Epica

Symphonic Metal
06.09.2014

Isaac Delahaye, der Gitarrist der Band, ruft pünktlich wie eine Schweizer Uhr an. Als ich ihn nach seinem Befinden frage, entsteht daraus eine witzig-hitzige Diskussion übers miese Wetter – in Belgien ist es scheinbar auch nicht besser als hier. Isaac scheint keine Eile zu haben. Angenehm. Geduldig beantwortet er denn auch meine Fragen, welche ich in meiner Schusseligkeit natürlich im Büro vergessen hatte und nun aus dem Gedächtnis rezitiere.

Metalinside (Pelz E. Bub): Erzähl uns erst etwas über den Aufnahme-Prozess eures nicht-mehr-ganz-so-neuen Albums („The Quantum Enigma“ erschien am 2. Mai 2014, Anm. d. Verf.).

Isaac Delahaye: Nun, wir haben für dieses Album ziemlich viel geändert. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Simones Schwangerschaft. Bisher hatten wir immer zwischen Konzerten jede freie Minute mit dem Schreiben von neuem Songmaterial verbracht – und sind dann nach der Tour direkt ins Studio gegangen. Dieses Mal mussten wir eine Pause einlegen, was uns die Möglichkeit gab, darüber nachzudenken, was wir anders machen könnten. Wir probten die Songs unentwegt und anders als zuvor nahmen wir uns die Zeit, bereits vor der Vorproduktion zusammenzusitzen und darüber zu diskutieren. Ausserdem nahmen wir gleich alles mit und blieben im Studio, was zuvor teils nicht möglich war. Wir nahmen zuerst das Metal-Fundament, also Schlagzeug, Bass und Gitarre, auf. Erst, als wir damit durchwegs zufrieden waren, fügten wir die Orchestration, die Vocals und den Chor hinzu. Die einzelnen Elemente sind nun viel mehr aufeinander abgestimmt und fügen sich perfekt zusammen. Zudem gab uns dieses Vorgehen die Möglichkeit, viel mehr auf Details zu achten und daran zu feilen.

Anders war auch die Produktion, wir arbeiteten nämlich nicht mehr mit Sascha Paeth (u.a. Rhapsody Of Fire, Kamelot, Edguy/Avantasia, Anm. d. Verf.) zusammen. Er übernahm sehr wohl die Vocal-Lines sowie die Vorproduktion, aber die Aufnahmen fanden nicht in seinem Studio statt. Wir hatten mit „Retrospect“ im Rücken, welches eine Art Rückblick darstellt, das Bedürfnis nach Veränderung, hatten das Gefühl, wir würden uns ansonsten im Kreis drehen und schliesslich stecken bleiben. Es gab natürlich herausfordernde Momente wo wir uns gesagt haben, Mensch, wieso mussten wir bloss alles verändern, aber letzten Endes war es ein sehr erfrischender Prozess, und ich denke, das hört man auch – die bisherigen Rückmeldungen waren zumindest durchaus positiv. Meiner Meinung nach ist es ein sehr erwachsenes, modernes Album; wir sind jedenfalls sehr glücklich mit dem Resultat. Dies ist in etwa die Kurzfassung, wie das Album entstanden ist.

MI: Also war auch jeder am Schreibprozess beteiligt?

Isaac: Ja. Die fünf Jungs schrieben die Musik und Simone die meisten Texte. Es war also wirklich eine Gruppenarbeit – was für viele Bands normal erscheinen mag, aber wenn sich deine Bandmitglieder auf drei verschiedene Länder verteilen, ist ein regelmässiges Zusammenkommen schwierig. Und wenn du auf Tour bist, ist das letzte was du willst, mit denselben Leuten danach auch noch in einen Proberaum zu sitzen. (grinst) Wenn uns etwas nicht passte, sagten wir das gleich, was nicht immer einfach ist, aber wir haben das durchgezogen.

MI: Drei verschiedene Länder – wie habt ihr geprobt?

