Starlett Stock 2025 (Flyer)
Sa, 3. Mai 2025

Starlett Stock Festival 2025 – Vicious Rumors, Medieval Steel u.a.

Sedel (Luzern, CH)
/ 08.05.2025
Starlett Stock 2025 (Flyer)

Stabilität in Zeiten der Veränderung

Oder ein Abend wie eine Ananas-Royal-Torte… Es ist also Zeit für das Starlett Stock Festival 2025. Aber alles neu macht der Mai: Nach einem Undercovereinsatz im letzten Jahr (siehe Bericht hier) sind Andy und Raphi dieses Mal hochoffiziell im Einsatz für Metalinside, um zu berichten.

Andy: Es ist ja schon richtig. Die einzige Konstante im Universum ist stete Veränderung. So ähnlich erkannte das bereits Philosoph Heraklit aus dem antiken Griechenland. Leben bedeutet Wandel, nichts ist statisch. Dennoch ist es in Zeiten politischer, demographischer und strukturellen Veränderungen oder gar Instabilitäten nicht nur schön zu sehen, dass insbesondere an metallischen Veranstaltungen wie dem Starlett Stock Festival die Zeit irgendwie stillzustehen scheint – es wirkt gar wie eine Notwendigkeit. Es gibt willkommene Konstanten im Line-up, man trifft konstant auf neue wie bekannte Gesichter, tauscht sich aus, führt die seit Jahrzehnten gleichen emotionalen Diskussionen über Bands und deren Alben, nur um sich danach – mal wieder – in den Armen zu liegen und regt sich Jahr für Jahr über ungünstig platzierten Säulen im Konzertkeller auf, obwohl man ja jetzt irgendwie auch nicht wirklich so viel daran ändern kann und gewiss keine negativen Auswirkungen auf die Statik des Gebäudes provozieren möchte, nur weil man einmal mit voller Wucht dagegen rülpst. Oder sie böse anschaut. Oder beides. Willkommen zur Starlett-Stock-Festival-Berichterstattung. Ebenfalls in seiner dritten Ausgabe!

Raphi: An dieser Stelle gleich ein Dankeschön an die Organisatoren, dass sie eine Presseakkreditierung ermöglichen konnten. Lange Zeit stand auf der Kippe, ob wir dem Anlass im Sedel beiwohnen können. Das Starlett Stock Festival 2025 ist nämlich ausverkauft. Alle 250 Tickets sind weg und die Kapazität für weitere Personen innerhalb des Gebäudes mehr als ausgereizt. Schlussendlich hat es aber doch geklappt. Und wir freuen uns umso mehr, weil diese dritte Festivalausgabe nicht einfach irgendeine Ausgabe ist, sondern das zwanzigjährige Bestehen der Gastgeber Sin Starlett markiert, was das Label «The Crazy Edition» auf dem Festivalplakat unterstreicht. Dort – also auf dem Plakat – stehen übrigens dieses Jahr sechs Bands drauf, im Gegensatz zu den sieben der letzten beiden Durchführungen. Eine weitere Änderung gegenüber letztem Jahr ist das Fehlen des Shuttle-Busses vom Bahnhof Luzern her. Der Sedel hat dessen Betrieb eingestellt, weshalb allen, die mit dem ÖV anreisen, ein fünfzehnminütiger Fussmarsch bevorsteht.

Andy: Ein paar Tage vor dem offiziellen Startschuss erreichte wohl alle emsigen Ticketkäufer eine Mail, in der nicht nur allerhand nützliche Informationen rund um den Konzerttag zu finden waren, sondern auch der besagte Hinweis auf eine ausverkaufte Veranstaltung. Das gönnt man den Arrangeuren in vielerlei Hinsicht, insbesondere aber auch im Hinblick auf die Tatsache, dass die edlen Bands wohl nicht für ein Benefizkonzert angereist sind.

