliessen. Über die Band habe ich bereits so viel Gutes gehört, was ihre Livepräsenz angeht, dass ich sehr gespannt bin, was wir heute zu Gesicht bekommen. Erwartet habe ich eine kräftige Mischung aus Crossover, Alternative Rock und Metal mit Reggae-Elementen. Nicht erwartet habe ich die vielen Einschübe, bei denen irgendwelche Coversongs angedeutet werden oder kurze Samples von bekannten Kompositionen eingespielt werden.
In Verbindung mit der aufgeputschten Art von Benji Webbe am Mikro sorgt das für einen ziemlich überdrehten Eindruck und ergibt dabei Hand in Hand mit dem wilden Stilmix ein stimmiges Gesamtkonzept. Gewöhnungsbedürftig bleibt letztlich vor allem die Musik, die sich nie ganz entscheiden kann, ob sie jetzt in diese oder jene Richtung marschieren möchte. Benji schafft es dafür, mit seiner energievollen Art zu faszinieren und diejenigen, die noch anwesend sind zum Einsatz der letzten Kraftreserven zu mobilisieren. Doch die Uhr tickt unerbittlich. Schon wandert der Zeiger gen ein Uhr, der letzte Ton von Skindred verhallt und unter dem Zeltdach der Valhallamand Bar übernimmt ein DJ das Zepter mit «Killing In The Name». Für uns ist das der Moment den Heimweg anzutreten. Mit einem zufriedenen Lächeln nehmen wir die drei, vier Minuten in Angriff, die uns vom Campingplatz trennen. Dort angekommen fallen wir müde ins Bett und freuen uns bereits auf den morgigen Tag.
Rock the Lakes 2025 – Tag 2 (Samstag, 16. August)
Der Morgen erwacht und bald schon treibt uns die Sonne aus den Federn. Bereits zur frühen Stunde ist es warm. Heute sind nochmals hohe Temperaturen bis zu 34 Grad angekündigt. In der Ferne glitzert der blaue See, verspricht Abkühlung, lockt mit der Verheissung erfrischenden Wassers. Doch der Ruf des Metal ist stärker. Mein Blick fällt auf das Festivalgelände am Ende des leicht abschüssigen Campingbereichs, während die Klänge des Soundchecks zu uns herüberwehen. Ich wende mich wieder den Diskussionen über den gestrigen Tag zu. Im Zusammenhang mit Highlights fallen alle möglichen Namen, eine Einigung ist schwierig. Mal schauen, wie das morgen sein wird, denn wir stürzen uns jetzt in einen weiteren Tag voller Musik am Rock the Lakes 2025.
Moment of Madness
Moment of Madness übernehmen die erste Schicht heute. Die vier Herren wissen, wie man eine gute Liveshow spielt und Publikum dafür steht genügend bereit. Nur das Wetter hat sich spontan dazu entschlossen, ein Spielverderber zu sein. Urplötzlich geht ein Platzregen über uns nieder. Wer nicht nass werden möchte, findet Unterschlupf unter dem Zelt der Valhallamand Bar. Von dort aus kann man die Bühne ebenfalls gut sehen, die Musik hören sowieso. Doch was ist das? Die Technik spielt Moment of Madness ebenfalls einen Streich, der Backingtrack – zu dem leider, leider auch der Bass gehört – funktioniert nicht, wie er sollte. Die Basler lassen sich kein bisschen davon einschüchtern und überbrücken die Lücke souverän. Es dauert glücklicherweise nicht lange, bis wieder alles funktioniert, so dass die Band weiter die Menge mit Metalcore anheizen kann. Dazu bringt sie irgendwann einen QR-Code auf die Bühne, der zum Text des nächsten Songs führt (oder etwa doch zu einer dieser Sportwetten-Seiten?) und allen Interessierten die Möglichkeit bietet, ohne Ausrutscher mitzusingen. Originelle Idee, die mit schmalem Budget tausendmal einfacher umzusetzen ist als Videoscreens, auf welchen Auszüge der Lyrics eingeblendet werden. Moment of Madness verabschieden sich schliesslich zufrieden beim Publikum. Selbst als sie technische Probleme gehabt hätten, haben wir uns die gute Laune nicht verderben lassen, dafür seien sie dankbar, lässt uns Sänger Andrea Leandro Perin wissen. Sogar der Regen hat wieder aufgehört und zu einem gelungenen Konzertende beigetragen.
Cardiac
Die Sonne ist also rechtzeitig zurück für den Auftritt von Cardiac. Die Genfer Formation hat nicht nur einen Bassisten mit dabei, sondern gleich noch zwei Palmen zur Bühnendekoration. Die beiden Vertreter dieser einkeimblättrigen Pflanzengattung (ha, das weiss ich noch vom letztjährigen Rock the Lakes!) sind allerdings aufblasbare Exemplare und werden von einer kleinen Pumpe in die Höhe gedrückt. Jedenfalls eine davon, die andere klappt mehrmals nach vorne in einem Anflug von «kä Luscht». Nicht, dass dies Cardiac behindern oder sonderlich stören würde. Die Band pflügt einfach weiter durch ihr Set. Musikalisch ist das Ganze irgendwo zwischen Crossover und Groove Metal angesiedelt, textlich ist es das verwendete Spanisch, das aufhorchen lässt. Unbeabsichtigt passend zum Rock the Lakes 2025, sind die Herren seit 25 Jahren unterwegs. Die kennen somit das ganze Repertoire an Zuschauerinteraktionen. Daher wenig verwunderlich, als Sänger Ricardo den «Publikumsjoker» zieht und sich zu den Fans hinunter begibt. Zuerst bleibt er am Rande des Circlepits stehen, doch irgendwann reicht ihm das nicht mehr. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Mitte des Kreises, schliesst er sich seines leuchtend roten Trikots für alle gut sichtbar den Reihen der Rennenden an – während er weiterhin singt, wohlgemerkt. Das nenne ich mal Einsatz.
Cardiacs Musik kann mit dieser abwechslungsreichen Darbietung nicht ganz Schritt halten. Der Groove ist mächtig, mit dem Verstreichen der Zeit stellt sich aber eine gewisse Gleichförmigkeit ein. Als Cardiac nach rund einer halben Stunde ihren wohlverdienten Applaus in Empfang nehmen, stellt sich das als die genau richtige Auftrittszeit heraus. Cardiacs lockeres Konzert hat jetzt wunderbar zu dieser sonnigen Mittagszeit gepasst.
