Sabaton – Interview mit Chris Rörland
Heavy Metal, Power Metal
Jeder Moment ein Donnerhall
Die Legends-Tour von Sabaton sprengt erneut alle Dimensionen – Schauspieler, Chöre, Spezialeffekte und eine Inszenierung, die selbst langjährige Bandmitglieder überrascht. Gitarrist Chris Rörland spricht über die minutiöse Präzision der Show, emotionale Höhepunkte wie The Last Stand in voller Rüstung und darüber, warum ihn jeder Bühnenmoment noch immer frösteln lässt. Ein Gespräch über Leidenschaft, Weiterentwicklung und die Kunst, epische Massstäbe immer wieder zu übertreffen.
Wenn Sabaton die Trommeln für eine neue Tour schlagen, horcht die Metal-Welt auf. Kaum eine Equipe schafft es seit Jahren, Konzerte nicht nur als musikalisches Ereignis, sondern als lebendige Geschichtsstunde zu inszenieren, die jedes Mal gigantischer wirkt. Die Legends-Tour setzt dem nochmals die Krone auf: Historische Epochen treffen auf modernste Bühnentechnik, und alles fügt sich zu einem spektakulären Ganzen zusammen.
Rund drei Stunden vor dem vierten Gig sitze ich mit Chris Rörland im Backstagebereich – noch im Alltagstenue, aber gedanklich sicher bereits auf die Performance fokussiert. Draussen wird geschraubt, geprüft und gezündet, drinnen erzählt Chris mit Gelassenheit und Stolz, wie es ist, Teil dieser Mammutproduktion zu sein.
Sabaton unter Beweislast
Metalinside (Sandro): Die heutige Darbietung ist bereits der vierte Auftritt auf eurer Legends-Tour. Wie läuft es bisher?
Chris: Ausgezeichnet. Die Tour ist riesig, wir präsentieren viele neue Elemente und verfeinern bestehende Abläufe. Alles zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen, ist anspruchsvoll, aber wir kriegen das gut hin.
Die aktuelle Musikodyssee umfasst nicht nur neue Songs, sondern ein gänzlich neues Showkonzept – Schauspieler, Chöre, Spezialeffekte, überraschende Bühnenaufbauten. Die Band zieht sich zwischendurch kurz zurück, um in die nächste Version ihrer selbst zu schlüpfen – Sabaton als lebendige Geschichtsfiguren.
Dass Chris so ruhig wirkt, liegt sicher an seinen über zehn Jahren bei Sabaton. Und daran, dass die Tourmaschine längst auf Hochtouren läuft und sich von Show zu Show weiter einspielt.
MI: Erinnerst du dich an besondere Schweizer Momente, etwa beim Greenfield Festival vor zwei Jahren?
Chris: Nicht direkt an den letzten Besuch, aber an 2020 in Zürich. Wir wollten morgens in die Halle – der Security liess uns nicht rein. Wir erklärten, dass unsere Pässe drinnen liegen. Er meinte nur: „Nein, ohne Pässe kommt ihr hier nicht rein.“ Hinter uns standen unsere Trucks – riesig, mit unseren Gesichtern drauf. Wir fragten, ob das nicht als Beweis reiche. Er zögerte kurz und sagte dann: „Okay, fair enough.“ So etwas vergisst man nicht [lacht].
Ein Paradebeispiel für Schweizer Prinzipientreue – oder wo bürokratische Strenge und pragmatische Vernunft sich wie zwei Schwerter kreuzen. Doch weiter im Text.
Sabaton Studies
MI: Ihr habt den Opener „Ghost Division“ durch „Templars“ ersetzt. Wie schwer fiel diese Entscheidung?
Chris: Extrem schwer [überlegt]. Bei jedem Album muss man Songs austauschen oder neue hinzufügen. Es fühlt sich an, als müsste man seine Lieblinge opfern. „Ghost Division“ haben wir viele Jahre gespielt – irgendwann musste etwas weichen. Aber wir hatten einen klaren Plan für „Templars“.