Isaac:  Die ersten vier Wochen probten wir im Epica-Hauptquartier in Holland, wo auch das ganze Equipment lagert. Danach im Studio. Während dieser Zeit sassen wir auch oft mit Joost van den Broek zusammen, dem Produzenten. Zu Beginn wie gesagt zu dritt, Coen (Janssen, Piano/Synthesizer) war mit Kamelot auf Tour (beim Verfasser klingelts hier – Oliver Palotai, eigentlich Tastenmann bei Kamelot, ist Simones Lebensgefährte und somit damals wohl ebenfalls im Elternschafts-Vorbereitungsurlaub). Danach Demo aufnehmen und dann ins Studio, wo sich der inzwischen zu uns gestossene Coen um die Chöre kümmern konnte. Es ist trotzdem jedes Mal ein riesiges Puzzle. Wichtig ist, dass wir auf Basis des Metalgerüsts die Orchestration setzen und nicht umgekehrt. Keine Tour, keinen Zeitdruck zu haben sowie die Möglichkeit, zwischen den Sessions zu Hause in Ruhe noch einmal in Ruhe darüber nachzudenken, das war schon ganz cool. Und nach so langer Zeit im Business glaube ich, dass auch die Gefahr des nie zufrieden Seins nicht mehr besteht. Es mag seltsam klingen, aber inzwischen weiss ich, wann ein Song gut ist.

MI: Welches sind eure Pläne für die Zukunft?

Isaac: Wir haben soeben die Festivalsaison beendet und in zwei Wochen starten wir die erste Tour zu „The Quantum Enigma“. Wir touren zwei Wochen durch Kolumbien und Mexiko, danach steht eine Nordamerika-Tour an als Support für Machine Head. Dann ist Europa dran (22.11.2014 X-Tra Zürich! Anm. d. Verf. – u.a. Eintritte gewinnen). Wir haben auf der Festivaltour auch schon gemerkt, dass einige der neuen Songs auch live ziemlich abgehen. 2015 werden wir voraussichtlich dann in Südafrika touren, anschliessend in Skandinavien und Russland, Australien, Asien, das übliche halt. Und dann kommt auch schon die nächste Festivalsaison! (grinst)

MI: Und deine eigenen Pläne?

Isaac: Neben der Band? (stockt, zum ersten Mal) Nun, ich produziere ja auch. Ausserdem spiele ich sehr gerne Akustik-Gitarre, ich mag dieses Fingerpicking-Zeugs im Stil von Chet Atkins oder Tommy Emmanuel. In jedem freien Moment spiele ich, meine Idee ist es, irgendwann ein Akustik-Album aufzunehmen. Fest steht aber noch gar nichts. Es beschäftigt mich einfach und macht mich glücklich, das ist alles. Ich singe auch nicht. (lacht)

MI: Was hat sich ausser der Geburt von Vincent seit dem letzten Album massgeblich verändert?

Isaac: Wir haben wie bereits erwähnt gelernt, miteinander zu reden – dafür besuchten wir sogar ein Kommunikationstraining; klingt weniger lustig als es in Wahrheit war. Du lernst da einander auf einer viel theoretischeren Basis kennen, denn du wirst als Bandmitglied kategorisiert. Wenn du 24/7 gemeinsam auf Tour bist, glaubst du, einander wirklich zu kennen – weit gefehlt.

Was wirklich interessant ist, ist die Tatsache, dass sich Simone’s Mutterschaft sowohl auf ihre Stimme als auch auf ihre Präsenz sehr positiv ausgewirkt hat. Sie sagt dazu, die Liebe zu ihrem eigen Fleisch und Blut habe wie eine neue Dimension für ihre Stimme geschaffen – eine neue Bandbreite an Emotionen, mit denen sie spielen kann. Sie geht ihren Weg und ist ein bewundernswert zäher Kerl! (grinst) Wir sind jedoch alle herausgefordert, da wir natürlich all unsere Tourgewohnheiten anpassen und uns völlig neu orientieren müssen – noch kommt der Kleine nicht mit auf Tour.