Apropos: Wir sollten unserem Energiehaushalt wieder mal Aufmerksamkeit schenken. Auf zu den Verpflegungsständen. Dort finden wir rasch etwas Ansprechendes aus dem vielfältigen Angebot. Im Anschluss an das Mittagessen, kümmern wir uns gleich noch um Flüssigkeitsnachschub. Neben den beiden Bars gibt es hierfür eine Cocktail-Met-Drinks-Meile gleich hinter dem Mischpult sowie einen Truck, der andere Biersorten als diejenige an der Bar verkauft. Dazu kommt die bewährte Wasserstelle. Ja, die ist neu in der Einzahl (bei den Toiletten zu finden), dafür mit vielen Hähnen ausgestattet.
Warbringer
Gestärkt und bewässert begeben wir uns für Warbringer wieder vor die Bühne. Mit einer Ladung Thrash Metal im Gepäck aus Kalifornien angereist, sorgt das Quintett für Freude bei allen Oldschool-Freunden, denen die vorangegangenen Bands zu modern gewesen sind. Warbringer sind fadengrad unterwegs und zeigen von Beginn weg, dass sie ihre Instrumente im Griff haben. Oder halt die Stimme, im Falle des Frontmanns John Kevill. Leider ist die Abmischung, die bisher ausgezeichnet war, aktuell ein wenig verschwommen. Die rasenden Gitarrenriffs machen es der Technikcrew allerdings auch nicht einfach. Trotzdem bleibt die Darbietung von Warbringer geniessbar. Mit dieser Meinung stehe ich nicht allein da: «Living In A Whirlwind» zündet treffsicher einen Circlepit, trotz der Hitze. Der Song ist gleichzeitig einer der beiden musikalischen Höhepunkte. Flankiert wird er von «The Sword And The Cross», zu dem John gerade ein massiv aussehendes Schwert hervorholt, um es in den Himmel zu recken. Das macht sich vor allem gut in den langsameren Parts des Liedes und die Aktion zeigt wieder einmal, wie mit ganz wenig Material die Atmosphäre eines Konzerts gleich in eine neue Richtung geschubst werden kann. Es soll aber bei diesem einen Einsatz von Requisiten bleiben. Nichtsdestotrotz macht der Gig von Warbringer Freude, weshalb ich zum Schluss konstatiere: «Gerne wieder!»
Adept
Ohne Pause respektive mit einer minimalen Umbaupause folgen jetzt Adept. Ihr Herkunftsland ist Schweden und sie sind gut drauf. Wir seien Schwesterländer, wird uns bald einmal fröhlich mitgeteilt, denn ständig würden wir verwechselt. Deshalb sollen wir am besten zusammenhalten, gar heute mit ihnen eins werden. Swedenland oder Switzereden würden sie es nennen oder sonst irgendwie, Hauptsache, wir hätten jetzt alle zusammen eine tolle Zeit. Adept gehen mit gutem Beispiel voran und springen über die Bühne, was das Zeug hält. Stillstehen ist ein Fremdwort für die fünf Jungs – im Gegenteil: Sie flitzen ständig über die ausladenden Podeste, welche sie als Bühneneinrichtung mitgebracht haben. Gut, sie haben auch einiges nachzuholen, denn die Truppe hat sich in den letzten Jahren ein wenig zurückgezogen. In der Folge spielen sie gerade ihren gemäss Eigenaussage erst siebten Auftritt seit Anfang 2020, weshalb sie uns um Nachsicht gegenüber Fehlern bitten. Die Menge hier am Rock the Lakes lässt sich nicht zweimal bitten: Der Pit macht mit. Bei einem derart sympathischen Eindruck ist es halt schwer, sich nicht mitreissen zu lassen, den Rest erledigt die Grundstruktur des Metalcore, die immer wieder zur Bewegung animiert. Und auf eine lustige Geschichte (mit unbekanntem Wahrheitsgehalt) hin, wie sich ein Teil der Band beim Crowdsurfen kennengelernt hat, lassen sich dutzende Zuschauerinnen und Zuschauer auf Händen tragen. Im Gedächtnis bleibt schlussendlich vor allem der Song «Secrets». Er hat bereits einige Jahre auf dem Buckel, das trifft auf einen Grossteil von Adepts Material zu. Ein Lichtblick für die Fans gibt es aber diesbezüglich: Ende Oktober wird ein neues Album erscheinen.
Nach Konzertende zieht es mich zum zweiten Mal am heutigen Samstag zum Food Village, um die freien Bereiche meines Magens mit Nahrung zu füllen. Das letzte Essen ist zwar noch nicht so lange her, aber im späteren Verlauf des Abends lassen meine musikalischen Interessen keine Pause mehr zu.
Ensiferum
Die Energiereserven randvoll suchen wir uns einen guten Platz weit vorne für Ensiferum. Wir werden die Kraft brauchen, die Finnen sind bekannt für Liveshows, bei denen es im Publikum hoch zu und her geht. Mit den ersten Klängen von «Fatherland» gehts schon los. Um uns herum beginnen mehr und mehr Leute zu hüpfen, ineinander zu stossen, aneinander abzuprallen – es wird Zeit für den Moshpit. «Token Of Time» knüpft direkt daran an und erweitert die Aktivitäten um fröhliches Mitklatschen. Einen Grund, deswegen ihr Pogo zu unterbrechen, sehen die Fans aber keinen. Warum auch: Jeder Song, den das Fünfergespann gerade auffährt, macht es den Beinen schwierig, still zu stehen – das folgende «Winterstorm Vigilantes» macht da keine Ausnahme. Erst bei «Heathen Horde» kann ich in Ruhe einen Blick nach hinten werfen. Was mein Blick erhascht, zaubert mir ein Grinsen aufs Gesicht: Bis weit nach hinten machen die Leute mit, tanzen, schütteln ihre Köpfe oder singen mit. Doch damit genug des reduzierten Tempos, es ist an der Zeit für «Stone Cold Metal». Richtig gehört (respektive gelesen), wir kommen in den Genuss eines DER Ensiferum-Songs (pam: Wow, spätestens jetzt bereue ich es definitiv, dieses Jahr nicht am Rock the Lakes zu sein …). Der hat bei seinem Erscheinen vor sechzehn Jahren richtig für Furore gesorgt und war innerhalb der Folk-Metal-Welt in aller Munde. Gespielt hat ihn die Band nun schon lange Zeit nicht mehr. Entsprechend freut es mich, ihn heute zum ersten Mal in konzertanter Aufführung erleben zu können. Und dann erst noch in der Version mit Abwaschbürsteli. Selbiges wird von Janne Parviainen am Schlagzeug anstelle normaler Schlagwerkbesen für den ruhigen Mittelpart verwendet – bevor es in einem eleganten Bogen ins Publikum geflogen kommt. Gingen die finnischen Folk Metal-Veteranen mit Gutalax auf Tour, es wäre danach jede Konzertlocation sauber.