Edle Bands? Aber sicher doch! Und so beehren den überschaubar grossen Sedel-Schuppen die folgenden Herrschaften:

  • Witchunter (auf die möglicherweise korrekte Schreib- und Aussprechweise kommen wir noch zu sprechen…) aus Italien
  • Witchtower aus Spanien
  • Sin Witchl… Starlett, pardon, Gastgeber aus Helvetien
  • Air Raid aus Schweden
  • Medieval Steel aus den USA
  • Vicious Rumors aus den USA

Ich bin ja persönlich immer wieder entzückt, wenn es grosse respektive grössere Namen wie Vicious Rumors in kleinere Schuppen wie eben den Sedel schaffen. Analog Riot (V), die sich letztens kurz nach ihrem Auftritt am Keep It True auch noch ein Stelldichein in der Musigburg in Aarburg gaben. Bin ich allenthalben naiv genug zu glauben, dass sich solche Bands der Basis nach wie vor verpflichtet genug fühlen und sich nicht zu schade sind, auch mal wieder vor 200 Leuten neben einer Kuhweide zu spielen und nicht nur auf den grösseren und vielleicht besser bezahlenden Festivals? Sind Gagen allenfalls und hin und wieder verhandelbar oder zahlen kleinere Gastgeber genau so viel wie finanziell Potentere? Ich bin da nicht tief genug in der Materie verankert und lasse die spannenden Fragen mal philosophisch-verträumt im Raum stehen, bin mir aber sicher, dass der eine oder andere Leser hierzu bestimmt zu einer fundierten Meinungsäusserung befähigt sein dürfte.

Bevor du, geschätzter Leser, nun aber einen längeren Bart bekommst als Herakles (davon ausgehend, dass du zu Bartwuchs befähigt bist), kommen wir doch lieber auf die Bands zu sprechen.

Witchunter

Raphi: Um 15:00 Uhr geht es endlich los. Den Anfang machen Witchunter. Wo Thrash Metal bei vielen Leuten ein H zu wenig spendiert bekommt, wird es bei dieser Gruppe vermutlich öfters eines zu viel sein. Witchunter schreiben sich tatsächlich nur mit einem davon. Das Quintett hat uns lupenreinen Heavy Metal mitgebracht. Gut, was erwartet man denn von einer Band, deren letztes Album auf den Namen Metal Dream hört? Damit treffen die Italiener natürlich ins Schwarze beim Publikum, das wegen genau dieser Art von Musik in den Sedel gepilgert ist. Doch geboten kriegen die Anwesenden nicht bloss das, sondern zusätzlich eine ganze Reihe an Showelementen.

Das beginnt damit, dass Sänger Steve Di Leo zu jedem der ersten vier Songs ein leicht anderes Outfit trägt, wobei der rote Mantel – in den gekleidet er ein angerostetes Metallkreuz herumschwenkt – am auffälligsten ins Auge sticht. Besagtes Kreuz kommt später ein zweites Mal zum Einsatz, als ein als Tod verkleideter Statist es herumträgt. Zudem hat die ganze Band einige choreografierte Momente des gemeinsamen Stageactings einstudiert, agiert während der restlichen Zeit jedoch spontan und natürlich. Überhaupt ist der Truppe anzumerken, dass sie trotzdem authentisch auftritt, ohne eine Fassade vor sich her zu tragen. Das führt umgekehrt dazu, dass Aktionen wie das Trinken von (Kunst-) Blut aus einer Totenkopfrequisite mit der fröhlichen Grundstimmung auf der Bühne kollidieren und dadurch mehr Heiterkeit als Horror auslösen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, hinterlassen Witchunter gerade einen gelungenen Gesamteindruck, der musikalisch vor allem von „The Breath Of Satan“ und „Hell For Leather“ unterfüttert wird.

Andy: HA! Ich schreibe WITCHUNTER nun bewusst in Grossbuchtstaben, um möglichen Konfusitäten bezüglich der Sprechweise des Bandnamens vorzugreifen respektive nachzubeugen. Ausgesprochen wird das Ganze wohl tatsächlich als «Witch Hunter» (Raphi: Mit italienischem Akzent, bitte), denn Logo-Gestaltung und Schreibweise deuten doch ziemlich stark darauf hin und dienen wohl darüber hinaus auch dazu, sich stilistisch von anderen Bands mit ähnlichem oder gar gleichem Namen abzuheben. Der ungeahnten Komplexität des Bandnamens und dessen gewaltigen Interpretationsspielraum, in dem man sich zweifelsohne komplett verlieren kann, zum Trotz, bietet sich uns hier tatsächlich ein erstes Highlight des Tages.

