Lacuna Coil (Promo)
Mi, 27. August 2025

Lacuna Coil – Interview mit Andrea Ferro

Alternative Metal, Gothic Metal
19.09.2025
Lacuna Coil (Promo)

Im Reich der Schlaflosigkeit

Die italienischen Metal-Ikonen Lacuna Coil sind zurück! Im Interview spricht Gründungsmitglied Andrea Ferro über das neue Album „Sleepless Empire“, die Gefahren der überdigitalisierten Welt, was die Fans auf der kommenden Tour erwartet – und welches italienische Gericht Lacuna Coil denn in seinen Augen wäre.

Dass Lacuna Coil zu den beständigsten und dennoch wandlungsfähigsten Bands im Metal gehören, ist längst bekannt. Mit „Sleepless Empire“ tauchen die Mailänder in die Schatten einer von Social Media getriebenen, schlaflosen Realität ein. Doch welche Klassiker finden den Weg in die Setlist? Welche Songs würde Andrea am liebsten ausmustern? Warum werden Lacuna Coil von Album zu Album härter? Und wie gelingt es der Band, nicht selbst in der digitalen Dauerschleife hängen zu bleiben?

Mit diesen Fragen im Gepäck traf ich Andrea Ferro online via Zoom – und erhielt einen intensiven Einblick in die Welt der Südländer.

Metalinside (Sandro): Hi Andrea. Vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst! Wie geht es dir?

Andrea Ferro: Mir geht es gut, danke. Ich bin gerade aus den Ferien in Süditalien zurück, wo ich mit meiner Frau ein paar Tage am Meer verbracht habe. Morgen fliegen wir nach Bukarest für einen Festivalauftritt beim Posada Rock. Am Samstag kommen wir wieder zurück.

MI: Und aktuell bist du also mit Promo-Arbeit beschäftigt?

Andrea: Ja, ein wenig. Danach habe ich ein paar Wochen frei – vielleicht für einen Trip in die USA. Danach spielt die Band bei einem Festival in Istanbul, dann beim Aftershock Festival in Kalifornien. Kurz später startet in Europa unsere grosse Tour – darunter auch zwei nach langer Zeit überfällige Konzerte in der Schweiz: am 24. Oktober in Lausanne (Les Docks) und am 25. Oktober im Dynamo Zürich.

MI: Mein Eindruck ist, dass ihr mit jedem Album härter werdet. Siehst du das auch so?

Andrea: Ja, ich denke, diese Phase begann mit „Delirium“. Nach dem Besetzungswechsel fühlten wir uns – Marco, Cristina und ich – freier, Neues auszuprobieren. Wir haben nie gern dieselbe Formel wiederholt, sondern wollten variieren: mal mehr Härte, mal mehr Melodie. Mit den neuen Musikern verstärkte sich die Härte, besonders weil Marco als Hauptsongwriter Lust hatte, diesen Weg einzuschlagen.

Und es ist auch ein Trend: Slaughter To Prevail, Lorna Shore, Spiritbox, Jinjer – harte Musik ist heute sehr gefragt. Wir sind mit Meshuggah, Pantera, Metallica oder Fear Factory aufgewachsen, diese Einflüsse finden ihren Weg. Aber: Cristinas melodischer Gesang sorgt immer für die Balance. „I Wish You Were Dead“ zeigt, dass auch Eingängigkeit dazugehört. Mit „Sleepless Empire“ haben wir aus meiner Sicht eine gute Mitte gefunden.

Digitale Rastlosigkeit

MI: „Sleepless Empire“ spiegelt inhaltlich eine Welt wider, in der wir ständig online sind und nie wirklich zur Ruhe kommen. Gab es beim Songwriting Momente, in denen ihr selbst in diese digitale Unruhe geraten seid? Und wie schützt ihr euch persönlich vor diesem „Empire of Insomnia“?