Im Moshpit hat sich derweil eine Pyramide gebildet, um die herum jetzt langsam ein Circlepit entsteht. Die Fans feiern derart begeistert, dass beinahe zur Nebensache verkommt, was auf der Bühne geschieht. Ensiferum nehmen dies aber niemandem krumm, nein, sie heizen diese Stimmung nämlich an und fordern die Leute dazu auf, aktiv zu bleiben. Geeignetes Material dafür haben sie zur Genüge im Köcher. Nach dem folgenden «Andromeda» kommt dann mit «Way Of The Warrior» gleich nochmals ein Lied zum Zuge, das in den letzten Jahren Pause auf der Setlist hatte. Variationen in dieser sind bei einer Band, die häufig live spielt einfach Gold wert – ja, sogar ein Muss, um langfristig relevant zu bleiben. Den Schluss überlassen Ensiferum aber gleichwohl einem Klassiker. «In My Sword I Trust» animiert nochmals jede und jeden um uns herum, die Stimmbänder zu stimulieren, die Faustmuskulatur einzusetzen und die Beine zu bewegen. Der Applaus ist der Band sicher, verdient ist er ebenso. Das hat richtig Spass gemacht.
The Halo Effect
Im Kopf noch halb in durch die finnischen Wälder streifend, stapfen wir eine Bühne und ein Herkunftsland weiter. The Halo Effect kommen aus Schweden, genauer gesagt Göteborg und damit einer Gegend, die bekannt ist für ein ganz bestimmtes Subgenres des Metal: Melodic Death Metal. In Flames ist diesbezüglich ein Name, der einem in den Sinn kommt und ein Blick auf das Line-up von The Halo Effect offenbart umfassende personelle Überschneidungen mit der Frühphase jener Band. Zumindest, solange die Mitglieder nicht wie im Falle von Sänger Mikael Stanne noch bei Dark Tranquillity aktiv sind, einer der beiden anderen grossen Pioniergruppen des erwähnten Stils. Die Zeichen stehen also auf Schwedentod.
Dann schauen wir mal, was wir so vorgesetzt kriegen. Auf jeden Fall einen bestens gelaunten Mikael Stanne. Der Herr ist mir mit seiner Hauptband bereits letztes Jahr am Rock the Lakes wegen seiner herzlichen Art aufgefallen (hier nochmals der Link zum Bericht). Der führt das Quintett gekonnt an und strahlt eine paradoxe Mischung aus höflicher Zurückhaltung und dem Wunsch, uns alle gleichzeitig zu umarmen, aus. Die beiden Gitarristen Niclas Engelin und Jesper Strömblad stehen ihm aber kaum nach, ja eigentlich ist die ganze Band gut drauf. Dazu gibts mit «March Of The Unheard» Melodien, die geschmeidig ins Ohr gehen. Ja, geschmeidig, es heisst nicht umsonst Melodic Death Metal. Diese Bild hält sich im weiteren Konzertverlauf konstant: Melodische Musik, fröhliche Musiker sowie eine gute Abmischung obenauf, die Idylle nur getrübt durch die Tatsache, dass das Songmaterial einen Livekeyboarder vertragen könnte. Das allererste Lebenszeichen der Band, «Shadowminds», fehlt ebenso wenig und als The Halo Effect nach ungefähr fünfzig Minuten mit ihrem Auftritt zu Ende sind, nehmen sie sich viel Zeit für einen ausgiebigen Abschied von der jubelnden Menge.
Dirkschneider
Von dieser Menge hat ein grosser Teil anscheinend keine Hast, zum Auftritt von Dirkschneider rüberzuwechseln, denn als Udo mit seiner Band loslegt, sind die Reihen um uns herum gelichtet. Der ehemalige Accept-Sänger sorgt mit seinen Projekten immer wieder mal für Verwirrung. Mit U.D.O. als Bandname veröffentlicht und spielt er eigenes Material. Unter seinem eigenen, vollen Namen Udo Dirkschneider hat er vor drei Jahren ein Cover-Album herausgebracht, zudem ist er aktiv bei Dirkschneider & The Old Gang, die wiederum originäres Material herausbringen, aber nicht dieselbe Band sind wie eingangs erwähnte U.D.O. Zu guter Letzt – und damit schliesst sich der Kreis zum heutigen Auftritt – ist der Sänger immer wieder unter seinem Nachnamen Dirkschneider unterwegs, um Accept-Songs zum Besten zu geben. Verwirrt? Dann versucht, die Augen vom wunderschönen Sonnenuntergang neben der Bühne loszureissen, um das Backdrop zu beäugen oder einfach der Musik zu lauschen, die schaffen Klarheit. Angesagt ist nämlich das Album Balls to the Wall, dessen gleichnamiger Titeltrack uns Dirkschneider zur Begrüssung um die Ohren hauen. Noch sind Auftritt und Song schwerfällig, die Chose muss erst richtig in Gang kommen. Das ändert sich aber. «London Leatherboys» und «Fight It Back» machen klar, dass das Album chronologisch durchgespielt wird. Die Songs haben viel mehr Zug als der Opener und ziehen «Udo-Udo»-Sprechchöre nach sich.
Die druckvolle, kristallklare Abmischung trägt einen grossen Teil zum Genuss bei. Dazu kommt eine überaus sorgfältig programmierte Lichtshow, für welche diverse zusätzliche Beleuchtungselemente die Bühne zieren. Perfekt auf die Lieder abgestimmt und abwechslungsreich gestaltet untermalt sie den Auftritt der Truppe und bettet ihren Heavy Metal in eine passende Kulisse ein. Davor agieren die Musiker spiel- sowie bewegungsfreudig. Letzteres zumindest die Instrumentalfraktion, Udo selbst bildet altersbedingt eher einen ruhenden Pol. Das ist vermutlich den unterschiedlichen Generationen geschuldet, denen die beiden Bestandteile der Band angehören (der Drummer ist übrigens Udos Sohn). Dessen Anblick ist ungewohnt, passt aber zur altersübergreifenden Faszination des Heavy Metal. Der Musik tut nichts davon einen Abbruch, Dirkschneider rocken sich nach dem verhaltenen Start gekonnt durch ihr Set, locken einige weitere Zuschauer vor die Bühne und hängen am Schluss noch das albumfremde «Fast As A Shark» an, das neben «Turn Me On» zum musikalischen Highlight mutiert. Am Ende bleibe ich leicht überrascht zurück: Dass dieses Konzert derart gut wird, hätte ich während des ersten Songs echt nicht erwartet.