Und die Zutaten dafür sind denkbar einfach, um Kollege Raphis ersten Ausführungen noch etwas mehr Zunder zu verleihen:

  • Energiegeladener Auftritt der Marke Duracell
  • Einprägsam-melodiöses und über weite Strecken sehr klassisch strukturiertes Schwermetall mit diversen hochkarätigen Einflüssen der Gattung Schiess-mich-tot
  • Kräftiger Gesang mit Einschüben der Geschmacksrichtung Tritt-in-die-Eier
  • Exzellentes Rhythmus-Gefühl mit sowohl schnellen wie stampfenden Riffs im Sinne von Such-Dir-was-aus
  • Skurril und bizarr anmutende Bühnenshow, die vor vierzig Jahren noch jeden Kleriker der katholischen Kirche auf den Plan gerufen hätte, heute aber tatsächlich eher Heiterkeit auslöst. Und das meine ich jetzt nicht unbedingt negativ

Die Setlist – Witchunter

  1. Intro 1
  2. Metal Dream
  3. Crystal Demons
  4. Intro 2
  5. The Breath Of Satan
  6. Witchunter
  7. Lucifer’s Blade
  8. Hell For Leather
  9. Hold Back The Flame

Witchtower

Raphi: Wir bleiben gerade noch ein wenig bei den Hexen. Oder besser gesagt bei deren Behausungen. Witchtower nennt sich nämlich die Truppe, welche hier am Starlett Stock Festival als nächstes an der Reihe ist. Anders als der Opener kommt sie nicht aus Italien, sondern Spanien. Musikalisch sind die beiden Bands jedoch grenzüberschreitend verwandt. Hüben wie drüben stehen die Zeichen auf Heavy Metal. Witchtower lassen allerdings noch einige Spurenelemente von Hardrock in ihre Songs einfliessen. Dabei bewegen sie sich aber nicht unbedingt in gefälligen Gefilden, nein, ihr Sound ist als Gesamtes eher sperrig und so brauche ich aufgrund fehlender bisheriger Berührungspunkte mit dem Schaffen der Band fast die Hälfte des vierzigminütigen Auftritts, um die Musik des Viergespanns ausreichend erfassen zu können. Deren sympathisches Auftreten trotz zutage tretender Anzeichen der Sprachbarriere motiviert auf jeden Fall dafür, dies zu versuchen. Trotzdem leert sich der Saal nach den ersten Songs ein wenig. Dabei haben sich Witchtower das Beste zum Schluss aufgespart: „Better Run“ und „Heavy Metal Sign“ sind top Songs, werden mit Schmiss gespielt und lassen den Auftritt zufriedenstellend enden.

Andy: Gott sei Dank müssen wir uns hier nicht schon wieder über kreative Schreibweisen und Logos unterhalten. Andererseits höre ich im Geiste bei Bandnamen, die Schlagworte wie «Tower, Witch, Twisted etc.» beinhalten, gleich wieder den herrlich charmant-unwissenden Fragenkatalog meiner immer wieder als deutlich bessere Hälfte beschriebenen Gattin. «Schatz? Wie heisst die Band schon wieder? Twisted White Hill Tower Witch Empire?» – wobei sich vor meinem geistigen Auge gleich eine besserwisserische Liste mit den korrekten Bandnamen bildet: Twisted Tower Dire, Tower Hill, Witchtower, Ancient Empire… so schwer ist das doch nicht 😉. Aber mal Butter bei die Fische. Ich kann die Bildung geistiger Umnachtungen bei solchen Bandnamen natürlich absolut nachvollziehen und war schon ein ums andere Mal selbst verwirrt. Allerdings muss ich mich bezüglich Kritik des Starlett-Stock-Auftritts von Witchtower grossmehrheitlich zurückziehen, da mich der doch eher schwerfällige Einstieg – noch mehr jedoch der knurrende Magen – nach draussen zum Essensstand treibt. Das köstliche, jedoch nicht gerade günstige Pulled Pork verlangt nach meiner Aufmerksamkeit.

