Opeth – Back to the roots?
Als das aktuell vorliegende Album veröffentlicht wurde – am letztjährigen Wacken gabs die ersten Töne davon auf dem Holy Field –, reagierten die echten Opeth-Fans verzückt.
Da sind sie endlich wieder, die Growls, die in der letzten Dekade und auf den in dieser Zeit veröffentlichten Alben von vielen schmerzlich vermisst wurden.
Für Nicht-Fans: Die früheren Alben von Opeth sind geprägt vom Wechsel zwischen melodiösen Gesangslinien und derben Growls, die lange die Zaubermischung auf den überlangen Songs ausmachten. Mit dem Album Heritage (2011) war aber Schluss mit lustig – die Ausrichtung der Band veränderte sich deutlich. Die Growls von Mastermind Åkerfeldt waren ab diesem Album nicht mehr vorhanden und der Musikstil bewegte sich stärker in Richtung Retro-Rock: mehr Gitarrenarbeit, weniger Düsternis. Dies spaltete natürlich die Fans der ersten Stunde. Opeth erfanden sich quasi neu – und verliessen diesen Pfad über zehn Jahre lang nicht.
Mit dem Album „Last Will And Testament“ sieht das nun wieder anders aus. Die Growls sind, wie schon angedeutet, zurück. Es klingt wieder nach Old-School-Opeth, und die Songs gewinnen erneut an Abwechslung und Extremität.
Am heutigen Abend sind die Schweden zurück in der Schweiz – und zwar im Komplex 457 in Zürich. Mit im Gepäck haben sie die Support-Band Paatos. Die Band musste ich auf dem Weg nach Zürich zuerst mal recherchieren; ich hatte bislang noch keine Berührungspunkte mit ihr.
Im Komplex angekommen, ist die Halle bereits gut gefüllt. Ich nehme wahr, dass viele Fans auch aus dem nahen und weiteren Ausland angereist sind – erkennbar an den verschiedenen Sprachen, die mir in den Ohren klingen. Während ich mir einen Weg durch das Publikum bahne, um für den Bericht eine gute zentrale Lage zu ergattern, kann ich schon förmlich spüren, wie die volle Wucht der Musik gleich auf mich einhämmern wird.
Paatos
Wie bereits erwähnt, musste ich die Vorband zuerst mal recherchieren, um mir vor dem Konzert einen ersten Eindruck zu verschaffen. Ich hatte zuvor noch keine Begegnung mit Paatos.
Als die Band pünktlich loslegt, ist mein erster Eindruck, dass bei der Auswahl wohl Mikael Åkerfeldt ein entscheidendes Wörtchen mitgeredet hat. Paatos passen perfekt ins Vorprogramm und bewegen sich musikalisch auf derselben Wellenlänge wie Opeth selbst. Jedenfalls erkenne ich sofort die klangliche Kongruenz zur Hauptband des Abends – und ich könnte mir gut vorstellen, dass Åkerfeldt hier ohne grosse Mühe selbst mitspielen könnte und dabei sichtlich Spass hätte.
Paatos werden dem progressiven Metal zugeschrieben. Die Band ging aus den beiden Formationen Landberk und Ägg hervor, löste sich zwischenzeitlich einmal auf, ist nun aber wieder auf dem Radar – mit einer neuen Veröffentlichung namens „Ligament“.
Auf ihrer Homepage beschreiben sich Paatos folgendermassen: «Cinematic rock with influences of heavy rock, jazz & electronic grooves.» Genau so klingt die Band live in Zürich – und das meine ich sowohl positiv als auch kritisch.
Zuerst zur kritischen Seite: Der Sound wirkt für meine Ohren relativ chaotisch – obwohl das natürlich zu progressiven Gefilden dazugehört. Meine Ohren sind durch Bands wie Dream Theater oder Porcupine Tree einiges gewohnt, doch der Sound der Schweden ist trotzdem gewöhnungsbedürftig. Gleichzeitig präsentiert sich aber – und hier kommt die positive Seite – eine faszinierende Mischung aus Einflüssen, die trotz der teils wirren Strukturen eine hypnotische Wirkung entfalten. Festzuhalten bleibt: Es gibt wohl kaum eine andere Band, die diese eigenwillige Mischung in einem derart homogenen Gruppengefüge vereint.