Eluveitie
Schlag auf Schlag geht es weiter, womit wir nun bereits bei Eluveitie ankommen. Acht Personen stehen bei den Folk Metallern auf der Bühne, zu sehen ist ungefähr die Hälfte davon, als «Helvetios» aus den Boxen dröhnt. Die Fans sind zahlreich erschienen, um das Material des neuen Albums Ànv zum ersten Mal in der Schweiz zu hören. Derart viele Leute waren bisher bei keiner anderen Gruppe angetreten am Rock the Lakes 2025. Vor uns hat sich eine Nebelwand ausgebreitet, die alle Bandmitglieder im Hintergrund einhüllt und in Kombination mit dem Scheinwerferlicht für die eine oder andere Silhouette in den vorderen Reihen sorgt. Tja, dann stellen wir uns halt einfach vor, wie beispielsweise Jonas Wolf an der Gitarre aussieht. Wenn wir schon beim Thema Licht sind: Die Lichtverhältnisse sind das genaue Gegenteil zur Show von Dirkschneider. Bei Eluveitie ist praktisch durchgehend das Stroboskop im Einsatz. Selbst bei ruhigen Stücken wie «A Rose For Epona» blitzt es von der Bühne, als gäbe es kein Morgen. Dass das entsprechende Effektgerät ungefähr auf der Höhe eines durchschnittlich grossen Zuschauers angebracht ist, erschwert einen entspannten Blick zur Bühne enorm. Auch der Schwierigkeitsgrad des Moshpits steigt stark unter diesen Bedingungen. Das hält das Publikum allerdings nicht davon ab, sich zu dutzenden ins Getümmel zu stürzen. Als Folge gesellt sich rasch eine Staubwolke als Dauergast zum Nebel auf der Bühne.
Dort oben spielen Eluveitie ein gut durchdachtes Set. Mit härteren Songs – einige davon wie «Tarvos» oder eben «Helvetios» aus früheren Schaffensphasen – kurbeln sie jeweils die Stimmung an, bevor ein Schwenk schliesslich die sanfteren Hits der Marke «L’appel des montagnes» und «Ambiramus» ins Licht rückt. Doch trotz des gut zusammengestellten Liedguts schafft es die Band leider nicht, einen konstanten Fluss in ihren Auftritt zu bringen. Immer wieder gibt es zwischen den Stücken kleine Unterbrüche, in denen die Band bloss ihre Instrumente stimmt (von denen einige, wie beispielsweise die Harfe, bedauerlicherweise kaum zu hören sind) oder sich neu positioniert anstelle mit dem Publikum zu sprechen. Wenn Chrigel Glanzmann oder Fabienne Erni sich dann an uns wenden, überzeugt vor allem letztere mit charismatischer Ausstrahlung. Chrigel wirkt authentisch, aber schlicht zu entspannt für die Entwicklung grossartiger Spannungsbögen. Am Ende, markiert durch den Klassiker «Inis Mona» im Funkenregen, hinterlässt das Konzert bei mir den Eindruck eines Auftritts, der das Potential gehabt hätte, über eine routinierte Show hinauszuwachsen, zu etwas richtig Speziellem zu werden. Immerhin war es die letzte Festivalshow des Sommers bei wunderschönem Wetter mit Songpremieren vor heimischem, begeisterungsfähigem Publikum. Geschafft hat es das mit seinem routinierten Ablauf aber leider nicht.
Feuerschwanz
Mittlerweile ist die Hitze des Tages einer milden Nacht gewichen. Die perfekte Ausgangslage also für Feuerschwanz und ihren partylastigen Folk Metal. Die Truppe aus unserem nördlichen Nachbarland hat einen langen Weg hinter sich seit ihren Anfangstagen als Klamaukmusiker auf Mittelalteranlässen. Die Position ganz oben auf den Line-ups aller möglichen Festivals hat sie sich beharrlich erarbeitet und nun steht sie hier am Rock the Lakes 2025 zur besten Zeit auf der Iceberg Stage. Unabhängig davon, dass mir nicht alles schmeckt, was aus Feuerschwanz‘ Küche kommt: Diese Leistung verdient meinen Respekt. Teil davon ist die Veränderung von den rockigen Anfängen zu härteren Klängen, die nie unglaubwürdig wirkte, obwohl sie ein Stück weit kalkuliert war. Die Band steht voll hinter ihrem Konzept und strahlt eine grosse Spielfreude aus. Besonders letzteres wird rasch ersichtlich. Wenn die Damen und Herren etwas können, dann für gute Stimmung zu sorgen. Gleich mit «SGFRD Dragonslayer» und «Memento Mori» holen sie die Menge ab. Es sind zwar etwas weniger Leute da als noch bei Eluveitie, die feiern aber umso ausgelassener. Beispielsweise mit einem Circlepit, der aus lauter Huckepack-Pärchen besteht. Gerade als ich an Eluveitie denke, sagt Ben Metzner – ah Moment, bei Feuerschwanz hiesse er ja eigentlich Prinz R. Hodenherz III – wie aufs Stichwort «Bastard von Asgard» an. Der Song enthält einen Gastpart von Fabienne Erni. Ob sie wohl Überstunden macht, um jetzt hinzuzustossen? Ja, tatsächlich! Als die ersten Töne erklingen, erscheint die Sängerin auf der Bühne und übernimmt, unterstützt vom Publikums-Chor, ihren Teil live. Sehr coole Aktion.
Nach diesen eher ernsten Songs, folgt langsam der Übergang zu den partyorientierteren Songs wie «Schubsetanz», «Kampfzwerg» oder «Knightclub». Doch plötzlich bricht die Musik ab, die Band hält inne. In der Menge gibt es Gemurmel, da bittet uns Sänger Peter Henrici alias Der Hauptmann, Ruhe zu bewahren. Jemand vor der Bühne sei zusammengebrochen, sie würden warten, bis die Person versorgt sei, und wir sollen doch bitte Platz für die Sanität machen. Respektvoll gehen die Leute auseinander. Alle warten ab, während ausserhalb unseres Blickfeldes irgendetwas geschieht. Der Hauptmann und Ben – die übrigens beide bereits den ganzen Abend zweisprachige Ansagen machen (deutsch und englisch) – überbrücken die Wartezeit mit weiteren Bitten um Gelassenheit und weisen darauf hin, dass sich die Helfer so viel Zeit nehmen sollen, wie notwendig ist. Trotz der blöden Situation für die Band, handhaben Feuerschwanz die Unterbrechung hochgradig professionell. Als nach einigen langen Minuten schliesslich die Entwarnung erfolgt, dass der Patient nun in sicheren Händen sei, und das Konzert weitergehen kann, kann das Sextett gleich nochmals überzeugen.