Die Setlist – Witchtower

  1. Intro
  2. Chain Reaction
  3. No Chance
  4. The Urge
  5. Sherry Lee
  6. Voyeur
  7. Better Run
  8. Heavy Metal Sign

Raphi: Im Anschluss an den Auftritt von Witchtower steht auch bei mir ein kurzer Stopp am Stand von De Börner an, die das Publikum des Starlett Stock Festival mit mexikanischen Spezialitäten durch den Abend füttern und mit ihren wunderschön farbigen Saucen dafür sorgen, dass die eine oder andere Rachenschleimhaut früher in Rente geht. Obwohl das Essen sehr fein ist, höre ich von diversen Metalheads, sie hätten sich zusätzlich noch eine kostengünstigere Alternativmöglichkeit für Verpflegung gewünscht. Doch lange präsent ist das Thema nicht, denn die Umbaupausen fallen mit 25 Minuten erfreulich kurz aus und es geht weiter im Programm.

Sin Starlett

Raphi: Nun ist es Zeit für die Gastgeber höchstpersönlich, die aufgewärmte Meute zu übernehmen. Sin Starlett feiern zwanzig selbstdeklarierte Jahre Schweiss, Alkohol und Metal. Herzliche Gratulation zum Jubiläum, dessen exaktes Datum (irgendwann zwischen 24. und 27. April 2005) den heutigen Tag übrigens nur um eine Woche verfehlt. Die stählernen Lokalmatadoren bedürfen hier am Starlett Stock Festival 2025 vermutlich keiner Vorstellung mehr, und falls doch, liefern sie gerade mit „Solid Source Of Steel“ einen wunderbar repräsentativen Eindruck ihres Schaffens ab. Der Song ist ein erstes Highlight in diesem Set und macht schnell klar, dass Sin Starlett heute drauf und dran sind, voll abzuräumen. Die Soli sitzen, die Riffs rocken, die Drums dreschen und das alles hervorragend abgemischt. So soll klassischer Heavy Metal live klingen.

Elias führt am Mikrofon derweil auf lockere Art, aber stets zielstrebig, durch den Auftritt und kündigt nach etwa dreissig Minuten ein kleines Old-School-Set an. Dafür haben sich die fünf Herren etwas Spezielles überlegt: Während der nun folgenden Stücke, darunter unter anderem das Gründungsstück „Forever Cone“, bitten sie nacheinander die ehemaligen Bandmitglieder für Instrumentaleinsätze auf. Die lassen sich nicht zweimal bitten und sorgen mit viel Elan dafür, dass zum Beispiel „Resurrection Of Death“ zu einem weiteren Highlight mutiert. Bloss bei „Black Magic Sky“ wird es ganz kurz mal holprig in den tiefen Lagen, ansonsten zeigen die Gäste eine tolle Leistung. Einer davon, Lüku, hat genau heute sogar Geburtstag und kriegt von der Band einen entsprechenden Kuchen überreicht (gemäss Elias eine „Ananas-Royal-Torte, dä Klassiker!“). Sin Starlett hätten selber einen verdient für einen solchen vor Energie sprühenden Auftritt, der die Messlatte für die kommenden Bands sehr hochlegt. Die neunzig Minuten sind im Nu um, die Band liegt genau im Zeitplan. „Jetzt machemer na Winds Of Fury und dänn isch Baschta!“, lässt uns Elias wissen. Sprichts und schon bricht das Ende eines grossartigen Konzertes an. Dass das Quintett im Anschluss unter lautem Jubel verabschiedet wird, dürfte da niemanden mehr verwundern.

Andy: Ich könnte es mir hier mit einem kurzen, aber deswegen nicht weniger knackigen «Dito» ziemlich einfach machen. Aber wenn ich schon mal irgendwo meinen Senf dazugeben darf, dann mache ich das auch (Raphi: Ich bitte darum!). Also. Leute. Ernsthaft! Was bitte schön ist da wieder los auf der Bühne? Ich werde es heute Abend noch ein paar Mal aussprechen, aber Sin Starlett liefern gerade die beste Performance, die ich von ihnen je zu Gesicht bekommen habe. Und damit auch eines der bislang besten Konzerte in diesem Jahr. Die Gastgeber spielen Knaller um Knaller. Songtechnisch gibt es heute Abend keine Ausfälle. Das Repertoire weist die Bisskraft eines Weissen Hais auf – und die Band offenbar dessen Agilität. Dass zum Zwanzigjährigen ehemalige Bandmitglieder auf die Bühne und instrumental zum Handkuss gebeten werden, ist da nur noch das Zückerchen auf der sprichwörtlichen Ananas-Torte. Ein ums andere Mal schaue ich etwas ungläubig zu meinen Kollegen, um mich ob meiner Verwunderung, dass diese Band noch nie auf dem Keep It True-Festival gespielt hat, bestätigt zu wissen. Und ja, das grenzt geradezu an ein kleines Verbrechen und gehört geändert! Ob sich die Band jetzt bei gewissen Songs beim grossmächtigen Priester aus England mal hat inspirieren lassen oder nicht, spielt da keine Rolle. Im Gegenteil! Und noch etwas: Letztes Jahr erwähnte ich, dass Elias’ Stimmbänder locker einem Saxon-Song hofieren könnten. Ich würde nun noch ein zwei Treppenstufen weiter in die Dungeons herabsteigen und würde ihn gerne mal einen Manilla-Road-Song singen hören.

