Deep Sun – Storyteller
Symphonic MetalMehr als Märchen?
Was passiert, wenn Musik selbst zur Erzählung wird? Deep Suns fünftes Studiowerk „Storyteller“ sucht genau darauf eine Antwort. Ob es dem Schweizer Quintett gelingt, die komplexen Fäden ihrer Melodien zu einer fesselnden Geschichte zu verweben – oder ob sie sich darin verlieren –, erfahrt ihr in den folgenden Zeilen.
Beflügelt vom Erfolg ihres letzten Longplayers „Dreamland: Behind The Shades“ (Platz 4 der Schweizer Albumcharts) macht sich die Symphonic-Metal-Formation daran, an ihre bisherigen Erfolge anzuknüpfen – oder besser: die Messlatte noch höher zu legen. Gerade in einem Genre, in dem die Reihen qualitativ hochkarätiger Acts eng geschlossen sind (manche würden gar von Einheitsbrei sprechen – eine Diskussion, die ich an dieser Stelle jedoch nicht vertiefen möchte) ein ambitioniertes Unterfangen.
„Powervoll, melodiös, professionell, bombastisch“ – so hatte ich Deep Sun in meinem Interview vom Oktober 2022 beschrieben. Bereits der Opener, Titeltrack und zugleich erste Single „Storyteller“, macht deutlich, dass sich daran nichts Grundlegendes geändert hat: Fulminante Orchestrierungen treffen auf treibende Rhythmen und Debora Lavagnolos vielseitigen Gesang, der mühelos zwischen zerbrechlicher Melancholie und kraftvoller Entschlossenheit wechselt. Dennoch scheint man überall noch einen Gang höher geschaltet – ja, den berühmten „More“-Button gedrückt zu haben – denn alles wirkt noch eine Spur opulenter und geschliffener als beim Vorgänger. Wie die Band das sieht, erfahrt ihr zudem in unserem ausführlichen Interview mit Debora, Tobias und Tom.
Auf Kaperfahrt
Nicht anders verhält es sich mit „Tales That Should Have Never Been Told“, einem Stück über dunklen Geheimnissen, verbotenen Wahrheiten oder tragische Schicksale, das gleichwohl mit einer variantenreichen Strophe als auch einem imposanten Refrain aufzuwarten weiss. Das eher dezente, aber punktgenaue Drumming verleiht dem Titel zudem eine strukturelle Form, wie man sie nicht alle Tage zu hören bekommt. Visions Of Atlantis anyone? Bei dem treibenden „United Force“ wird die Truppe zwar nicht vollständig von den selbst ernannten Freibeutern um Clémentine Delauney geentert, doch steuert deren Mitstreiter Michele „Meek“ Guaitoli gesanglich einen markanten Beitrag bei. Eine grossartige Zusammenarbeit zweier ausdrucksstarker Stimmen, die sich perfekt ergänzen und zugleich ein Song, der auch auf einem VoA-Album wohl ein Hitgarant wäre.
Vorab-Auskopplung Numero zwei, „Worlds Collide“, unterstreicht die bisher gesammelten Eindrücke mit seinem intensiven, fast schon düsteren Touch und thematisiert auf fesselnde Weise innere Konflikte. Und bietet gleichzeitig den Anreiz, sich etwas mit der Sprache des antiken Roms auseinanderzusetzen! In „Ballad of Tragedy“ schlagen Deep Sun gerade zu Beginn etwas ruhigere Töne an, ohne dabei aber an Intensität und Ausstrahlung einzubüssen. Ein balladig-tragischer Track, bei dem gerade ab dem Mittelteil Deboras Stimme über die atmosphärischen Keyboardteppiche erstrahlt und das Lied auf berührende Weise bis zum emotionalen Ende trägt.
Der More-Button
Die drei aus meiner Sicht besten Titel des neuen Albums folgen indes in der zweiten Hälfte der Scheibe – fein säuberlich aneinandergereiht wie Perlen auf einer Schnur. „Fierce“ ist dabei wohl der eingängigste Track: eine energiegeladene, lyrische Ode an die weibliche Kraft in all ihren Facetten. Ganz ähnlich verhält es sich mit „The Window“, dessen verspieltes Intro mir das Bild eines Horrorclowns vors innere Auge führt, ehe sich der Song zu einer leichtfüssigen Hymne emporschwingt. Besonders gut lässt sich die musikalische Weiterentwicklung der Formation bei „Flight Of The Phoenix (2025)“ nachvollziehen: Der eingangs erwähnte (und eigentlich von Piratenbraut Clémentine entliehene – zum Interview) „More“-Button scheint hier allgegenwärtig und offenbart den vollzogenen Wandel besonders eindrucksvoll.