MI: Von dem ich bereits ein paar Bilder gesehen habe.
Chris: Dann weisst du ja, was euch heute in Zürich erwartet [grinst]. Genau deshalb haben wir es gemacht.
Der Track „The Last Stand“ über die 189 Schweizer Gardisten, die 1527 trotz Unterzahl Papst Clemens VII. die Flucht aus der Engelsburg ermöglichten, ist stets ein Höhepunkt, besonders hier in der Schweiz. Und ein guter Übergang zu meiner nächsten Frage – auch wenn Chris hier vielleicht nicht die erste Anlaufstelle ist.
MI: Gibt es weitere Schweizer Persönlichkeiten oder Ereignisse, die einen Song wert wären?
Chris: Da muss ich leider passen. Ich bin normalerweise der Typ, der die Musik schreibt. Das Verfassen der Texte und die gesamte historische Recherche überlasse ich Joakim und Pär.
Klare Zuständigkeiten im Hause Sabaton – und eine Frage, die ich mir für ein Gespräch mit den genannten Bandmitgliedern vormerke.
MI: Dann anders gefragt: Wenn Sabaton Studies ein Schulfach wäre – was wäre Pflichtstoff?
Chris [schmunzelt]: Ich würde mit „The Great War“ und „The War To End All Wars“ beginnen. Beide Alben behandeln den Ersten Weltkrieg umfassend. Danach liesse sich mit Primo Victoria und weiteren Songs der Zweite Weltkrieg erkunden – ein klarer Einstieg.
Hühnerhautmomente
Zurück zu dem, was kurz bevorsteht: den Shows, die Sabaton wie kaum eine andere Band für ihre Präzision und Wucht bekannt gemacht haben. Ob Chris dabei so etwas wie einen Lieblingsmoment hat?
MI: Gibt es Momente, die dir immer noch Hühnerhaut bescheren?
Chris: Jedes Mal, wenn ich die Bühne betrete, läuft es mir eiskalt über den Rücken. Früher nahm man das fast als selbstverständlich hin – bis Covid kam und alles stillstand. Wir wussten nicht, ob wir jemals zurückkehren würden. Jetzt ist jeder Auftritt wieder ein unglaubliches Gefühl. Die Schauspieler sagen oft: „Nun verstehen wir, wie ihr euch fühlt!“ Diese Tour setzt dem Ganzen nochmals die Krone auf – vor allem die Brücke, über die wir über das Publikum laufen. Das ist definitiv das Verrückteste, was ich je gemacht habe.
MI: Gab es schon Pannen?
Chris: Nichts Gravierendes. Mal stolpert man oder verheddert sich in Kabeln [lacht], aber wir sind noch nie von der Bühne gefallen oder von der eigenen Pyro geröstet worden.
Die Beziehung zu einem Lied kann sich verändern – besonders, wenn eine neue Umsetzung es plötzlich in einem anderen Licht erscheinen lässt.
MI: Ist dir das bei einem Stück passiert?
Chris: Ja, besonders bei „The Last Stand“. Seit wir ihn in voller Rüstung spielen, fühlt er sich wie ein völlig neuer Song an. Früher war es Routine – „kennen wir, spielen wir“. Jetzt, mit Templer-Kostümen und der dazugehörigen Inszenierung, fühle ich mich viel stärker verbunden. Und es sieht einfach verdammt cool aus [schmunzelt].
„Heilige Scheisse“ – und eine Frage der Epik
MI: Wie du sicher gemerkt hast, habe ich mir die Setlist im Voraus angesehen. Was irritiert dich mehr: dass die Leute zu Hause bereits planen, bei welchem Track sie kurz aufs WC gehen können, weil er ihnen nicht gefällt [Chris lacht schallend], oder dass manche die komplette Show nur durch den Bildschirm ihres Smartphones verfolgen?
Chris: Man staunt schon, wenn man in ein Meer voller Handys blickt. Aber aktuell filmt kaum jemand. Die Zuschauer sind extrem konzentriert – überall passiert etwas: Schauspieler, Chöre, Action. Normalerweise lichtet sich die Menge beim vorletzten Song. Nun aber bleibt jeder bis zum Schluss auf seinem Platz.