MI: Was magst du am meisten daran, in einer Band zu spielen bzw. Was motiviert dich besonders?

Isaac: Die Menschen. Jeder Tag ist anders, du fühlst dich anders, du siehst andere Menschen, manchmal siehst du dieselben Menschen mehr als einmal – das mag ich am meisten. Ich bin nicht gerne im Studio. Natürlich, als Band musst du das tun, du musst etwas vorweisen können, aber was mich wirklich motiviert ist, die Reaktionen der Leute mitzukriegen. Wenn die Menge richtig abgeht, dann weisst du, dass du etwas richtig machst. Ausserdem mag ich die Tatsache, dass man viel herumkommt, überall neue Freunde findet – ich freue mich, sie alle bald wieder zu sehen und Musik zu machen, Gitarre zu spielen.
Die Kehrseite dieser Medaille ist dann das Sozialleben – wenn deine Freunde heiraten bist du nicht da, wenn sie Kinder kriegen oder ihren eigenen Geburtstag feiern bist du nicht da; das ist natürlich ein grosser Nachteil.

MI: Welches ist dein Lieblingssong auf dem Album, und wieso?

Isaac: (überlegt) Hm, das wäre dann wohl „Chemical Insomnia“ sowie dessen Intro „The Fifth Guardian“ – dies ist für mich ein einziger Song. Jedes Mal wenn ich letzteren höre, habe ich ein anderes Gefühl dabei, es spricht zu mir und doch verstehe ich es nicht – obwohl ich es geschrieben habe. Dieses geht dann über ins „Chemical Insomnia“, ein schweres, technisches und grooviges Stück, sehr Epica-Like. Diese ungefähr zehn Minuten sind also meine liebsten.

MI: Erkläre uns die Bedeutung des Albumtitels.

Isaac: Nun, wie du dir vielleicht denken kannst, stammt der Begriff aus der Quantenphysik. Am besten lässt du dir von Youtube einmal das „Doppelspaltexperiment“ erklären. Kurz: Man glaubt es kaum, bis man es sieht, das wäre dann das Rätsel, das Enigma. Es geht darum, dass man alles hinterfragen will. Wenn du dann den Ausgang des Experiments betrachtest, könnte es sein, dass du dich zu fragen beginnst, was richtig ist und was falsch, ist das, was ich sehe wirklich da? Viele der Texte handeln genau davon. Trotzdem ist es kein Konzeptalbum, das Thema zieht sich einfach wie ein roter Faden hindurch. „There’s more than meets the eye“ – Da steckt mehr dahinter: Dieses Konzept versuchten wir auch mit dem Coverartwork umzusetzen bzw. dem ganzen Booklet. (und DESWEGEN kaufe ich CDs! Anm. d. Verf.)

MI: Seit eurer Gründung 2002 schossen von Frauen gefrontete, symphonisch angehauchte Metalbands wie Pilze aus dem Boden. Was hältst du, der du mit God Dethroned ursprünglich aus der Death-Metal-Ecke kommst, davon?

Isaac: Metalbands im Allgemeinen wurden all überall gegründet, jeder spielt heute Gitarre oder so. Man hat heutzutage auch viel leichter die Möglichkeit, etwas aufzunehmen und ins Internet zu stellen, um seinen Bekanntheitsgrad zu steigern. Abgesehen davon hat sich vor allem der Geruch auf Tour geändert. (lacht) Und Simone ist auch froh, wenn sie nicht immer nur unter Männern ist.

MI: Ein letztes Wort an unsere Leser.

Isaac: Nun, ich hoffe natürlich, dass ihr alle zu unserem Konzert kommt, die letzten Schweiz-Konzerte waren meines Wissens immer ausverkauft und es wäre schön, wenn wir das so beibehalten könnten weil ich die Shows bei euch immer sehr geniesse, ihr geht ganz schön ab! Und bis dahin: Kauft und hört „The Quantum Enigma“! (grinst)

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06.09.2014
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