Air Raid

Raphi: Air Raid haben jetzt die Aufgabe, das von Sin Starlett vorgegebene Stimmungsniveau zu erhalten. Die schwedischen Heavy Metaller mit Hang zum Power Metal sollten damit eigentlich keine Probleme bekunden, haben sie doch vor zwei Jahren ein vielerorts gut aufgenommenes Album veröffentlicht und damit mehr als genügend Songmaterial für eine gelungen Auswahl im Köcher. Und ja, „Lionheart“ ist gerade mal ein Vorzeigetrack für mitreissendes Songwriting, das sich live genauso, wenn nicht besser bewährt wie auf Platte. „One By One“ wäre gleich ein weiterer Kandidat dieser Art. Als Geheimwaffe von Air Raid entpuppt sich dabei Bassist Jan Ekberg, der Hintergrundgesang und teilweise zweite Stimme mit treffsicherem Organ übernimmt, während er gleichzeitig grinst wie ein Honigkuchenpferd.

Weniger geheim, aber genauso ein mächtiger Bestandteil des Arsenals sind die beiden Gitarristen, die ihre Soli derart locker aus dem Handgelenk zu schütteln wissen, dass es eine wahre Freude ist. War der Saal zu Beginn des Auftritts noch spärlich gefüllt, sind mittlerweile mehr Leute hinzugestossen, die für Stimmung sorgen und immer wieder laute Air-Raid-Air-Raid-Rufe aufbranden lassen. Fans der älteren Werke kommen schliesslich mit „Midnight Burner“ von der ersten EP der Band auf ihre Kosten, doch mein persönliches Highlight folgt, nachdem eine Stunde vergangen ist, und hört auf dem Namen „Hold The Flame“. Der ist wie geschaffen, um den Kopf zu schütteln und den Refrain mitzusingen. Allerdings hat er einen kleinen Schönheitsfehler: Er bildet nämlich bereits den Abschluss des Konzerts – und das obwohl gemäss Zeitplan noch eine Viertelstunde Zeit zur Verfügung stünde. So endet der coole Auftritt etwas abrupt. Spass gemacht, hat er deshalb aber trotzdem sehr.

Andy: Auch hier kann ich mich Raphis Worten so gut wie komplett anschliessen. Aber ich habe noch ein paar Fragen: Warum ist der Saal wider Erwarten nicht so gut gefüllt, obwohl hier nach Sin Starlett eine weitere Live-Macht auf der Bühne steht? Ist der Sänger vielleicht nicht ganz nüchtern und trifft trotzdem noch so ziemlich jeden Ton? Und wieso genau nochmal verzichtet die Band hier auf mindestens 15 Minuten Spielzeit? Zu den (vor-)lauten Air-Raid-Air-Raid-Rufern gehöre aber auch ich, da die Bühne gemäss dem Debüt-Album in einen Point of Impact verwandelt wird. Und das kann nichts anderes bedeuten, als dass ich hier mehr als nur meinen Spass habe und die supereingängigen Refrains leichten Herzens mitsinge. Den viel zu kurzen Auftritt belohne ich noch zusätzlich mit dem Eintüten von Shirt und Patch. Ich muss völlig von Sinnen sein. * summt *… taking one, TAKING ONE, by one, BY ONE, now the baaaaattle rages oooooon * hört auf zu summen *.