Mit einem Fingerschnippen bringt es die Stimmung wieder in Schwung. Trotz eines solchen Ereignisses derart nahtlos an den Konzertfluss anzuknüpfen, ist eine starke Leistung. Genauso wie es eine starke Leistung ist, in einem einzigen Song gleich zwei Wall of Deaths zu verursachen. In einer gerät übrigens eine Menschenpyramide zwischen die Fronten und fällt gnadenlos in sich zusammen. Verletzt wird zum Glück niemand, sodass wir über den Anblick unbeschwert schmunzeln können. Derweil heizen auf der Bühne die beiden Tänzerinnen, die fest zur Besetzung dazugehören, mit Flammenwerfer und Feuertonnen die Party weiter an. Bis es wieder etwas ernster wird. Ab Band hören wir die Stimme von Christopher Lee, als ein Sample von Sarumans Ansprache vor den Uruk-hai aus «Die zwei Türme» den nach diesen Wesen benannten Song einläutet. Damit haben sie mich natürlich. Gleich darauf kommt ein weiteres Sample zum Zuge. «They’re taking the hobbits to Isengard!» Wie bitte? Habe ich richtig gehört? Feuerschwanz verwenden tatsächlich dieses Internetphänomen aus den Nullerjahren zur Untermalung ihres Schlagzeugsolos. «Rohirrim» ist schliesslich der dritte im Bunde der Herr-der-Ringe-Songs und Ben leitet ihn ein mit einer überzeugenden Rezitation von König Théodens Rede vor der Schlacht auf den Pelennor-Feldern. Doch irgendwann geht jede Feier zu Ende. Als die Zeit gekommen ist, sich zu verabschieden, wählen Feuerschwanz ihre Coverversion von «Gangnam Style» als Outro. Das tut jetzt schon etwas weh (genauso wie «Dragostea Din Tei» zuvor im Set), doch es sei ihnen ob des headlinerwürdigen Auftritts verziehen.
Absolut Emmental
Bevor wir nun zum Abschluss des Abends kommen, steht noch eine Überraschung an. Die Setlist führt eine geheimnisvolle Band namens Absolut Emmental auf. Dank des gestrigen Interviews mit Mr. Rock the Lakes Daniel Botteron weiss ich bereits, was auf uns zukommt. Bei der ganzen Sache handelt es sich nämlich um einen Witz. Genauer gesagt um einen Aprilscherz, den Daniel gnadenlos durchzieht. Unterstützt von Mitgliedern seiner Crew steht er daher im Rockstar-Outfit auf der Bühne und spielt «Smoke On The Water» an. Nur ganz kurz, dann richtet er einen kurzen Dank an alle, um darauf den Platz wieder anderen zu überlassen. Eigentlich wäre die ganze Sache länger geplant gewesen, aber aufgrund der aktuellen Umstände hat sich Daniel entschieden, einem kleinen Tribut an den verstorbenen Ozzy Osbourne den Vorzug zu geben. So hören wir einen Song des Prince of Darkness ab Band, bis es schliesslich weiter geht mit der nächsten Band.
Zeal & Ardor
Zeal & Ardor übernehmen die Aufgabe, den Samstag des Rock the Lakes 2025 abzuschliessen. Die Basler haben sich mit ihrem letzten Album nochmals ein ganzes Stück weiterentwickelt. Soundmässig sind sie mittlerweile tief im Avantgarde Metal zuhause, ja haben einen ganz eigenen Stil entwickelt, der seinesgleichen sucht. Natürlich waren Zeal & Ardor nie Standardkost, doch die schwarzmetallischen Einflüsse haben sich nun in einem Cocktail verschiedenster Zutaten aufgelöst. Geblieben ist die intensive Darbietung auf der Bühne. Die Protagonisten leben ihre Musik mit jeder Faser des Körpers, sei es bei neuem Material wie «The Bird, The Lion And The Wildkin», Fanfavoriten der Marke «Death To The Holy» oder alten Hits wie «Devil Is Fine». Überrascht bin ich, dass «Götterdämmerung» sehr früh an der Reihe ist. Mit Sicherheit aber die richtige Entscheidung, um die Leute von Beginn weg zu begeistern. Die Reihen haben sich nämlich merklich gelichtet, was vermutlich auch mit der fortgeschrittenen Tageszeit zu tun hat.
Geblieben sind die Fans, die das Konzert begeistert bejubeln. Bandkopf Manuel Gagneux zeigt sich einmal mehr dankbar für den Zuspruch und bringt uns gleich mal zum Schmunzeln, als er von sich selbst behauptet, ein Feigling zu sein. Er wisse hier in der Region nie, ob er jetzt Deutsch oder Französisch sprechen soll, deshalb habe er sich für Englisch entschieden. Übel nimmt es ihm niemand, es hat ja schon beinahe Tradition am Rock the Lakes, dass die Künstlerinnen und Künstler von der Schweizer Sprachenvielfalt herausgefordert werden. Sie schütten in der Folge den Röstigraben einfach mit Burger zu. Fünfzig Minuten lang tosen Zeal & Ardor einem musikalischen Sturm gleich durch die Nacht, dann verklingt der letzte Ton und der Tag ist vorüber. Zufrieden laufen wir zu unserem Camp zurück, den Kopf voller Eindrücke, die es nun zu verarbeiten gilt.
Rock the Lakes 2025 – Tag 3 (Sonntag, 17. August)
Nach einigen Stunden erholsamen Schlafs, weckt uns die Sonne. Es ist merklich kühler heute, der dritte Tag des Rock the Lakes dürfte demnach weniger anstrengend werden. Unsere Gespräche beim Morgenessen drehen sich vor allem um den Spass bei Ensiferum, die übertroffenen Erwartungen bei Dirkschneider sowie den Aufstieg von Feuerschwanz zum Headliner. Bezüglich der Infrastruktur erfahren die stets sehr sauberen WCs mehrere Erwähnungen. Dafür gebührt der Putzequippe ein grosses Dankeschön. Generell fällt uns kaum etwas ein, das wir zu beanstanden hätten. Am ehesten noch die versteckten Stände neben der Valhallamand-Bar. Die sind so unscheinbar in der Ecke aufgestellt, dass ihr Vorhandensein gar nicht auffällt. Als Festivalbesucher ist das nicht schlimm, aber die Standbetreiber werden möglicherweise wenig Kundschaft haben. Insgesamt ist es erfreulich, wie die Kritikpunkte des letzten Jahres (beispielsweise die Anzahl Abfalleimer) angegangen und verbessert wurden. Das Organisationskomitee nimmt die Rückmeldungen der Gäste ernst – vorbildlich.