Die beiden finalen Tracks konnten sich hingegen (noch) nicht nachhaltig in meinem Gehörgang verankern. Während sich „Wasteland“ durch seine abwechslungsreiche, nuancierte Struktur bei bewussterem Hören schnell wieder ins Bewusstsein zu spielen vermag, schaffte es „The Last Stand“ – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Song von Sabaton – mich am wenigsten zu verzaubern. Gut, aber nicht so herausragend wie die restlichen Kompositionen. Dessen ungeachtet wirkt der Silberling als Ganzes wie aus einem Guss, ohne langweilig zu werden. Jedes Stück erzählt seine eigene Geschichte und fügt sich gleichwohl harmonisch ins Gesamtbild ein.
Und auch musikalisch gelingt Deep Sun mit „Storyteller“ erneut eine deutliche Weiterentwicklung: Der Einstieg von Gitarrist Erik Dummermuth scheint zusätzliche Dynamik in den Sound der Equipe zu bringen, während Keyboarder Thomas Hiebaum mit majestätischen Klangteppichen für orchestrale Tiefe sorgt. Die Rhythmussektion um Angelo Salerno (Bass) und Tobias Brutschi (Drums) agiert druckvoll und präzise, was den Liedern eine klare Struktur zu verleihen vermag. Im Mittelpunkt steht jedoch einmal mehr Debora Lavagnolo, deren warme, ausdrucksstarke Stimme den Liedern eine enorme emotionale Tiefe und Authentizität verleiht.
Die Produktion ist wie gewohnt glasklar und detailverliebt, ohne den Songs ihre Dynamik zu rauben. Jedes Instrument bekommt seinen Raum, derweil das grosse Ganze stets im Fokus bleibt.
Fein geschliffen, aber formtreu
Trotz aller Stärken gibt es aber auch Momente, in denen man sich vielleicht gelegentlich eine etwas grössere stilistische Vielfalt wünschen würde. Ein Ausbrechen aus gewohnten Bahnen, eine Art wildern in fremden (Genre-) Gefilden, um es mal so zu formulieren. Denn obwohl „Storyteller“ durchweg auf einem hohen Niveau agiert, könnten einige Passagen für Kenner symphonischer Klangwelten etwas vorhersehbar wirken. Wobei ich mich hier ziemlich weit aus dem Fenster lehne, schliesslich trifft dies auf so manche Band innerhalb ihrer jeweiligen Stilrichtung zu.
In meiner Review zu Epicas neustem Meisterwerk „Aspiral“ hatte ich mir in einem Nebensatz ja etwas mehr emotionale Varianz in der grandiosen Sopran-Stimme von Simone Simons gewünscht. Ein Anliegen, das Debora mühelos zu erfüllen vermag. Und wenn wir schon beim Gegenüberstellen sind (beide Alben liefen bei mir quasi parallel in Endlosschleife): Im direkten Vergleich zu den Niederländern wirkt der Sound der Schweizer klarer, geradliniger und heller, weniger düster. Was Deep Sun eher in die Nähe von Nightwish oder Within Temptation rückt – das einfach so als Gedankenspiel am Rande respektive zur musikalischen Einordnung für all diejenigen, welche den Schweizer Fünfer noch nicht kennen.
Das Fanzit Deep Sun – Storyteller
Mit „Storyteller“ legen Deep Sun ihr bislang reifstes und ambitioniertestes Werk vor und zeigen, wie viel erzählerische Kraft im Symphonic Metal stecken kann. Die Aargauer bleiben dabei ihren Wurzeln treu, entwickeln ihren Sound jedoch mit spürbarer Reife und Tiefe weiter. Für Genre-Fans und alle, die sich gerne von Musik in fantastische Welten entführen lassen, dürfte diese Platte ein Pflichtkauf darstellen!
Anspieltipps: Tales That Should Have Never Been Told, Fierce, The Window, Flight Of The Phoenix
Die Tracklist Deep Sun – Storyteller
- Storyteller
- Tales That Should Have Never Been Told
- United Force (feat. Michele Guaitoli)
- Worlds Collide
- Ballad Of Tragedy
- Fierce
- The Window
- Flight Of The Phoenix (2025)
- Wasteland
- The Last Stand
Das Line-up – Deep Sun
- Debora Lavagnolo – Gesang
- Thomas Hiebaum – Keyboard
- Angelo Salerno – Bass
- Tobias Brutschi – Schlagzeug
- Erik Dummermuth – Gitarre