Andrea: Wir stecken alle in dieser Falle – nicht nur die Gesellschaft, sondern auch wir selbst. Selbst meine Eltern sind dauernd am Handy. Wer nachts wachliegt, greift sofort zum Telefon, um zu prüfen, ob jemand den letzten Post geliked hat. Das ist unsere Realität. Wir versuchen wenigstens, beim Abendessen die Handys wegzulegen. Klappt mal besser, mal schlechter. Ich selbst lasse das Handy im Fitnessstudio in der Kabine, um mich aufs Training zu konzentrieren.

Aber es ist schwierig, denn Social Media zwingt uns in ein Tempo, das ungesund ist. Junge Leute haben es noch schwerer, weil sie nichts anderes kennen. Wir Älteren haben wenigstens Erfahrung mit einer Kindheit ohne Internet – das gibt uns eine wertvolle Perspektive. Viele versuchen inzwischen, ihren Konsum einzuschränken. Doch die Pandemie hat das damals nochmals verstärkt: Wir waren alle gezwungen, noch mehr im Netz zu sein. Twitch & Co. haben davon profitiert. Ich hoffe, dass wir jetzt zurück ins echte Leben finden – ganz sicher bin ich mir da aber nicht.

MI: Wenn „Sleepless Empire“ auf der Kinoleinwand erstrahlen würde – wie würde das Drehbuch aussehen?

Andrea: Wahrscheinlich wie „Matrix“ oder „Inception“: eine Geschichte, die Realität und Wahrnehmung hinterfragt. Es ist kein Konzeptalbum, aber alle Songs tragen ein gemeinsames Thema. Online inszenieren viele eine perfekte Fassade – dabei ist das Leben voller Fehler, Langeweile, Stress. Dieses unrealistische Ideal setzt gerade junge Leute enorm unter Druck. Niemand ist perfekt – doch die Gesellschaft vermittelt das Gegenteil.

MI: Apropos Film – wenn du die Möglichkeit hättest, in der Neuverfilmung eines berühmten Films mitzuspielen: Welcher Film und welche Rolle wären es?

Andrea: [lacht] Vielleicht in einem Vampirfilm – oder gleich in einer Vampir-Komödie. Beim Videodreh hat man mir schon gesagt, ich hätte eine gute Mimik. Schauspiel ist aber mehr als das. Trotzdem: Das wäre bestimmt witzig. Die ganze Band hat schwarzen Humor, wir machen ständig dumme, sarkastische Witze – intern jedenfalls. Online oder gegenüber Fremden würden wir das aber nie tun.

Tour, Lampenfieber und Fanbindung

MI: Kommen wir nun zur Tour: Auf was – und welche Lieder – dürfen wir uns in der Schweiz freuen?

Andrea: Die Setlist ist noch nicht final, aber mit zehn Alben haben wir reichlich Auswahl. Klar präsentieren wir neue Songs von „Sleepless Empire“, aber Klassiker werden nicht fehlen. Wir achten auf eine gesunde Mischung: Hits, neue Stücke, aber auch ein paar Songs, die wir in Europa lange nicht gespielt haben. Wir freuen uns riesig darauf, speziell auch auf die Schweiz.

MI: Gibt es Songs, die du besonders gerne live spielst?

Andrea: Momentan natürlich die neuen Songs – da steckt die meiste Frische drin. Aber wenn Fans beim Refrain von Klassikern wie „Heaven’s A Lie“ oder „Our Truth“ lautstark mitsingen, ist das immer ein starkes Gefühl. Der Mix macht’s.

MI: Und umgekehrt – gibt es Songs, die du am liebsten streichen würdest, die Fans aber verlangen?

Andrea: Ja, manchmal denken wir in der Tat, wir könnten zum Beispiel auf das bereits genannte „Heaven’s A Lie“ verzichten, da wir ihn schon tausendmal gespielt haben. Aber live merkt man, wie wichtig er ist. Viele haben uns genau durch diesen Song entdeckt. Solche Klassiker bleiben, weil sie den Fans viel bedeuten.

MI: Bist du vor einem Auftritt eigentlich zuweilen nervös?