Voice of Ruin
Bei all dem Geplaudere müssen wir uns bald beeilen, die Konzerte beginnen heute nämlich bereits eine halbe Stunde früher um 12:30 Uhr. Voice of Ruin kümmern sich um den musikalischen Start, eine sichere Bank, wie ich aus meinen Begegnungen mit den Waadtländern in der Vergangenheit weiss. Das Quintett legt einen tadellosen Auftritt unter der Mittagssonne hin und wer auch immer hinter dem Mischpult sitzt, zeigt keine Müdigkeitserscheinungen, sondern verwöhnt uns erneut mit einer tollen Abmischung. Randy Schaller macht während der Ansagen seinen Job am Mikrofon souverän, er hat sich der Einfachheit halber für Französisch erschienen. Auf der Setliste tummeln sich alte Bekannte. «Rotting Crows» und «I Confess» zum Beispiel. Doch egal, welchen Song Voice of Ruin heute auspacken, er gelingt ihnen auf den Punkt. Bloss die Instrumentalfraktion steht gar statisch auf der Bühne. Etwas mehr Aktivität stünde dem Melodic Death Metal der Truppe gut zu Gesicht. Vielleicht brennt einfach die Sonne zu stark, im Publikum ist jedenfalls auch nicht mehr Bewegung auszumachen als da oben auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Wobei, der verdiente Applaus keineswegs ausbleibt. Den können sich Voice of Ruine nach einer halben Stunde und «Unforgiven Sins» abholen. Insgesamt verdient, möchte ich sagen.
April Art
Jetzt ist es als nächstes an April Art, die entspannte Stimmung weiter anzuheizen. Meine bisherigen Berührungspunkte mit der Band waren einzig Metalmitinsider Sandros Berichterstattung über sie (ihr findet eine Übersicht dazu hier) sowie einige Erzählungen von spassigen Auftritten. Als die Band die Bühne betritt, fallen sofort die farblich abgestimmten Outfits ins Auge. Wie heisst es bei Mani Matter? «So gseht me würklech schwarz, nid nume rot.» Stimmt bei April Art hinsichtlich des Outfits, wenngleich nur dort. Es sei denn, man kann mit Modern Metal nicht viel anfangen – in diesem Fall lässt man den Besuch eines April-Art-Konzerts tatsächlich besser bleiben. Ungeachtet der frühen Stunde ist sich die Truppe aus Deutschland nicht zu schade, das komplette Programm an Animationsmöglichkeiten auszupacken.
Es beginnt damit, dass wir jeweils applaudieren sollen, wenn Sängerin Lisa-Marie Watz einen Schluck trinkt. Es folgt die Aufforderung, in die Knie zu gehen und auf Kommando hochzuspringen. So weit so bekannt, genauso wie die Aufforderung zum Mitsingen bei «Jackhammer». Die aufblasbaren Bälle bei «Karma Is A Beach» (das ist kein Schreibfehler), welche zu dutzenden ins Publikum spediert werden, fallen schon eher aus dem Rahmen. Richtig speziell wirds dann, als Lisa-Marie ins Publikum herunterkommt, jemand Kräftigen sucht, sich von diesem Huckepack nehmen lässt und auf diese Weise im Moshpit ihre Gesangsaufgabe wahrnimmt. Das passt alles wunderbar zur fröhlichen Ausstrahlung des Vierergespanns. Beim Publikum kommen diese Aktionen gut an. Es sind aber spürbar weniger Leute hier als in den letzten zwei Tagen, vermutlich weil heute Sonntag ist. April Art lassen es sich darüber hinaus nicht nehmen, gleich ein Videoselfie statt eines simplen Bühnenfotos zu machen. Wohlgemerkt vor dem letzten Song. Das ermöglicht ihnen, nach «Not Sorry», bei dem sie sogar noch ganz kurz eine Hommage an «Master Of Puppets» einbauen, eine standesgemässe Verabschiedung ohne Unterbruch. Eine gute Idee Idee für alle, die nicht auf dieses Ritual verzichten können.
Burning Witches
April Art haben also gut vorgelegt für die nächste Gruppe. Bei dieser handelt es sich um Burning Witches. Die Heavy Metal-Formation, die ihre Wurzeln in der Schweiz hat, tritt heute in leicht veränderter Besetzung auf. Gitarristin Ramona Kalkuhl wird infolge familiärer Verpflichtungen vertreten von Simone van Straten. Simone macht ihren Job gewissenhaft, bleibt aber eher im Hintergrund. Stark ins Gewicht fällt das nicht, im Mittelpunkt steht sowieso für die meisten Laura Guldemond am Gesang. Dies ist zwar aktiv in ihrer Rolle, dafür zu Beginn schlecht hörbar. Da bekundet die Toncrew ausnahmsweise am Rock the Lakes 2025 mal Mühe mit einer ausgewogenen Abmischung. Hörbar oder nicht: Laura entscheidet sich bald schon mal dazu, ins Publikum hinabzusteigen und von dort aus weiterzusingen. Sie fühlt sich derart wohl hier unten bei uns, dass sie ganz verpasst, vor dem Ende des Stücks wieder auf die Bühne zurückkehren. Das führt zu einer kleinen Improvisation, was die Ansagen angeht, doch schliesslich ist sie wieder dort, wo sie hingehört, und die Show kann weitergehen. Der Funke mag allerdings nur bedingt überspringen, irgendwie verbleibt der Auftritt der Burning Witches über weite Strecken unspektakulär. Selbst ein starker Song wie «Hexenhammer» oder eine Melodiepackung à la «Unleash The Beast» schaffen es nicht, daran etwas zu ändern, und das restliche Liedgut bleibt hinter diesen zurück. So kann ich gut damit leben, als sich die Gruppe wieder verabschiedet und den Staffelstab an Dominum übergibt.