Medieval Steel

Raphi: Damit verlassen wir die jüngeren Bands der Altersklasse bis zwanzig Jahre und sind bei den Veteranen angekommen. Einmal mehr kann das Starlett Stock Festival in diesem Bereich eine Gruppe präsentieren, die nie zuvor in der Schweiz aufgetreten ist. Medieval Steel aus Memphis (ja genau, das Memphis in Tennessee) haben zwar erst vor einem Dutzend Jahren ihr Debütalbum veröffentlicht, doch die Wurzeln der Band reichen zurück bis in die 80er-Jahre. Damals hat die Band eine nach sich selbst benannte EP veröffentlicht, die mittlerweile bei viele Leuten Kultstatus geniesst. Von der entsprechenden Besetzung ist heute allerdings bloss noch Sänger und Gründungsmitglied Bobby Franklin an Bord. Seine drei Mitstreiter sind alle erst später zur Band gestossen. Infolge des früheren Abschieds von Air Raid beginnen Medieval Steel zehn Minuten zu früh vor lichten Reihen. Doch dieser Umstand ändert sich rasch: Die Leute strömen in den Sedel, um Songs wie „Warlords“ oder „Lost In The City“ nicht zu verpassen.

Bobby Franklins Stimme klingt trotz seines Alters immer noch wie Seide. Für die Performance auf der Bühne ist jedoch das Wort „gemütlich“ angebrachter. Viel geschieht nicht da oben, abgesehen davon, dass Bobby sämtliche Songs kurz ansagt, die Band diese tadellos spielt und im Anschluss an „Tyrant Overlord“ ein kleines Interaktionsspielchen durchführt, um herauszufinden, ob das Publikum des Starlett Stock Festival 2025 lauter ist als dasjenige des Keep It True Festival letzte Woche. Alleine aufgrund der Anzahl Leute sind wir heute im Nachteil, doch natürlich geben die Fans alles. Das belohnen die amerikanischen Heavy Metaller mit allerlei Merch-Artikeln, die sie ins Publikum befördern. Von T-Shirts über Aufkleber und Plektren bis hin zu CDs und Postern hört das Verteilen von Geschenken kaum mehr auf. Am Ende hat sicher die Hälfte des Saals irgendein Andenken abbekommen, doch das grösste Geschenk ist nicht materieller Art. Es ist die kultige Bandhymne, „Medieval Steel“. Als die ersten Töne davon zum Abschluss erklingen, strömen die Leute nach vorne, und als Bobby am Gesang seinen Einsatz hat, erheben bis ganz nach hinten alle Anwesenden die Stimme, um so gut wie den gesamten Song gemeinsam mit ihm zu singen. Ein eindrücklicher Moment, der dem Publikum ein grosses Grinsen ins Gesicht zaubert und anschliessend niemanden mehr fragen lässt, weshalb Medieval Steel fünfzehn Minuten weniger lang spielen als geplant.

Andy: Raphi liest mir hier bereits die Worte von den Lippen, denn tatsächlich hatte ich schon bei Glacier letztes Jahr feuchtes Wischwasser in den Äuglein, da ich nicht wirklich dachte, die Band mal live in der Schweiz zu sehen. Und jetzt auch noch Medieval Steel! Ich hatte seit der Reaktivierung der Band im Jahre 2012 nun zwei, drei Mal das Vergnügen, diese Kultband aus den 1980ern und insbesondere diesen einen Song live zu erleben. Und das hat auch jeweils viel Spass gemacht. Heute will der Funke aber mehrheitlich nicht so wirklich überspringen. Trotz wirklich guter Performance der Band, die das Beste aus dem nicht immer packenden Material herausholt, wirkt Bobby am Mikrofon irgendwie müde und ausgelaugt – das sah vor einer Woche am KIT 2025 noch anders aus und wirkt sich auch aufs Publikum aus, welches bei diesem Gig nur spärlich aus sich herauskommt. Das gesagt, haben Medieval Steel nebst diesem einen legendären Song aber schon noch weitere Kleinkaliber parat. «Lost In The City», «Warlords» und «To Kill A King» lassen die eine oder andere Flamme aus dem noch gemütlich vor sich hin lodernden Brandherd hervorzüngeln.

