Metalinside.ch – Electric Callboy – Hallenstadion Zürich 2025 – Foto Sandro 16
Mi, 19. November 2025

Electric Callboy, Bury Tomorrow, Wargasm

Hallenstadion (Zürich, CH)
25.11.2025

Elektrisierend!

Kunterbunte Neon-Ekstase trifft auf Metalcore-Wucht: Electric Callboy traten an, das Hallenstadion Zürich mit ihrer „Tanzneid World Tour“ in einen kochenden Hexenkessel aus Sound, Pyro, Witz und purer Lebensfreude zu verwandeln. Unterstützung kam von Wargasm und Bury Tomorrow. Ob das die wildeste Party des Jahres werden würde? Die Antwort lag irgendwo zwischen Konfetti, Schweiss und breitem Grinsen …

Da Electric Callboy mit ihrem Electro-Trance-Einschlag bei vielen Metal-Puristen anecken, ist dieser aussergewöhnliche Auftritt im grössten Musiktempel der Schweiz ein klarer Fall für meine Wenigkeit. Dabei bereitete mir die Wahl der Location im Vorfeld einiges an Kopfzerbrechen. Schliesslich kannte ich die Truppe primär durch ihre Kollab mit Babymetal („Ratatata“) sowie ihre leider nicht mit Erfolg gekrönte Bewerbung zum Eurovision Song Contest 2022 in Turin.

Aber ja, ganz so unbegründet scheint es nicht zu sein, ausgerechnet dieses geräumige Rund ausgewählt zu haben. Schon lange vor Showbeginn herrscht ein reges Treiben vor dem Venue: In der feucht-eisigen Novemberluft drängen sich bunt gekleidete Fans eng an eng. Neonfarben und Vokuhila-Perücken im Stil der frühen Electric-Callboy-Videos mischen sich mit klassischem Metal-Schwarz. Die Melange aus Partyvolk, Core-Fans und Neugierigen deutet es bereits unmissverständlich an: Dieser Abend wird so ziemlich alles werden, aber keinesfalls gewöhnlich. Und da soll sich noch einer über die Swifties den Mund zerreissen 😉

Doch bis die sechs Herren die durch viele fleissige Hände aufgebaute Bühne betreten, ist es noch etwas hin. Wir überspringen den nicht sonderlich prickelnden Warteprozess und widmen uns der ersten von zwei auf den bevorstehenden Klamauk einstimmenden Gruppen. Diese stammt aus London und hört auf den Namen …

Wargasm

Der Bandname ist ein sogenanntes Kofferwort – ein Ausdruck, der aus Teilen von zwei oder mehr anderen Wörtern gebildet wird. Im vorliegenden Fall sind dies die englischen Begriffe War (Krieg) und Orgasm (Orgasmus). Und irgendwie auch Programm, wenn man ihren auf 30 Minuten begrenzten Reigen als Massstab nimmt.

Das britische Duo (live ergänzt durch klar im Hintergrund agierende Begleitmusiker) besteht aus Sam Matlock und Milkie Way. Der weibliche Part, aka Milkie, umschreibt die Rollen innerhalb des Duos wie folgt: „Sam ist der ‚War‘, und ich bin der ‚Gasm‘.“ Der an warme Sommertage erinnernde Dresscode der Nordirin lässt diesbezüglich wahrlich keine Zweifel aufkommen. Showtechnisch wissen die beiden mit ihrer aggressiven Präsenz und punkigen Energie durchaus zu gefallen. Sie sind ständig in Bewegung und suchen aktiv den direkten Kontakt mit dem Publikum.

Leider spielt der Sound nicht immer ganz astrein mit, was den Gesamteindruck etwas trübt. Dennoch trifft ihre Mischung aus Electro-Punk, Nu Metal und Industrial den Nerv der bereits recht zahlreich anwesenden Zuschauer. Wargasm machen unmissverständlich klar, dass sie nicht einfach antreten, um den zugeteilten Supportslot zu füllen. Sie wollen nicht nur aufwärmen – sie wollen Chaos erzeugen. „Angry songs for sad people“, wie sie es sich ja selbst auf die Fahne geschrieben haben.

Alles in allem ein kompromissloser und massiver Auftritt, der beweist, dass Wargasm eine Kapelle sind, die man zweifelsfrei im Auge behalten sollte.

Bury Tomorrow

Die zweite Einheiz-Equipe nennt sich Bury Tomorrow und stammt aus Southampton, U.K. Später am Abend erfahren wir noch, dass die elektrischen Callboys in der glücklichen Lage waren, ihre Support-Acts selbst wählen zu dürfen – die Qual der Wahl fiel neben Wargasm auf eben jene Bury Tomorrow.

Und diese liefern quasi den perfekten Brückenschlag, vereinen sie doch die pure Härte des Openers mit der notwendigen Melodiosität für die breitere Masse, das nun für den Hauptact so richtig schön gar geköchelt wird. Die britischen Metalcore-Veteranen präsentieren sich von Beginn weg als eine perfekt eingespielte Live-Maschine. Mit ihrer druckvollen Performance ziehen sie die Menge von Beginn weg auf ihre Seite, derweil die Double-Bass-Salven mit unerbittlicher Präzision darnieder prasseln.