Dominum
Mit den vier Zombies hatte ich bisher noch nicht das Vergnügen. Aufgrund verschiedener Berichte meiner Metalmitinsider weiss ich immerhin, dass die Nürnberger sich das Thema Untote für ihre Mischung aus Power Metal und Hardrock ausgesucht haben. Mit farblich passenden Podesten sowie zwei grossen Bannern, gehören sie zu den wenigen Bands, die ein wenig Dekorationsmaterial mitgebracht haben, Kostüme inklusive. Was Dominum ebenfalls mitgebracht haben, sind Samples. Leider werden diese von den live gespielten Instrumenten fast komplett überdeckt. Das ist beispielsweise bei «Frankenstein» und «Don’t Get Bitten By The Wrong Ones» schade, da das Keyboard in diesen Songs einen wichtigen Beitrag zum Gesamtwerk leistet. «The Dead Don’t Die» hingegen funktioniert auch in dieser reduzierten Fassung.
Dass das Quartett darüber hinaus ein Coversong im Gepäck hat, hätte ich nicht erwartet. Es ist «Rock You Like A Hurricane», im Original von den Scorpions, hier in einer basslastigen partytauglichen Fassung. Ohne Probleme fügt sich der Klassiker in die restliche Setlist ein und reiht sich in Dominums eigenes Material ein, ohne aus der Reihe zu tanzen. Genau das macht doch ein gutes Cover aus. Die Kompositionen aus dem eigenen Haus müssen sich aber nicht verstecken. Besonders «Immortalis Dominum» verfügt über die Fähigkeit, nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben. Damit eignet es sich perfekt als Abschluss, wenngleich dies bedeutet, dass die Truppe sich bereits wieder verabschiedet. Das tut sie mit einer ausführlichen Vorstellung aller Bandmitglieder und anschliessender Verbeug0ung vor den Fans – so theatralisch wie genau aus diesem Grund passend für das ganze Konzept. Da spenden wir gerne Applaus.
Bevor es nun musikalisch weitergeht, steht bei uns zuerst eine Stärkung auf dem Plan. Das Food-Village hält nach wie vor diverse Stände bereit, die wir noch nicht genauer inspiziert haben. Alle finden etwas, das ihnen zusagt, so dass wir schliesslich ausgeruht für Beyond the Black antreten können.
Beyond the Black
Die Truppe um Mastermind Jenifer Haben hat mich beim letzten (und ersten) Mal nicht zu hundert Prozent mitreissen können. Dementsprechend gelassen sehe ich dem Auftritt entgegen. Damals haben Beyond the Black auf Kostümwechsel, Lichteffekte, zusätzliche Trommeln und ähnliche Dinge gesetzt zur Untermalung ihres Auftritts. Heute haben sie neben ihrem Backdrop bloss drei Videoleinwände im Gepäck. Das reicht aber vollkommen. Diese reduzierte und damit irgendwie nahbare Art steht der Symphonic Metal-Band hervorragend. Zumal die Leinwände nicht einfach irgendwelche bunten Lichter anzeigen, sondern stimmungsvolle animierte Bilder. Bei «Heart Of The Hurricane» blitzt es beispielsweise aus dunklen Wolken, «Break The Silence» wird von einem neu aufbereiteten Zusammenschnitt des dazugehörigen Videoclips begleitet und «Hallelujah» bietet eine Reise durch einen Sternentunnel an. Gerade beim letzteren kann die digitale Kulisse richtig glänzen, als die beiden Gitarristen Chris Hermsdörfer und Tobi Lodes von unserem Standort in der Mitte aus gesehen während des Solos direkt vor dem Zentrum des Lichtwirbels zu stehen kommen und dergestalt ein richtig cooles Bild abgeben. Dabei übertrifft ihre Bühnenpräsenz genauso wie die der restlichen Band meine Erinnerung um einiges. Das zeigt sich auch in den Ansagen, die Jennifer souverän handhabt, während sie durch ein Set mit einem gelungenen musikalischen Spannungsbogen führt. Jetzt fehlt zum umfassenden Glück eigentlich nur noch ein Keyboarder, damit die häufigen orchestralen Elemente nicht mehr vom Band kommen müssen. Aber ungeachtet davon empfehlen sich Beyond the Black in dieser Verfassung für einen (weiteren) Konzertbesuch.
Danko Jones
Atmosphärisch das pure Gegenteil erwartet uns jetzt auf der Casino Neuchâtel Stage. Danko Jones steht mit seinem Trio für schnörkellosen Rock, manchmal in Richtung Hard, manchmal in Richtung Roll. Bühnendeko haben die drei Kanadier gleich mal gar keine mitgebracht, nicht einmal ein Banner. Dass dies nicht so geplant war, erfahren wir umgehend. Die Band war heute Morgen noch in Norwegen, es gab Probleme mit dem Flug und jetzt stehen sie ohne Ausrüstung da. Die Crew des Rock the Lakes hat sich aber dafür eingesetzt, dass der Auftritt dennoch stattfinden kann. Dank der gemeinsamen Anstrengung können Danko Jones jetzt mit geliehenen Instrumenten und Verstärkern bei dennoch perfekter Soundqualität auf der Bühne stehen, um uns in Liedform aufzufordern: «Guess Who’s Back». Sie seien aufgrund der Umstände nervös, lässt uns Danko wissen, und obwohl sie in den letzten Wochen so einige Shows gespielt hätten, sei die heutige das Highlight – einfach, weil sie doch noch zustande kam. Der Sänger ist wieder einmal eine richtige Rampensau. Entweder ist er total spontan in seinen Ansagen oder verfügt über dieselbe Fähigkeit wie Johan Hegg von Amon Amarth, Einstudiertes ungeplant wirken zu lassen.
Egal, was davon zutrifft, die Wirkung ist dieselbe: Lässige Sprüche, die für fröhliche Stimmung sorgen. Beispielsweise als er uns erzählt, seine Mutter nutze mittlerweile auch E-Mail und er wolle ihr deshalb ein Video schicken. Nach der erfolgreichen Aufnahme weist er den Kameramann aber darauf hin, nur den soeben gefilmten Teil für seine Mutter zu verwenden, denn der jetzt gleich folgende Song handle von Sex, das könne er ihr nicht zumuten. Später zieht John Calabrese am Bass eine La-Ola-Welle an, was Danko verblüfft zur Kenntnis nimmt sowie dazu verleitet, selbst eine anzuziehen. Begeistert von der Reaktion wiederholt er das Ganze zweimal, nur um anschliessend John zu schelten: «Why didn’t you show me that thing earlier? We could have done just that for fourty minutes.» Es sind diese Momente, in denen die drei Kanadier tonnenweise Sympathiepunkte sammeln. Am Ende bringt es von allen Stücken der Song «Good Time» vom ganzen Publikum mitgegröhlt am besten auf den Punkt: «I came here to fuck shit up and have a good time!» Mission erfolgreich, lieber Danko, Mission erfolgreich.