Und jetzt kommt das, was kommen muss. Das Unvermeidliche. Das Wahre. Das Historische. Das Legendäre. MEDIEVAL STEEL! Ein Werk, das selbst die Götter des Stahls nicht besser hinbekommen würden. Würde es auf diesem Planeten mit rechten Dingen zu und her gehen, würde allein dieser Song die Rente der Bandmitglieder auf Lebensabendzeiten sichern. Ja, so episch ist er. Wer auch immer eine Liste über die epischsten Echtstahltracks anfertigt, muss diesen darin aufnehmen, ansonsten sich die Liste in die tiefen Abgründe der Wertlosigkeit degradiert. Es ist denn auch dieses epochale Stück, das den nicht vollständig gefüllten Konzertsaal ein weiteres Mal in einen Dampfkessel verwandelt, der sich bezüglich Lautstärke so gar nicht vor dem KIT-Publikum zu verstecken braucht. Klasse, dass der Song auch in unseren Breitengraden derart lautstark abgefeiert wird – und schade, dass die Band praktisch auf diesen reduziert wird. Wobei man in aller Fairness zugeben muss, dass es eben schon diese eine Notenkombination ist, welche Medieval Steel definiert. Sie mögen einen weiteren solchen schreiben!

Vicious Rumors

Raphi: Fünf Band sind nun durch, es fehlt noch eine. Mit Vicious Rumors sorgt die dienstälteste Band des heutigen Abends für den Abschluss. Gründungsjahr 1979 ist schon eine Ansage und Geoff Thorpe, der sich um die Gitarre kümmert, sowie Larry Howe am Schlagzeug sind tatsächlich bereits seit Beginn oder zumindest Mitte der 80er-Jahre am Start. Der Auftritt hier am Starlett Stock Festival 2025 markiert für die Band den Startschuss ihrer Europa-Tournee. Da sind wir natürlich gespannt, was das Quintett für uns bereithält. Heavy Metal natürlich und zu Beginn gleich mal von der richtig schnellen Sorte. Da sind wir eher im Speed Metal-Bereich, aber darüber beklagt sich niemand. Im Gegenteil, die Fans in den vorderen Reihen feiern die Band, was das Zeug hält. Davon lässt sich Sänger Brian Betterton, der seit letztem Jahr an Bord ist, gleich anstecken. Mehrmals zückt er sein Handy, um das Geschehen im Zuschauerraum zu filmen, und sucht immer wieder den Kontakt zu den vorderen Reihen, schüttelt Hände und zeigt sich fannah. Das kommt wirklich cool rüber.

Die Sonnenbrille trägt er dagegen vermutlich weniger der Coolness wegen, sondern eher, um seine Blicke auf den am Bühnenrand platzierten Teleprompter zu verbergen. Was den Klang angeht, können Vicious Rumors von einer 1A-Abmischung profitieren, die sämtliche Instrumente klar und ziemlich laut aus den Boxen donnern lässt. Gut, so energisch wie Larry Howe das Schlagzeug verdrischt, wundert es mich nicht, dass die Soundcrew die Regler für die restlichen Instrumente etwas weiter nach oben drehen muss. Dass der gute Mann daneben noch den Atem hat, um Backing Vocals beizusteuern, verdient Applaus. Und das alles erst noch nach einer anstrengenden Vorbereitungsphase: Geoff lässt uns nämlich wissen, dass sie aufgrund der Anreise nur zwei Stunden Schlaf gekriegt haben und darüber hinaus eine siebenstündige Fahrt absolviert hätten. Anzumerken ist der Truppe kaum etwas davon und so bringt sie einen schönen Abschluss des Starlett Stock Festival 2025 über die Bühne. Eine Viertelstunde zu früh wohlgemerkt und als einzige Band mit einer gestellten Zugabe – da nur wenige im Publikum mit einer rechnen, fällt der Schlussapplaus zwar laut, aber kurz aus, was das erneute Erscheinen der Band auf der Bühne ein wenig antiklimaktisch macht.