Bury Tomorrow erzeugen nach Wargasm eine ganz eigene, aber ebenso mächtige Atmosphäre. Das Sextett – mit den markanten Co-Vocals von Dani Winter-Bates und Tom Prendergast – liefert eine mitreissende Mischung aus aggressiven Riffs, wuchtigen Breakdowns und melodischen Passagen. Die Songs pendeln zwischen brachialer Härte und emotionaler Tiefe, was besonders bei Stücken wie „What If I Burn“ spürbar wird, wo klare Melodien und rohe Kraft direkt und unverblümt aufeinanderprallen.

Die Reaktion der Anwesenden lässt nicht lange auf sich warten: Im Nu öffnen sich Moshpits, Crowdsurfer gleiten über die Köpfe, während die Band ihren Gig tadellos und zwingend durchzieht. Leider ist auch bei ihnen die Crew am Mischpult noch nicht auf der Höhe der musizierenden Truppe angekommen, sodass der Sound, wie bereits zuvor, etwas stumpf und undifferenziert aus den Boxen quillt.

Doch auch hier zeigt der Daumen ganz klar himmelwärts – der Acker für Electric Callboy ist bestellt. Auf wie viel Ekstase dürfen wir uns wohl freuen?

Electric Callboy

Auf extrem viel, soviel sei schon mal verraten. Electric Callboy hatten die Schweiz im Rahmen ihrer „Tanzneid World Tour“ auf die Agenda gesetzt – und haben nicht weniger als eine Abrissbirne aus Electronicore, Metalcore, Melodic Metalcore, Post-Hardcore, Comedy Rock, Dubstep Electro und Pop mit im Gepäck.

Was nun folgt, ist eine Darbietung zwischen kontrolliertem Wahnsinn und hemmungsloser Fete: Ein Bühnenbild, das in Pyrofontänen, Konfettiregen und neonleuchtenden LED-Konstruktionen explodiert, dazu ein ständiger Wechsel der Outfits – von obligatorischen 80er-Jahre-Anzügen bis hin zu den kultigen Aerobic-Dressen. Visuelle wie emotionale Reizüberforderung inklusive.

Es wird gehüpft, gefeiert, ja sogar gerudert (zu „Neon“, soweit ich mich erinnere). Riesige Mosh- und Circle-Pits tun sich auf, Crowdsurfer werden in hoher Kadenz von den netten Herren der Security im Pit in Empfang genommen. Es herrscht eine irrwitzig ausgelassene Stimmung, die das Hallenstadion von vorn bis nach ganz hinten ergriffen hat.

Der Auftritt der deutschen Metalcore-/Trancecore-Kapelle aus Castrop-Rauxel ist heute definitiv mehr eine Art kollektive Therapie-Sitzung in Sachen maximaler Lebensfreude denn ein gewöhnliches Konzert. Ein gesamtheitliches Erlebnis, eine perfekt durchchoreografierte Show, bei der alle Facetten von Härte, Humor und hedonistischer Feierlaune zur Geltung kommen.

Ob’s mir gefällt? Muss ich jetzt nicht explizit beantworten, oder? Zumal sich nun auch der Sound von seiner allerbesten Seite zeigt.

Die beiden Sänger, Nico Sallach und Kevin Ratajczak, sind dabei die perfekten Zeremonienmeister dieser Metal-Pop-Wasauchimmer-Party. Sie treiben die Besucherschar unaufhörlich an, kommentieren das Geschehen mit humorvollen Sprüchen und bewegen sich in einer Choreografie, die so übertrieben ist, dass sie schon wieder perfekt wirkt. Dass ihre Mitstreiter (Daniel „Danskimo“ Haniss, Pascal Schillo, Daniel Klossek und Frank Zummo) vielleicht nicht ganz so viel Aufmerksamkeit abbekommen, liegt im Wesen der Sache. Im Umkehrschluss heisst das aber nicht, dass sie sich im Hintergrund der Bühne auf zwei gemütliche Stunden eingestellt haben. Au contraire! Insbesondere Trommelmeister Frank wird zur Mitte des Sets von einem – auf einer der unfassbar grossen Videoleinwände eingeblendeten – Cyborg zu einem futuristisch-abgefahrenen Drum-Battle aufgefordert. Krass mit anzusehen – und ein perfektes Intermezzo zu dem nun Folgenden.