Frontfrau Petronella Nettermalm beeindruckt mit einer Stimmgewalt, die mich wirklich umhaut. Sie zieht mich mit ihrer markanten Stimme in einen Strudel aus psychedelischen Momenten und Erinnerungen. Dazu trägt auch der Keyboarder bei, der sich – fast schon rituell – über seinem Instrument windet, als wäre er in Trance.
Zusammengefasst also eine etwas „andere“ Vorband, die gleichzeitig begeistert und verwirrt. Kein Wunder, bei all den Einflüssen und dem ohnehin schon stark progressiven Ansatz. Ich bleibe dabei: Das passt – und die Vorfreude auf Opeth wird dadurch nur noch stärker angeheizt.
Opeth
Dann ist es soweit: Opeth betreten die Bühne. Gleich mit „Paragraph 1“ des neuen Albums gehts los – und die Reise führt während der kommenden zwei Stunden, wie bei Opeth-Konzerten gewohnt, quer durch sämtliche Schaffensphasen der Band.
Die Mischung aus neuen Songs und altbewährten Klassikern empfinde ich heute Abend als absolut ausgewogen und spannend. Und ich muss es wirklich festhalten: Der Sound im Komplex ist heute schlicht Spitzenklasse. Ich hoffe, das geht nicht nur mir so. Ich habe im Komplex tatsächlich noch nie einen derart klaren, druckvollen Sound erlebt. Es stimmt einfach alles, was da aus den Boxen dröhnt. Bei all den negativen Kritiken, die der Venue sonst oft nachgesagt werden – heute ist es schlicht bombastisch.
Zwischen den Songs zeigt sich Mastermind Mikael Åkerfeldt wie immer in bester Laune – charmant, zynisch, sarkastisch und mit diesem typisch trockenen Humor, den man entweder liebt oder nie versteht. Ich für meinen Teil liebe ihn. Seine Ansagen verleihen den Konzerten zusätzlich zu den musikalischen Momenten eine angenehm kauzige Note und machen Opeth-Shows zu echten Gesamterlebnissen.
Die mittlerweile 35-jährige Bandgeschichte ist spürbar – aber nicht, weil die Band etwa müde wirken würde. Im Gegenteil: Durch den neuen musikalischen Richtungswechsel mit Last Will and Testament scheint wieder richtig Groove in die Songs zurückgekehrt zu sein. Åkerfeldt brilliert einmal mehr mit seiner stimmlichen Bandbreite: Von feinster Melodik bis zu tiefsten Growls, die einem direkt durch Mark und Bein fahren. Diese Dynamik hebt die Musik in deutlich höhere Atmosphären als auf den letzten Alben.
Die Band wirkt während des gesamten Gigs spürbar happy, das Publikum geht steil und feiert jeden Song einzeln ab. Immer wieder brandet während der längeren Tracks Applaus und Jubel auf. Im musikalischen Gefüge der Band sind keine Schnitzer auszumachen – alles wirkt kompakt, eingespielt und gleichzeitig frisch. Eine perfekte Balance aus Routine und Leidenschaft.
Und auch die Lichtshow liefert heute ihr eigenes Highlight: Sie untermalt die wechselnden Stimmungen der Songs punktgenau und setzt gezielte Akzente. Besonders eindrucksvoll während „The Devil’s Orchard“, als die Bühne in ein sattes, bedrohliches Rot getaucht wird – ein Moment, der den Song visuell wie emotional perfekt abrundet.
Das Fanzit – Opeth, Paatos
Es gelingt mir auch diesmal nicht, grosse Kritik an der Leistung der Band oder ihrer Musik zu üben. Opeth bleiben ganz klar eine jener Bands, die sich ihren Platz im progressiven Metal-Sektor hart erarbeitet und erspielt haben – und ihn wohl bis zu ihrem letzten Konzert nicht mehr hergeben werden.
Dazu trägt nicht nur bei, dass mit der neuen Scheibe die Growls im Gesang zurück sind, sondern vor allem die schiere Genialität von Mikael Åkerfeldt.
Am heutigen Abend wurden durch Licht und Ton alle Details perfekt in Szene gesetzt – und so erlebten wir ein wunderbar langes Set voller grossartiger Songs und glücklicher Gesichter im Komplex 457.
Die Setlist – Opeth
- § 1
- Master’s Apprentices
- The Leper Affinity
- § 7
- The Devil’s Orchard
- To Rid The Disease
- The Night And The Silent Water
- § 3
- Heir Apparent
- Ghost Of Perdition
- Deliverance*
* Zugabe


