Trivium What The Dead Men Say (CD Cover Artwork)
Mi, 13. Mai 2020

Trivium – Interview mit Paolo Gregoletto

Metalcore, Progressive Metal, Thrash Metal
01.06.2020
Trivium What The Dead Men Say (CD Cover Artwork)

Brennende Blumen

Trivium zählen nicht erst seit der Veröffentlichung ihres nunmehr neunten Longplayers zu den Schwergewichten im Metal-Universum. Das unlängst veröffentlichte „What The Dead Men Say“ weiss durch gewohnt harten, aber dennoch melodiösen Sound, abwechslungsreiches Songwriting, tolle Riffs, fette Basslines sowie einer extrem satten Arbeit an der Schiessbude zu gefallen. Die besten Vorzeichen also, um mit ausgiebigen Tourneeaktivitäten die Hallen dieser Welt im Sturm zu erobern.

Gäbe es da nicht dieses kleine aber überaus aufsässige Corona-Virus, welches nicht nur den aus Florida stammenden Trivia (Pluralform zu Trivium; der Begriff steht übrigens im Mittellatein für die drei sprachlich-literarischen Fächer der sieben freien Künste: Grammatik, Dialektik und Logik, Rhetorik), sondern der gesamten Musikindustrie schwerstens zusetzt. Also brav zu Hause sitzen, statt im gleissend hellen Scheinwerferlicht abzurocken.

Immer nur Däumchen drehen, wird für Paolo Gregoletto, Bassist bei der in Orlando, Florida beheimateten Metal-Band, auf die Dauer dann eben doch langweilig – weswegen wir ihn, für einmal in schriftlicher Form, zur aktuellen Situation, ihren Plänen sowie natürlich zu ihrem neuen Album befragt haben.

Metalinside (Sandro): Paolo, vorab herzlichen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, meine Fragen auf diesem Weg zu beantworten. Wie gehst du persönlich mit der aktuellen Krise um? Wie verbringst du deine Tage?

Paolo Gregoletto: Mit meiner Freundin zusammen habe ich eine gute Routine entwickelt: Ich kümmere mich um unsere Hunde, mache Heimtraining, beantworte Presseanfragen wie jetzt gerade… Dann gebe ich noch Bass-Lektionen und game online mit meinen Freunden. Ich habe Glück, das alles von zu Hause aus machen zu können und gesund zu sein.

MI: Habt ihr im Vorfeld je darüber nachgedacht, die Veröffentlichung des neuen Albums wegen Corona zu verschieben, um es danach dann umso intensiver promoten zu können?

Paolo: Nein, das stand nie zur Diskussion. Wir wollten „What The Dead Men Say“ veröffentlichen, selbst wenn das bedeutet hätte, dass wir keine physischen Exemplare davon hätten verschicken können – was aber glücklicherweise doch geklappt hat, zumindest für die Fans, die das Album vorbestellt hatten. Wir wollten die Leute mit neuer Musik etwas aufmuntern und auf diese Weise dazu beitragen, dass es in dieser schwierigen Zeit zur Abwechslung auch mal positive Neuigkeiten gibt.

MI: „What The Dead Men Say“ kommt mir irgendwie wie ein Best-Of eurer bisherigen Alben vor – als hättet ihr jeweils die besten Ansätze daraus extrahiert und alles zum bisher tollsten Longplayer eurer doch schon seit 1999 andauernden Bandgeschichte geformt. Seid ihr mit diesem Ansatz ans Songwriting heran gegangen, oder hat sich das alles einfach so ergeben?

Paolo: Dein Eindruck deckt sich mit vielen Feedbacks, welche wir erhalten haben, und uns natürlich sehr freut. Als wir unsere Arbeit am neuen Album aufgenommen haben, haben wir uns stark darauf fokussiert, tolle Riffs und Melodielinien zu entwerfen, diese praxistauglich auszuarbeiten und dann diese ganze Energie, die sich in diesem Prozess aufgebaut hatte, auch mit ins Studio zu nehmen. Wir verfolgten aber nie einen Plan, etwas aus früheren Alben übernehmen oder auch anpassen zu wollen. Ich denke, das ist einfach etwas, das sich im Jam-Raum so ergeben hat.

MI: WTDMS wurde in gerade mal 16 Tagen aufgenommen. Darf ich daraus schliessen, dass ihr alles soweit vorbereitet hattet, so dass ihr nur noch ins Studio gehen und die Stücke aufnehmen musstet?

Paolo: Wir haben etwa doppelt so viel geschrieben und geprobt. Wir gehen stets mit dem Anspruch an uns selbst ins Studio, das Ganze auch wirklich zusammen als Band einspielen zu können, wenn es denn nötig wäre, und nicht jeder für sich. Dadurch wissen wir schon sehr gut, wie das Endergebnis klingen soll. Ich denke, dass wir für die komplette Aufnahme rund 20 Tage benötigt haben, wenn man die Schlagzeugsession in LA noch dazu rechnet.

MI: Welches ist dein Lieblingstrack auf „What The Dead Men Say“, und wieso?