While She Sleeps
Gleich nebenan haben sich in der Zwischenzeit While She Sleeps eingerichtet. Metalcore steht auf dem Programm, eingängig komponiert und mit vielen poppigen Aspekten durchsetzt. Vor der Bühne rennen die Jungs aus Sheffield damit voller Wucht offene Türen ein. Bereits bei «Civil Isolation» geht die Menge ab. Die Band saugt diese Energie auf und wandelt sie um in einen Auftritt, der vor Engagement nur so sprüht. Logisch erzeugt das eine Wechselwirkung, das Publikum feiert umso mehr im Licht der langsam, aber sicher dem Horizont entgegenwandernden Sonne. «Das will ich mir mal genauer ansehen», muss sich Leadgitarrist Sean Long gedacht haben, denn plötzlich ist er im Publikum anzutreffen. Das scheint Schule zu machen, While She Sleeps sind heute bereits die dritte Band, die diese Praktik anwenden. Sympathisch ist es natürlich unabhängig davon immer wieder. Ebenfalls sympathisch sind die Ansagen von Loz Taylor. Er bedankt sich immer wieder für unser Erscheinen und die Aktivität vor der Bühne. Selber ist er nicht minder aktiv, springt und rennt umher, bis er während «Four Walls» von der Bühne verschwindet.
Kurze Zeit später taucht er zu unseren Linken wieder auf. Dort steht die VIP-Tribüne, deren Dach ungefähr sechs Meter über Bodenniveau Schatten spendet. Auf ebendieses Dach ist Loz geklettert und winkt die Leute zu sich heran. Er wird doch nicht…? Tatsächlich! Nachdem sich genügend Leute vor ihm versammelt haben, wirft er erst jemandem sein Mikrofon zu, um sich danach selbst rund vier Meter in die Tiefe zu stürzen, wo er von den Fans sicher aufgefangen wird. Auf Händen getragen krault er rückwärts zurück zur Bühne, während wir uns leicht ungläubig anschauen. Sowas sieht man nicht alle Tage, der Typ gibt echt alles für eine gute Show. Da wirkt das altbekannte Hinknien-Springen gleich völlig fad, obwohl die Leute bis fast zur Iceberg Bar hinten mitmachen. Unter diesen Voraussetzungen verwundert es niemanden, dass While She Sleeps nach etwas weniger als einer Stunde die Bühne unter frenetischem Jubel verlassen können. Einzig der abrupte Abgang ohne grossen Abschied ist ein kleiner Wehrmutstropfen zum Schluss.
Wir gönnen uns an dieser Stelle nochmals eine Pause, bevor dann der letzte Programmpunkt des Abends angesagt ist. Der Blick über das Festivalgelände bestätigt, dass gestern und vorgestern mehr Leute da waren. Wobei jetzt auf den Abend hin ist die Zuschauermenge schon angewachsen, weshalb wir uns bald einmal aufmachen, um uns gute Plätze für Dimmu Borgir zu sichern.
Dimmu Borgir
Und damit ist es so weit: Die letzte Band des Rock the Lakes 2025 steht uns bevor und das Bookingteam hat dafür nochmals alle Register gezogen. Dimmu Borgir gehören zu den Grossen innerhalb des Symphonic Black Metal, zugegeben nicht unumstritten – zumindest was die Genretreue betrifft. Bezüglich der Bekanntheit herrscht vermutlich Einigkeit. Den Headlinerstatus untermauert neben dem grossen Publikumsaufmarsch die Burgkulisse, welche das Sextett um sich herum hat. Bisher hatten einzig Heilung ähnlich viel Material auf der Bühne platziert. Dazu kommt Feuer in verschiedenen Formen. Mal sind es Flammenwerfer am Bühnenrand, dann wieder Fackeln als Teil der Dekoration. Abgerundet wird die ganze Show von einer coolen Beleuchtung, die die Songs zusätzlich zur wunderschönen Abenddämmerung mit unterschiedlichen visuellen Stimmungen unterstreicht. Und eine Show ist es, was Dimmu Borgir aufführen. Die Gesten gross, die Produktion auf Hochglanz getrimmt, das Songmaterial zugänglich zusammengestellt. Wer ein bitterböses Black Metal-Konzert, roh und düster, erwartet hat, wird gerade schwer enttäuscht.
Das dürften aber nur die wenigsten gewesen sein. Lässt man derartige Erwartungen aussen vor, bieten die Norweger grundsätzlich einiges für Ohr und Auge. Frontmann Shagrath wirkt zu Beginn allerdings routiniert, ja fast schon steif, ohne sich über die einstudierte Darbietung erheben zu können. Mit der Zeit ändert sich das aber, was sich unter anderem in vermehrten Dankesworten zeigt. Musikalisch scheuen Dimmu Borgir nicht davor zurück, neben neuem Material wie «Interdimensional Summit» ältere Sachen auszupacken. Namentlich «In Death’s Embrace» und «Mourning Palace», beide von Enthrone Darkness Triumphant und Höhepunkte im Set, stossen auf grossen Zuspruch bei den Zuschauern, indem sie eine andere Facette der Band zeigen als beispielsweise «Progenies Of The Great Apocalypse». Ganze siebzig Minuten stehen Dimmu Borgir zur Verfügung, um uns ihr Schaffen zu präsentieren. Am Ende nimmt sich die Truppe gar fünf Minuten mehr heraus, dann verabschiedet sie sich unaufgeregt und lässt Stille zurück. Im Schein der langsam weniger werdenden Lichter verlassen wir das Infield in Richtung Camperbereich, wo eine Runde Schlaf auf uns wartet.
Das Fanzit – Rock the Lakes 2025
Der nächste Morgen und mit ihm der Abschied naht unerbittlich. Das Rock the Lakes 2025 ist bereits wieder Geschichte. Uns bleibt ein letztes Morgenessen mit Seeblick, während dem wir nochmals Rückschau halten können. Dominum und Danko Jones sind in unserer Gruppe gestern am besten angekommen. Gerade letztere stehen zudem mit ihrer Show ohne jegliche Dekoelemente sinnbildlich für den Fokus auf die Musik, der hier am Rock the Lakes den Ton angibt. Aufgefallen ist mir zudem, dass Menschenpyramiden zum neuen Trend zu werden scheinen. Vielleicht war es aber auch nur eine einzige grosse Gruppe Fans, die das einfach bei jeder Band gemacht hat. Dann sind langsam, aber sicher alle Resten aufgegessen – die Heimfahrt ruft. Was bleibt, sind viele schöne Erinnerungen an ein gelungenes Festivalwochenende und die Aussicht auf eine weitere Ausgabe vom 14. bis 16. August 2026.