Andy: «Sign of the times, or so we’re told. Let it unwind, programming minds. HE’S RULING WITH FALSE CONTROL! DIGITAL DICTATOR! He’s ruling with false control…» Ich finds ja irgendwie schon ulkig, dass gerade die Band, die bereits 1988 mit Digital Dictator im Ansatz vor den Gefahren der Digitalisierung gewarnt hat, heute, 37 Jahre und 11 Sänger (das sind mehr als doppelt so viele wie meine Karre Hubraum hat) später am meisten mit dem Handy auf der Bühne herumfuchtelt. Gleichzeitig verbieten Ghost die Nutzung der Selfieknochen drüben in Zürich. What a time to be alive! Es ist jetzt, hier und heute nicht atmosphärezerstörend schlimm, aber ich wills trotzdem erwähnt haben. Fernab vom digitalen Augenkleber jedoch heizen Vicious Rumours, heilige Scheisse, mächtig ein! Klasse Sound, mächtig Druck, bestens gelaunte Band, Brian mit sattelfester Stimme und bemerkenswerter Fannähe, Drummer Larry, der sein Instrument im positiven Sinne beinah zu Tode prügelt, und die Gitarrenfront, die es wunderbar versteht, die Kupferkabelverbindungen zu den Lautsprechern mit astreinen Riffs und Soli zu malträtieren. Herrlich! Vicious Rumor ziehen für mich heute Abend «nur» gleich mit Sin Starlett, was eben schon unter anderem etwas dem Umstand geschuldet ist, dass der Teleprompter etwas gar oft zum Einsatz kommt – was auch die analoge Sonnenbrille nicht verschleiern kann. Dennoch bringt Brians Stimmorgan die Songs hervorragend zur Geltung. Und das Gleichziehen mit Sin Starlett ist hiermit ausdrücklich als Kompliment zu verstehen. Ein (denk-)würdiger Abschluss eines Konzerttages, den ich abermals mit Merch-Käufen veredle. Merci an dieser Stelle noch für das VR-Plektron, Geoff! Moment mal. VR? Virtual Reality? Lassen wir das… Ein hervorragender Tour-Auftakt für Vicious Rumors. Kommt wieder, Jungs.

Die Setlist – Vicious Rumors

  1. On The Edge
  2. Abandoned
  3. You Only Live Twice
  4. Murder
  5. Down To The Temple
  6. Hellraiser
  7. Ship Of Fools
  8. The Crest
  9. In Fire
  10. World Church
  11. Ride (Into The Sun)
  12. Let The Garden Burn
  13. Digital Dictator
  14. Soldiers Of The Night
  15. Don’t Wait For Me

Das Fanzit – Starlett Stock Festival 2025

Raphi: Letztes Jahr (hier nochmals der Hinweis zum Bericht 2024) hatte ich die Hoffnung geäussert, dass sich das Starlett Stock Festival in der schweizerischen Festivallandschaft etablieren kann. Diese Hoffnung scheint sich zu erfüllen. Der Ausverkauf der Ausgabe 2025 bereits im Vorfeld, zeigt, dass es in der Schweiz nicht nur Platz hat für, sondern auch eine Nachfrage gibt nach einem entsprechenden Anlass, der sich auf Heavy- und Epic Metal fokussiert. Sin Starlett waren erneut hervorragende Gastgeber. Sie haben sich neben der Zusammenstellung eines starken Line-ups zu einem überaus fairen Ticketpreis (sowie der erneuten Organisation einer Tombola mit attraktiven Preisen) auch gleich noch höchstpersönlich um den besten Auftritt des Abends gekümmert. Danke die Herren, es war ein Abend wie eine Ananas-Royal-Torte.

Andy: Wenn die einen Hexen gejagt werden, während die anderen im Turm versteckt ein Sündensternchen auf dem Altar darbieten und ein paar Schweden einen mittelalterlichen Luftangriff mit Stahlgeschossen auf helvetische Alpen planen, dann halten wir das nicht für ein bösartiges Gerücht, sondern freuen uns, dass wieder Starlett-Stock-Zeit ist! Jugend, was war das wieder gut. Ich bin wirklich froh, hat sich in der Schweiz so ein kleines, aber feines Festival etablieren können, das sich grossmehrheitlich auf die sogenannten «Helden der zweiten Reihe» fokussiert und Jahr für Jahr Bands präsentiert, die sich entweder gerade als Nachwuchshoffnung einen Namen machen oder die gar schon seit Jahrzehnten einen festen Platz in der Metal-Szene haben, ohne wirklich davon leben zu können. Chapeau. Der Aufwand dahinter muss so enorm wie die Rahmenbedingungen kräfteverzehrend sein. Dass man davon auf Platz nicht viel mitbekommt, spricht für eine funktionierende Organisation, die nun hoffentlich bereits die vierte Ausgabe vorbereitet. Bitte?


Wie fandet ihr das Festival?

/ 08.05.2025
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