Paolo: Das ist für mich sehr schwierig zu beantworten, aber wenn ich einen Song herauspicken müsste, dann wäre wohl „Catastrophist“ mein persönlicher Favorit. Ich habe damals das Demo mitgebracht, und ich finde es einfach erstaunlich, wie jeder aus der Band noch seine eigenen Einflüsse beigesteuert und so geholfen hat, ihn zu einem wirklich grossartigen Track zu formen. Es ist aber wirklich schwierig, mich jetzt auf nur ein Lied festzulegen. Um ehrlich zu sein, das ändert sich fast schon täglich.

MI: Die Songs auf „What The Dead Men Say“ sind sehr komplex, voller Variationen, sogar in sich selbst. Man kann Melodic Death Metal in Kombination mit Hardcore und anderen Stilen heraushören. Wie schaffen ihr es, so vielfältig, so variantenreich zu klingen?

Paolo: Wir bringen alle so viele unterschiedliche Einflüsse mit, dass es für uns fast schon unmöglich ist, Dinge nicht miteinander zu vermischen, die unterschiedlich und einzigartig sind. Ich denke, das ist gerade auch etwas, das unseren Sound ausmacht. Wir nehmen einfach alles, was wir mögen und schmeissen es in den Mixer.

MI: Die Musik von Trivium klingt für mich ziemlich aggressiv und wütend. Spiegelt dies euren Gemütszustand wider oder was ist der Grund dafür?

Paolo: Es gibt viele Dinge auf dieser Welt, über die man sich ärgern kann (Originalwortlaut: „to be pissed off“), so dass es uns sicher nie an Inputs mangeln wird. Ich bin dankbar und glücklich, dieses aussergewöhnliche Leben führen zu dürfen, aber es gibt viel Ungerechtigkeit und Böses in der Welt da draussen, von dem man die Augen nicht verschliessen kann. Und darüber zu schreiben, liefert nicht nur grossartige Songtexte, sondern wirkt auf uns auch wie eine Art Katharsis (Läuterung, Reinigung der Seele).

MI: Wieso habt ihr gerade „Catastrophist“ als erste Singleauskopplung gewählt? Wieso nicht zum Beispiel „Bleed Into Me“, das aufgrund seiner etwas „sanfteren“ Gangart möglicherweise mehr Airplay erhalten hätte?

Paolo: Es war uns wichtig, dass die Leute eine bessere Vorstellung davon erhalten, wie die Stimmung des neuen Albums sein würde, und hielten „Catastrophist“ dementsprechend für die bessere Wahl. „Bleed Into Me“ ist jetzt als Single in Amerika veröffentlicht und wird auch im Radio gespielt, von dem her ist es jetzt an der Zeit für uns zu glänzen.

MI: Auf „What The Dead Men Say“ ist der Bass sehr dominant. Ich habe noch selten eine Bassline gehört, die so klar und prägnant ist wie auf „Bleed Into Me“. Wie hast du euren Produzenten Josh Wilbur dazu gebracht, deinem Instrument so viel Raum zu geben?

Paolo: Josh ist ein unglaublicher Ingenieur und Mixer – und zu alledem obendrauf ein grossartiger Produzent.  Wir haben mein Live-Equipment benutzt – meine Kemper Amp, meine Warwick und mein EBS-Kompressorpedal. Beim Abmischen fügte er mit einem Fafner noch etwas Extratiefe hinzu. Ich denke, Einfachheit und die Ausführung waren hier der Schlüssel zum Erfolg.

MI: Trivium hatte in der Vergangenheit einen regen Wechsel an Schlagzeugern. Denkt ihr, dass ihr mit Alex Bent, der nun schon auf dem zweiten Studioalbum hintereinander für euch trommelt, das fehlender Puzzleteil gefunden habt?

Paolo: Alex war genau der Schlagzeuger, den wir gebraucht haben, und der eine Menge Energie und Dynamik in unseren Sound zurückgebracht hat. Ich denke, wir feuern wieder aus allen Rohren.

MI: Warum genau geht es im Song „Catastrophist“?

Paolo: Ich habe ein Buch mit dem Titel „Die unbewohnbare Erde“ (von David Wallace-Wells und Elisabeth Schmalen) gelesen, in dem mögliche Szenarien dargelegt werden, wie sich die Welt verändern wird, je nachdem, ob die Klimakatastrophe bewältigt wird oder nicht. Es hat mich dazu gebracht darüber nachzudenken, wie viele Entscheidungen bereits getroffen waren, lange bevor einer von uns überhaupt mitreden konnte, was wie passieren soll, und dass das, was wir jetzt tun, unser aller Handeln, sich auf diejenigen auswirken wird, die noch gar nicht geboren sind. In diesem Zusammenhang bin ich auch auf Artikel von Naomi Klein, einer kanadischen Journalistin und Globalisierungskritikerin, gestossen. Sie schrieb u.a. das Buch „Die Schock-Strategie“ (im Englischen „The Shock Doctrine“), in welchem sie über den Katastrophen-Kapitalismus spricht, darüber, wie Tragödien – nehmen wir als Beispiel einen Hurrikan oder wie jetzt eine Pandemie – sehr lukrativ für diejenigen sind, die über die Ressourcen und die Macht verfügen,  um diese zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Das passiert immer und immer wieder, und ich denke, gerade deshalb sind die Leute von diesem Liedtext wohl sehr angetan. Er basiert auf der Realität, der Art und Weise, wie die Welt aufgebaut ist und wie sie heute funktioniert.