Denn nun tauchen Nico und Kevin auf einmal in der Mitte der Halle auf – ziemlich genau dort, wo sich tags zuvor bei Sabaton die Herren Caesar, Dschingis Khan und Napoleon Bonaparte ein etwas gar langes Rededuell geliefert hatten (mit tödlichem Ausgang für Erstgenannten, also geschichtlich irgendwie akkurat). „Fuckboi“ und „Everytime We Touch“ werden als Akustik-Nummern (mit Klavierbegleitung durch Kevin) zum Besten gegeben, und der Aufruf, doch bitte die Handys in der Tasche zu lassen, findet erfreulich grossen Anklang. Es sind eben genau diese stillen, achtsamen Momente (Neudeutsch: Fokuszeit), die ein solches Konzert wirklich zu etwas ganz Besonderem werden lassen. Oder wie Nico so treffend vermerkt: „Dinge durch die eigenen Augen zu betrachten, ist einfach schöner.“

Leider gibt es bei Nico zu Beginn Probleme mit den In-Ears. Doch überbrückt er diese unfreiwillige Pause mit seiner gewohnt charmanten Art, sodass darauf für ein paar Momente so etwas wie kuschelige Lagerfeuer-Romantik einkehrt. Etwa zur Hälfte des Maggie Reilly-Covers begeben sich die beiden dann quer durch die Menge zurück in Richtung Spielfläche (wie damals Jennifer Haben von Beyond The Black im Komplex 457). Dies auch, da sie keine Brücke quer über das Publikum mitgebracht haben wie Sabaton am Vortag. Dort bringen sie die Endlos-Covergeschichte („Ein Cover von dem Akustik-Cover, das wir als Cover abgezogen haben“) in einem nun trancigen Gewand gehüllt zu Ende. Ein grossartiger Spagat zwischen gnadenlosem Abriss und unverschämtem Kitsch.

Nach einem grossen Dankeschön an alle Leute im Hintergrund, die mit ihrem Einsatz eine Show wie die heutige erst möglich machen (Helfer, das meist unterschätzte Gut eines solchen Abends, fürwahr), dem mit fetten Konfettikanonen untermauerten „MC Thunder II“ sowie dem dröhnenden „Elevator Operator“ (Notiz am Rande: Feuer-technisch hatten Sabaton diesbezüglich ganz klar die Nase vorn – und das, obschon heute in der Wegleitung für Fotografen explizit von „A LOT Pyro“ die Rede war) folgte dann der Song, auf den ich mich am meisten freue: „Ratatata“, feat. Babymetal.

Und wenngleich die drei Moshpit-Feen physisch wohl gerade einige paar Tausend Kilometer weit entfernt im Land der Träume schlummern, transportiert das anwesende Sextett die gesamte, explosive Energie des Tracks wunderbar in das weite Rund (derweil Su, Moa und Momo auf den riesigen Screens zu sehen sind). Eine perfekte Mischung aus Metal-Härte und Pop-Ekstase. Dieselbe Konstellation hatten wir ja bereits im Mai, einfach mit umgekehrten Vorzeichen (zur Konzert-Review). Welches Erlebnis nun besser war, lässt sich schwerlich bestimmen. Spass gemacht haben auf jeden Fall beide, und das enorm. So sind es denn gerade solch unkonventionelle Acts wie Babymetal oder Electric Callboy, die durch die Entdeckung und konsequente Pflege ihrer Nische nun den verdienten Lohn einfahren.

Mit „Spaceman“ sowie dem finalen „We Got The Moves“ geht dann die wahrscheinlich beste Party des Jahres zu Ende. Für mich persönlich das Konzert des Jahres, wären da nicht … Ja, wären da nicht Babymetal, die The Hall ebenfalls zum Glühen brachten und mich vielleicht noch einen klitzekleinen Tick mehr abgeholt, mir noch ein minimst breiteres Grinsen ins Gesicht gezaubert haben. Anders sein ist halt doch irgendwie cool! Kurzum: Wer heute nicht vor Schweiss tropfend aus der Halle torkelt, hat definitiv etwas falsch gemacht!

Die Setlist – Electric Callboy

  1. Tanzneid
  2. Still Waiting
  3. Tekkno Train
  4. Hypa Hypa
  5. MC Thunder
  6. Neon
  7. Pump It
  8. Hurrikan / Overkill / All the Small Things / Bodies
  9. Revery
  10. Hate/Love
  11. Mindreader
  12. Monsieur Moustache vs. Clitcat / Muffin Purper-Gurk / We Are the Mess / Crystals
  13. Drum Solo
  14. Fuckboi (Akustik-Version)
  15. Everytime We Touch (Akustik-Version / TEKKNO-Version)
  16. MC Thunder II
  17. Elevator Operator
  18. Ratatata*
  19. Spaceman*
  20. We Got The Moves*

* Zugabe

Das Fanzit – Electric Callboy, Bury Tomorrow, Wargasm

Electric Callboy zerlegten das Hallenstadion am 19.11. 2025 mit ihrer einzigartigen Mischung aus Härte und Party. Selten (oder nie) war eine Sause in diesem Rund so wild, ausgelassen und klanglich so perfekt. Auch wenn Wargasm und Bury Tomorrow tontechnisch weniger Glück hatten, lieferten sie einen gewinnbringenden Support und bereiteten den Boden ideal für das Feuerwerk des Headliners.

Die Fotos – Electric Callboy, Bury Tomorrow, Wargasm


Wie fandet ihr das Konzert?

25.11.2025
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