Andrea: Nervös nicht – aber Adrenalin ist immer da. Besonders bei grossen Festivals oder ausverkauften Shows in London oder Zürich. Etwa eine Stunde vorher wird geschminkt, aufgewärmt, Musik gehört. Fünf Minuten vor der Bühne schiesst dann das Adrenalin ein – pure Vorfreude, keine Angst.

MI: Was verbindet euch am meisten mit euren Fans?

Andrea: Manchmal sind die Menschen emotional stärker mit unserer Musik verbunden als wir selbst. Für uns ist ein Track irgendwann abgeschlossen – aber die Fans machen ihn zu ihrem. Wir hören Geschichten von Fans, die sagen, unsere Musik habe ihr Leben gerettet oder sie dazu gebracht, selbst eine Band zu gründen. Manche haben sich bei Konzerten kennengelernt, geheiratet, Kinder bekommen. Das ist das eigentliche Vermächtnis von Musik – grösser als Ruhm oder Geld.

Songwriting-Rezept und kulinarische Metaphern

MI: Welche Zutaten braucht es für den perfekten Lacuna-Coil-Song?

Andrea: Im Kern sind es drei: ein dunkler, atmosphärischer Part – ein schwerer Rockpart – und Groove. Marco bringt meist das rhythmische Fundament, Cristina liefert bombastische, epische Refrains, und ich ergänze mit meinem härteren Gesang. Zusammen ergibt das Lacuna Coil.

MI: Und wenn wir schon vom Kochen sprechen: Angenommen, Lacuna Coil wäre ein italienisches Gericht – welches wäre das?

Andrea [lacht]: Vermutlich Spaghetti mit Fleischbällchen, also ein italo-amerikanisches Gericht. Wurzeln in Italien, aber mit Einflüssen aus aller Welt. Wir touren global und fühlen uns überall zuhause – genau wie die Musik Grenzen überwindet. Gleichzeitig bleibt Essen für uns in Italien fast „heilig“, anders kulturverankert als etwa in den USA. Deshalb wären wir wohl dieses Traditionsgericht – aber auf besondere Weise verfeinert. Eine Mischung aus Tradition und globaler „Verunreinigung“ [lacht].

MI: Du bist nun lange im Musikbusiness. Angenommen, du könntest dreissig Jahre zurückreisen: Welchen Rat würdest du deinem jüngeren Ich geben?

Andrea: Vielleicht, entspannter an manche Dinge zu gehen – aber eigentlich lief alles besser, als wir je erhofft hätten. Als Metal-Band aus Italien hatten wir kaum internationale Chancen gesehen. Doch wir haben Etappe für Etappe genossen – und lieben es nach wie vor. Das Geheimnis ist unser Gemeinschaftsgefühl. Metal ist kein Trend, sondern Lebensstil – das sieht man bei Festivals wie Wacken, die ausverkauft sind, bevor das Line-up überhaupt steht.

MI: Gibt es etwas, das die Leute nicht von dir erwarten würden? Hobbys oder Angewohnheiten?

Andrea: Vieles ist längst bekannt. Ich bin AC-Milan-Fan, gehe oft ins Stadion. Marco und ich haben uns über Skateboarding kennengelernt, wir lieben Comics, Horrorfilme, Videospiele. Ich trainiere auch Kampfsportarten. Überraschungen gibt’s bei uns kaum noch, weil wir schon so vieles erzählt haben.

MI: Andrea, zum Schluss: Hast du noch eine spezielle Nachricht an eure Fans in der Schweiz?

Andrea: Oh ja! Wir sind unglaublich froh, nach so vielen Jahren zurückzukommen. Wir versprechen euch eine fantastische Show und eine riesige Party. Die Schweiz war für uns immer ein besonderer Ort – und wir können es kaum erwarten, euch im Oktober wiederzusehen.

Konzerthinweis:
Lacuna Coil spielen am 24. Oktober in Lausanne (Les Docks) respektive am 25. Oktober 2025 im Dynamo Zürich.

Video Lacuna Coil – I Wish You Were D3ad

19.09.2025
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