MI: Gibt es noch andere Songtexte, die aus deiner Sicht einer Erklärung bedürfen?

Paolo: Ich denke, die meisten Texte sind ziemlich selbsterklärend. Einige Lieder sollten bewusst offen für Interpretationen sein, so dass der Zuhörer darüber nachdenken und seine eigene Bedeutung darin finden kann.

MI: Was stellt das Albumcover von „What The Dead Men Say“ dar? Ist das eine Art brennendes Herz?

Paolo: Es ist eine verbrannte oder brennende Blume.  Wir finden das Bild auch deshalb so spannend, da man nicht sagen kann, ob das Feuer gerade erst beginnt oder schon erloschen ist.

MI: Trivium zählen nicht unbedingt zu den Bands, welche Facebook oder Instagram extensiv nutzen. Wie stehst du persönlich zu Sozialen Medien?

Paolo: Ich denke, Facebook ist ein ziemlich übles Unternehmen, und sie haben sich bereits tief in das Gefüge unserer modernen Welt eingegraben, so dass es sicher nicht einfach sein wird, dies wieder zu ändern. Hoffentlich werden sie eines Tages in mehrere Firmen aufgespalten, wenn wir denn irgendwann in der Zukunft auch den politischen Willen haben werden, dies zu tun.

MI: Wie ich auf eurer Homepage gesehen habe, plant ihr, eure US-Tour am 12. Juni in Bristow, Virginia zu starten. Wie schätzt du aktuell die Chancen dazu ein?

Paolo: Es ist eher zweifelhaft, dass das klappen wird. Aber ein offizielles Statement kann ich noch nicht abgeben.

MI: Habt ihr vor, mit „What The Dead Men Say“ im Gepäck auch Europa und – für unsere Leser besonders interessant – auch mit Trivium die Schweiz zu beehren?

Paolo: Wir planen, 2021 zu euch zu kommen, wenn alles gut geht. Wir spielen sehr gerne in Europa und würden auch die Schweiz nie auslassen!

MI: Wie bereits eingangs angesprochen, ist das Thema Corona noch immer allgegenwärtig. Wie stark betrifft diese Krise euch als Band? 

Paolo: Wir arbeiten derzeit an einem Plan B, weil es keine Garantie dafür gibt, dass Tourneen in unmittelbarer Zukunft wieder möglich sein werden. Genaueres kann ich dazu noch nicht sagen. Aber wir sind zum Glück alle gesund und in der Lage, Musik sowohl zu schreiben als auch zu machen, während wir darauf warten, zu einer Art Normalität zurückkehren zu können.

MI: Was interessiert dich nebst der Musik, nebst Trivium? Hast du irgendwelche Hobbys?

Paolo: Ich habe mir vom Kurzem eine Xbox gekauft, mit der ich mir nun gerne die Zeit vertreibe. Aber die Musik ist nun mal die zentrale Antriebsfeder in meinem Leben, daher ist es schwierig, nebenher noch weitere Interessen zu pflegen. Was ich für mich herausgefunden habe: Es macht wirklich Spass, auch online zu unterrichten.

MI: Kannst du dich noch an deine erste selbst gekaufte Scheibe erinnern?

Paolo: No Doubt – Tragic Kingdom

MI: Liest du gerne, und wenn ja, was?

Paolo: Ich lese sehr gerne, und einer meiner Lieblingsautoren ist Philip K. Dick. Unser neues Album ist übrigens nach einer seiner Kurzgeschichten benannt.  Sci-Fi war schon immer ein unterhaltsames Genre, mit dem ich mich intensiv auseinandersetze.  Die Geschichten von PKD sind in ihrer Art sehr philosophisch, ich finde sie sehr spannend und inspirierend.

MI: Abschliessend: Man sagt, dass jeder Erfolg seinen Preis hat. Was ist das Kostbarste, das du für deine Karriere als Musiker opfern musstest?

Paolo: Zeit, die ich nicht mit meiner Familie und meinen Freunden verbringen kann. Handkehrum ermöglicht es unser Erfolg, weniger häufig als noch zu Beginn auf Tour zu gehen, als wir gefühlt ein Jahr am Stück nahezu ununterbrochen unterwegs waren. Von daher bin ich sehr froh, dass wir dieses Opfer zu Beginn unserer Karriere gebracht und nun eine gesunde Work-Life-Balance gefunden haben, und unser Leben geniessen können.

Abschliessende Anmerkung meinerseits: Schriftliche Interviews haben ihre eigenen Gesetze. So sind Rückfragen zu gewissen Themen leider nicht möglich – etwas, das wir aber gerne nachholen werden, sobald Trivium nach hoffentlich bald überstandener Krise endlich wieder die Bühnen zum Erzittern bringen werden.

 

Video Trivium – Catastrophist

01.06.2020
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