Wer die Augen schliesst, verpasst etwas – wer auf sein Smartphone starrt, erst recht. Oder wie Nico von Electric Callboy kürzlich so treffend sagte: „Dinge durch die eigenen Augen zu betrachten, ist einfach schöner“.
MI: Sabaton sind bekannt für epische Videos und grosse Bühnenproduktionen. Gab es Momente, in denen ihr dachtet: „Okay, das ist jetzt selbst für Sabaton zu episch“?
Chris [lacht]: Nein. Im Studio denkt man nur: „Klingt gut, fühlt sich richtig an.“ Erst nach Veröffentlichung merkt man: „Wow, heilige Scheisse.“ „A Tiger Among Dragons“ ist ein perfektes Beispiel. Anfangs dachten wir, er sei kein Live-Song. Dann kam das Video – und plötzlich explodierte er. Heute gehört er zu den Favoriten der Fans.
Ein Rad, das nie stillsteht
MI: Welches ist aktuell dein Lieblingslied von „Legends“?
Chris: Schwer zu sagen [überlegt]. Wahrscheinlich das gerade erwähnte „A Tiger Among Dragons“, primär wegen der Live-Performances und der Fanreaktionen. Ein weiterer Kandidat wäre „The Duelist“.
MI: Was bedeutet dir Sabaton heute – jenseits der historischen Thematik?
Chris: Mann, das ist echt eine schwierige Frage. Es ist wie ein endloses, metallisches Rad, das gnadenlos über alles hinwegrollt [imitiert Panzerketten]. Zu sehen, wie Pärs Idee zum Leben erwacht, ist unglaublich. Als er mir von der Tour erzählte, dachte ich: „Das wird nie funktionieren.“ Jetzt stehe ich hier – und denke nur: „Wow.“ Ich bin seit 2012 dabei – 14 Jahre, die wie im Flug vergangen sind [schnippt mit den Fingern].
MI: Bist du zuweilen nervös vor Shows?
Chris: Ja, beim ersten Auftritt war ich extrem nervös. Ein bisschen bin ich es immer noch wegen Details wie Kostümwechseln. Nach der Hälfte der Tour wird es entspannter, aber Momente wie Gitarrenwechsel verlangen immer noch vollen Einsatz [klatscht antreibend in die Hände].
MI: Habt ihr Rituale vor dem Auftritt?
Chris: Wir treffen uns in der Garderobe, ziehen uns um und machen einen kurzen „Klick-Check“, um sicherzugehen, dass alles funktioniert. Dann gibt es für alle einen Fistbump. Sekunden später stehen wir auf der Bühne.
MI: Gibt es etwas an dir, das die Leute überraschen würde?
Chris [überlegt lange]: Etwas, das man nicht erwarten würde … Ich liebe es, in meinem Studio zu sitzen, Kaffee zu trinken und Vinyl zu hören – das wissen viele. Hannes, unser Drummer, ist ein absoluter Fotofreak und hat mich angesteckt. Also habe ich mir eine Kamera besorgt und gehe oft raus – Natur, Architektur, so etwas. Zu Hause bearbeite ich die Bilder und denke oft: „Wow, das ist richtig gut geworden.“ Das macht überraschend viel Spass.
Ein schönes Hobby – und wohl eines der wenigen Fenster der Ruhe, die Chris zwischen Pyro, Metall und Donner bleiben. Unsere veranschlagten zehn Minuten sind fast vorbei, daher …
MI: Noch ein letzter Satz an die Fans?
Chris: Ohne die Fans wären wir nichts. Wirklich. Viele fragen, warum ich meine Social-Media-Kanäle so selten aktualisiere – einfach aus Zeitgründen. Aber jede Form von Unterstützung schätze ich sehr. Ein grosses Dankeschön an alle, die über all die Jahre an uns geglaubt und uns die Treue gehalten haben. Das bedeutet uns enorm viel.
MI: Herzlichen Dank, Chris!

